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Vorratsdatenspeicherung: Die letzte Schlacht

Am Dienstag entscheidet der Europäische Gerichtshof über die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland. Was steckt hinter dieser Überwachungsmaßnahme? Warum gilt das zugehörige Gesetz als Überwachungs-Zombie? Und welche Alternative favorisiert der Justizminister? Das Wichtigste auf einen Blick.

Die Saga um die Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten ist etwas weniger erfolgreich als die Star-Wars-Saga. CC-BY-ND 2.0 Jim Bauer

Am morgigen Dienstag wird der Europäische Gerichtshof (EuGH) ein weiteres Urteil zur Vorratsdatenspeicherung verkünden, das diesmal die deutsche Gesetzgebung betrifft. Es könnte das Ende des jahrzehntelangen Streits um den Überwachungsgesetz-Zombie einläuten, denn vorausgegangene Urteile und die Schlussanträge des Generalanwalts am EuGH machten bereits klar: Eine anlass- und unterschiedslose massenhafte Speicherung von Verkehrsdaten der Kommunikation aller Menschen ist rechtlich nicht mit den Grundwerten der Europäischen Union vereinbar.

Was ist die Vorratsdatenspeicherung?

Bei jedem Kommunikationsvorgang fallen Daten an: Welche Nummer ruft welche andere Nummer an? Wie lange dauert ein Gespräch? Wer schickt eine Textnachricht? Wo befindet sich das Handy gerade? Um diese Verkehrsdaten geht es bei der Vorratsdatenspeicherung: Es ist die gesetzliche Verpflichtung zur lückenlosen Erfassung und Speicherung von Kommunikationsvorgängen aller Menschen. Sie umfasst typischerweise diese Metadaten aller Telefonate oder Textnachrichten, aber auch Anrufversuche oder Sprachnachrichten.

Diese Verkehrsdaten müssen von allen Diensteanbietern, wie beispielsweise Telekom oder Vodafone, für eine vom Gesetzgeber festgelegte Zeitspanne festgehalten werden. Hinzu kommen die Standortdaten bei Mobiltelefonie, die bei der Vorratsdatenspeicherung ebenfalls gespeichert werden.

Aus technischen Gründen und für Abrechnungszwecke halten Kommunikationsanbieter manche dieser Daten ohnehin für eine gewisse Zeit vor. Eine Vorratsdatenspeicherung verpflichtet die Kommunikationsanbieter jedoch, sie länger als notwendig aufzuheben – damit Ermittler und andere berechtigte Stellen sie im Nachhinein abfragen können. Laut der letzten Fassung des deutschen Vorratsdatenspeicherungsgesetzes müssen die Kommunikationsanbieter Verkehrsdaten für zehn Wochen und Standortdaten für vier Wochen speichern.

Mehrfach wurde versucht, die Vorratsdatenspeicherung umzubenennen: Das Bundesinnenministerium umschreibt diese anlasslose Massenüberwachung als „Mindestspeicherfristen für Telekommunikationsdaten“. Aus den Verkehrsdaten lassen sich viele Rückschlüsse auf das Leben und die Gewohnheiten der Kommunikationsteilnehmenden ziehen. Das zeigte in einem eindrücklichen Experiment aus dem Jahr 2011 Malte Spitz. Er stellte Zeit Online seine Vorratsdaten zur Verfügung: Sie konnten – angereichert mit öffentlich verfügbaren Informationen – sein Bewegungsprofil, seine Schlafenszeiten und seinen Lieblingsbiergarten herausfinden.

Was ist bisher passiert?

Die politischen Auseinandersetzungen um die Vorratsdatenspeicherung dauern in Deutschland mittlerweile über fünfzehn Jahre an. In dieser Zeit wurden in Europa mehrere Gesetze von Höchstgerichten gekippt, im Jahr 2010 auch vom Bundesverfassungsgericht.

Ausgangspunkt war eine EU-Richtlinie (2006/24/EG), die 2006 in Kraft trat. Sie verpflichtete die Mitgliedstaaten, eigene Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung zu erlassen. Die Speicherfristen wurden darin zwischen sechs Monaten und zwei Jahren festgelegt. Im November 2007 beschloss der Bundestag die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht, kurz darauf reichte der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung Verfassungsbeschwerde ein. Das Bundesverfassungsgericht urteilte, dass die anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet sei, „ein diffus bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen“, und erklärte die damaligen §§ 113a und 113b des Telekommunikationsgesetzes am 2. März 2010 schließlich für nichtig.

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Schon im Jahr 2010 hatte die EU-Kommission mehrere Studien in Auftrag gegeben, um das alternative „Quick-Freeze“-Verfahren einschätzen zu lassen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts und damit dem Ende der deutschen Vorratsdatenspeicherung arbeitete das damalige Bundesjustizministerium unter Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Jahr 2011 sogar ein „Quick-Freeze“-Gesetz aus, das aber vom Bundesinnenministerium unter Hans-Peter Friedrich (CSU) blockiert wurde. An Ideen und auch konkreten Versuchen, die allseits ungeliebte Vorratsdatenspeicherung durch eine grundrechtsschonendere Version zu ersetzen, mangelte es also nicht.

Im April 2014 kippte der EuGH auch die zugrundeliegende EU-Richtlinie und stellte fest, dass die Speicherung von Verbindungsdaten „auf das absolut Notwendige beschränkt“ werden muss. Dennoch startete die damalige Große Koalition einen neuen Anlauf für eine deutsche Vorratsdatenspeicherung, die im Dezember 2015 in Kraft trat. Es folgten mehrere Verfassungsbeschwerden und Klagen vor Verwaltungsgerichten. Nach einem Urteil des Oberverwaltungsgerichts NRW aus dem Jahr 2017 ist die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland faktisch bis heute ausgesetzt.

2019 legte das Bundesverwaltungsgericht dem EuGH zwei Vorabentscheidungsersuchen vor, über die am Dienstag entschieden wird. Dabei geht es um Klagen des Providers SpaceNet und der Deutschen Telekom gegen die deutsche Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahr 2015. Bis zum morgigen Urteil sind die Kommunikationsanbieter weiterhin nicht verpflichtet, Daten anlasslos zu speichern.

Wie geht es nach dem Urteil weiter?

Im Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht, dass die Koalition die „Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten“ will, „dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können“. Das Wort „anlassbezogen“ betont, dass eben keine anlasslose Speicherung aller Kommunikationsvorgänge mehr geplant ist. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat angekündigt, den Plan durch eine Quick-Freeze-Lösung umsetzen zu wollen. „Telekommunikationsanbieter sollen bei einem konkreten Anlass auf richterliche Anordnung hin schnell Daten sichern müssen, damit Polizei und Staatsanwaltschaft sie dann auswerten können“, erklärte er im vergangenen Dezember. Die Daten werden hier bei den Anbietern „eingefroren“, bevor sie sie routinemäßig löschen würden.

Während einer Rede auf dem Deutschen Anwaltstag sagte Buschmann in großer Deutlichkeit, was sein federführendes Ministerium vorhat: „Wir streichen die anlasslose Vorratsdatenspeicherung.“ Es soll stattdessen einen zweifachen Richtervorbehalt geben: einen, wenn Daten gesichert werden sollen, und einen weiteren, wenn die Ermittlungsbehörden darauf zugreifen wollen. Gemessen an den Vorgaben der vergangenen EuGH-Urteile ist eine solche Speicherung unproblematisch, denn durch das „Einfrieren“ der Datensätze werden gerade nicht alle Kommunikationsvorgänge unterschiedslos erfasst. „Ich hielte das für einen Gewinn für Freiheit und Sicherheit zugleich – und, wie gesagt, für die Herstellung von Rechtsfrieden in einem Konflikt, der nun schon fast zwei Jahrzehnte andauert“, sagte Buschmann.

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Damit scheint klar, dass es in der aktuellen Legislaturperiode keine Neuauflage der anlasslosen Kommunikationsdatenspeicherung in Deutschland geben kann. Für Irritation sorgten jedoch kürzlich Aussagen von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD), die eine solche Datenspeicherung forderte, um bei sexualisierter Gewalt gegen Kinder ermitteln zu können. Politiker von Grünen und FDP bekräftigten daraufhin in recht genervt wirkenden Kommentaren erneut ihre Ablehnung der Vorratsdatenspeicherung.

Wie groß der Spielraum bei einer Neuregelung ist, hängt zwar maßgeblich vom Urteil des EuGH ab. Faktisch ist es in der aktuellen Koalition aber keine rechtliche Frage von Details der Schranken im Urteil oder kleinteiligen juristischen Vorgaben, sondern schlicht eine politische Entscheidung. Von den drei Parteien der Koalition haben sich erklärtermaßen Grüne und die FDP gegen eine anlasslose Massenspeicherung ausgesprochen. Dass sich die SPD hier durchsetzt und einen großen Koalitionsstreit riskiert – zumal auch unter ihren Politikern und Mitgliedern große Vorbehalte gegen die Vorratsdatenspeicherung geäußert wurden –, ist nicht wahrscheinlich.


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