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Debatte über Vorratsdatenspeicherung: Ein Gesetz, das sie totes Pferd nannten

Die Union versucht, mit einer Scheindebatte im Bundestag die Ampel-Koalition beim Thema Vorratsdatenspeicherung weiter zu spalten. Das gelingt ihr nur bedingt. Ein Kommentar.

Totes Pferd, Zeichnung
Die Union will weiterhin die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. (Symboldbild) CC-BY-NC-SA 4.0 Winckelmann-Museum Stendal

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes, welches die deutsche Vorratsdatenspeicherung kippte, haben die Unionsparteien im Bundestag einen Antrag eingereicht, der für die Einführung einer sechsmonatigen IP-Vorratsdatenspeicherung plädiert. Das Thema verknüpfte die Union mit dem Kinderschutz und sexualisierter Gewalt, einem Thema, das seit einiger Zeit Terrorismus, Rechtsextremismus oder Organisierte Kriminalität als Steckenpferd für solche Debatten abgelöst hat. 

Für ihren Antrag wurde die Union bei der heutigen Plenardebatte gleich mehrfach aus den Regierungsfraktionen gerügt. Als „Scheindebatte“ bezeichnete Denise Loop von den Grünen den neuerlichen Anlauf der Union zur Vorratsdatenspeicherung. Konstantin von Notz verwies auf den nur zwei Seiten starken „Copy-Paste-Antrag“ der Union, der in Diskrepanz zur Wichtigkeit des Themas stünde. In ein ähnliches Horn blies Jens Zimmermann von der SPD.

Bei der Union zeigte man sich sehr überzeugt, dass das Urteil aus Luxemburg eine anlasslose, befristete Speicherung von IP-Adressen bei schwerer Kriminalität zulasse und verwies immer wieder darauf, dass die SPD-Innenministerin Nancy Faeser dies ja – in „Rücksprache mit Praktikern“ oder Experten, wie die Union nicht müde wurde zu betonen – erkannt habe.

„Kein Schutzpatron der Datenschützer mehr“

Auch sei der EuGH nach dem Urteil nicht mehr der „Schutzpatron der Datenschützer“ frohlockte Alexander Throm, ohne jedoch dafür einen Beweis zu bringen. Tatsächlich erlaubt der EuGH eine Speicherung von IP-Adressen, hat dafür aber sehr enge Grenzen unter bestimmten Bedingungen gesetzt. Und vermutlich nicht die sechs Monate, welche die Union ins Spiel brachte.

Man brauche das „Autokennzeichen im Netz“, so Günter Krings von der Union. Das von der Ampel geplante Quick Freeze sei ein „Pappkamerad“, mit dem man höchstens sein schlechtes Gewissen einfrieren könne. Seine Fraktionskollegin Andrea Lindholz warf der Ampel erwartungsgemäß vor, dass sie mit dem Datenschutz Täterschutz betreibe, und verwies auf die Verdopplung der Fallzahlen im Bereich der Darstellungen sexualisierter Gewalt gegen Kinder – natürlich ohne zu erwähnen, dass es sich hierbei nicht um ein absolutes Wachstum handelt, sondern um die Aufhellung des Dunkelfeldes, in dem gegen mehr Straftäter ermittelt wird als je zuvor. Eine anlasslose Speicherung sei zwingend notwendig.

Letzteres wurde von der linken Anke Domscheit-Berg gekontert, die der Union vorhielt, dass nur bei 3,4 Prozent aller strafrechtlich relevanter Hinweise an das BKA in diesem Bereich die fehlende IP-Adresse ein Hindernis für die Ermittlungen gewesen seien. Ein Argument, das auch aus den Reihen der Ampel noch mehrmals folgte.

SPD: Alles speichern, was geht

Während die Union das „tote Pferd“, wie es ihr gleich zweimal vorgeworfen wurde, in altbewährter Manier ritt, konnte man bei der SPD den Spalt erkennen, der beim Thema Vorratsdatenspeicherung durch die Partei geht. So sprach die SPD-MdB Sonja Eichwede davon, dass eine anlasslose Speicherung nicht rechtssicher zu machen sei und lobte die Ansätze Quick Freeze und Login-Falle als rechtssicher. Ihr Parteifreund Sebastian Hartmann forderte hingegen, dass man alles, was das Urteil an Speicherung ermögliche, auch tun werde. Es dürfe keine „rechtsfreien Räume“ geben, auch dieser Klassiker durfte nicht fehlen. Überhaupt werde sich Justizminister Buschmann ja bald mit Innenministerin Faeser treffen, ein Termin stehe schon fest.

Gerade Hartmann klang anders als die Koalitionspartner von FDP und Grünen, die in ihren Debattenbeiträgen einer anlasslosen Speicherung ganz klar eine Absage erteilten und nicht müde wurden, anlassbezogene und rechtssichere Instrumente zu versprechen.

„Im falschen Film“

Konstantin Kuhle, FDP, am Rednerpult des Bundestages
Kritisierte die Innenminister der Länder scharf: Konstantin Kuhle von der FDP. - Bundestags TV

Den wohl kämpferischsten Beitrag des Tages brachte FDP-Mann Konstantin Kuhle, der sich angesichts der Forderungen der Landesinnenminister nach Vorratsdatenspeicherung „im falschen Film“ wähnte. Er hätte nicht mehr verstanden, was mit den Innenministern los sei. Kuhle kritisierte auch den Versuch der Union, das Thema Vorratsdatenspeicherung mit sexualisierter Gewalt gegen Kinder zu verknüpfen, obwohl sie doch das Instrument bei allen möglichen Straftaten einsetzen wolle. Das sei eine „Masche“, mit der die Union die Bürger:innen überrumpeln wolle. Das kritisierte auch Misbah Khan von den Grünen, die der Union vorwarf, Massenüberwachung mit möglichst krassen Emotionen durchsetzen zu wollen.

Bei der Debatte war eigentlich klar, um was es ging: Die Union lobt die Innenministerin Nancy Faeser und greift Justizminister Marco Buschmann an. Sie will in der Frage der Vorratsdatenspeicherung einen Keil in die Ampel treiben. Sogar ein „Machtwort des Kanzlers“ fordert die Union. Denn Olaf Scholz wird nachgesagt, ein Befürworter der anlasslosen Massenüberwachung zu sein.

Die kommenden Wochen dürften spannend werden, weil FDP und Grüne sich klar gegen eine anlasslose Massenüberwachung positioniert haben. Und auch der Koalitionsvertrag ist in der Frage einigermaßen deutlich. Der erste Quick-Freeze-Entwurf aus dem Bundesjustizministerium ist angeblich schon fertig  – jetzt wird sich zeigen, wie standhaft Buschmann ist und wieviel Streit die Freund:innen des toten Pferdes vom Zaun brechen wollen.


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