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Netzneutralität: Scharfe Kritik an Kommissionsplänen

Online-Dienste wie Youtube verursachen viel Datentransfer. Das wollen sich große Netzbetreiber nun extra bezahlen lassen. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com CardMapr.nl

Bei Netzaktivist:innen schlug die Nachricht ein wie eine Bombe: Die EU-Kommission überlegt derzeit, die Netzneutralität aufzugeben. Um den Aufbau und Betrieb neuer Netze „fair“ zu gestalten, könnten sich doch große Online-Dienste wie Google oder Facebook an den Kosten beteiligen, umriss die EU-Digitalkommissarin Margrethe Vestager letzten Monat die Überlegungen in Brüssel.

Dagegen laufen nun dutzende zivilgesellschaftliche Gruppen Sturm. In einem offenen Brief warnen sie Vestager und ihren Kommissionskollegen Thierry Breton, am regulatorischen Rahmen zu rütteln, der das offene und freie Internet schütze. „Inhalteanbieter für die Nutzung von Internet-Infrastruktur zu Kasse zu bitten, würde elementare Schutzvorkehrungen der Netzneutralität untergraben“, heißt es in dem heute veröffentlichten Brief. Unterzeichnet haben ihn Nichtregierungsorganisationen wie European Digital Rights (EDRi), die Electronic Frontier Foundation (EFF) und der Chaos Computer Club (CCC).

Grundsätzlich schreiben die EU-Regeln zur Netzneutralität fest, dass Daten diskriminierungsfrei und unabhängig von Sender und Empfänger übertragen werden. Eine Kostenbeteiligung würde dieses Prinzip aushebeln und den Netzbetreibern zudem eine große Macht darüber geben, zu welchen Bedingungen Inhalte aus dem Netz bei Nutzer:innen ankommen – wenn überhaupt.

Neuauflage einer alten Forderung

Vor allem große und international tätige Netzbetreiber liegen der Politik schon seit Jahren in den Ohren, um zusätzliche Einnahmequellen zu ihrem Kerngeschäft zu erschließen. Damit sie besser auf der Börse dastehen, bräuchten sie mehr Kapital, so der Kern ihrer Argumentation. Angesichts stagnierender Umsätze und anstehender Investitionskosten in neue Netze sei dies aber kaum möglich, deshalb brauche es neue Zusatzgeschäfte. Außerdem sei es unfair, dass Online-Dienste den Löwenanteil der Gewinne in der Internetwirtschaft einfahren würden, die Netzbetreiber aber außen vor blieben, lässt sich einem kürzlich veröffentlichten Bericht des Lobbyverbands ETNO (European Telecommunications Network Operators Association) entnehmen.

Wie der Mechanismus genau aussehen könnte, der ihnen weiteres Geld in die Kasse spült, bleibt vorerst offen. Ein möglicher Ansatz heißt „Sending Party Pays“-Ansatz. Dabei überweist die sendende Partei, etwa Youtube oder Netflix, Geld an die Netzbetreiber. Dieser Ansatz sei im letzten Jahrzehnt ausführlich diskutiert und von Politik und Regulierungsbehörden stets zurückgewiesen worden, heißt es im offenen Brief. Es wäre das gleiche Modell, das im früher monopolisierten Telefoniemarkt für heute unvorstellbar hohe Preise gesorgt hat, warnen die NGOs. Letztlich gehe es nur darum, doppelt abzukassieren, denn Kund:innen bezahlen ja bereits dafür, um ins Internet zu kommen, schreiben die NGOs.

Dabei ist keineswegs ausgemacht, dass das zusätzliche Einkommen in den Netzausbau fließt. Erst letzte Woche ließ sich etwa der stellvertretende Orange-Chef Ramon Fernandez bei einer Diskussionsveranstaltung nicht darauf festlegen: Schließlich habe man habe Aktionäre, Mitarbeiterinnen und Kund:innen, die alle ein Stück des Kuchens abhaben wollen, so Fernandez. Die NGOs wiederum verweisen auf eine Studie, der zufolge es eine negative Korrelation zwischen hohen Enkund:innenpreisen und Investments in Netze gebe. „In anderen Worten, hohe Zugangsgebühren schaden dem Infrastrukturausbau, anstatt ihn fördern“, schreiben sie.

Wettbewerbsverzerrung programmiert

Ohnehin zielt das Lobbying der großen Betreiber wie Telekom Deutschland und Orange auf sie selbst ab. Kleinere Anbieter geben sich deutlich zurückhaltender. Der Bundesverband Breitbandkommunikation (Breko) etwa fürchtet eine Wettbewerbsverzerrung, sollten die Pläne tatsächlich umgesetzt werden. Ein „ausgeglichenes Spielfeld“ ließe sich mit den Forderungen der Großen kaum herstellen, heißt es in einem Positionspapier.

Ironisch sei auch die Tatsache, schreiben die NGOs, dass Mobilfunkanbieter in fast ganz Europa auf sogenannte Zero-Rating-Angebote gesetzt haben. Dabei wird der Zugriff auf ausgewählte Dienste nicht auf das monatliche Transfervolumen angerechnet, was Kund:innen anlocken soll. Diese Geschäftspraxis hat der Europäische Gerichtshof jüngst verboten, weil er nicht mit der Netzneutralität vereinbar ist.

Das von den Netzbetreibern forcierte Zero Rating hätte freilich dazu gedient, dass Kund:innen unbegrenzt auf die zugelassenen Dienste, darunter auch die Angebote großer IT-Firmen wie Youtube, zugreifen und entsprechend mehr Datentransfer verursachen. Nun würden sich die Netzbetreiber umdrehen und behaupten, genau dieses Datenvolumen würde ihre Netze überschwemmen und verstopfen, heißt es im offenen Brief: „Es kann nicht beides sein“.


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