Es gibt so vieles, worüber man schreiben könnte zu Queerness und dem Internet. Aber heute geht es nicht. Denn die Gedanken unseres Kolumnisten sind bei Malte C. und vielen anderen, die Opfer queerfeindlicher Gewalt wurden.
Ich sitze hier und weiß nicht recht, worüber ich schreiben soll. Seit der letzten Ausgabe ist nur ein Monat vergangen, aber es ist viel zu viel passiert, um einfach einen Text über Queerness und irgendwas mit Internet zu schreiben.
Ich wollte eigentlich über Kiwifarms schreiben. Darüber, dass gesellschaftlicher Druck funktionieren kann, damit eine Hassplattform entfernt wird. Über die Verantwortung von Plattformen und Unternehmen.
Ich wollte über mangelnde Gesetze zum Schutz queerer Menschen schreiben, über eine Bundesregierung, die jetzt dann eventuell doch aus dem Quark kommt. Ich wollte darüber schreiben, dass es wirklich gut ist, dass der Queerbeauftragte der Bundesregierung endlich einen Entwurf für einen „Nationalen Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt“ vorgelegt hat. Und ich wollte die Frage stellen, warum er der dpa vorliegt, aber nicht von jeder anderen Person eingesehen werden kann. Ich wollte über Partizipation schreiben, über öffentlichen Diskurs.
Ich habe es versucht, aber ich konnte es nicht.
Malte C. ist tot. Mit 25 Jahren aus dem Leben gerissen, als Opfer queerfeindlicher Gewalt. Mehrere Tage lag er im künstlichen Koma, bis er seinen Verletzungen erlag. Der mutmaßliche Täter wurde ermittelt – es handelt sich um einen 20-jährigen jungen Mann. Malte starb am Freitag, den 2. September 2022.
Am 3. September, abends um 19:35 Uhr, wurde eine 57-jährige trans Frau in Bremen aus einer Gruppe attackiert. Das Eingreifen von anderer Fahrgäste hat Schlimmeres verhindert, die Frau musste aber mit schweren Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus. Die Tatverdächtigen sind Kinder und Jugendliche.
Am gleichen Tag wurden zwei Teilnehmer des CSD in Dresden (18 und 27 Jahre alt) angegriffen und verletzt. Die Täter waren maskiert und konnten unerkannt entkommen. Vorher wurde bereits auf dem Weg zum CSD ein Teilnehmer angeriffen und verletzt. Der Tatverdächtige ist 19 Jahre alt.
Ebenfalls am 3. September wurden gegen 20:50 Uhr zwei 21-jährige Männer und eine 18-jährige Frau, die den CSD in Dortmund besucht hatten, von zwei Unbekannten attackiert.
Bereits am 20. August, ebenfalls ein Samstag, wurde eine 27-jährige CSD-Besucherin gegen 22:10 Uhr in Lübeck Opfer eines Angriffs – ihr Kopf wurde unter anderem auf den Boden geschlagen.
Am Dienstag, den 14. September, hat sich der Todestag von Ella das erste Mal gejährt. Sie hatte sich selbst am Alexanderplatz in Berlin angezündet, um ihr Leben zu beenden, und man möchte meinen, es gäbe keine Täter*innen, die Ella dazu brachten. Die Täter hier: ein menschenunwürdiges Asylverfahren und Transfeindlichkeit.
Hoffentlich fragen sich nun einige, was sie tun können, um solche Taten und Opfer zu verhindern. Ein Anfang ist, queeren Menschen zuzuhören. Fragt sie, wie es ihnen geht. Haltet es aus, wenn sie von Angst erzählen. Ihr müsst gar nichts erwidern und erst recht keine Ratschläge geben. Ihr müsst nur einmal aushalten. Ich hätte gerne etwas Aufbauendes geschrieben, etwas Konstruktives. Etwas, das mehr als „Hört zu“ ist.
Ich habe es versucht, aber ich konnte es nicht.
Meine Gedanken sind bei Ella und Malte, den vielen namenlosen Opfern, ihren Angehörigen und Freund*innen. Meine Gedanken sind wirklich ganz woanders und ich hoffe, eure Gedanken sind es jetzt auch.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires