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Datensammelwut: Norwegen will wissen, was die Bürger:innen im Supermarkt kaufen

Ein Einkaufswagen voll mit Kassenzetteln, mittels dere die Statistikbehörde Daten der Bürger:innen sammeln will
Norwegen will Daten der Bürger:innen über ihre Einkäufe im Supermarkt sammeln. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Christian Ohde

Norweger:innen müssen sich auf einen tiefen Eingriff in ihre Privatsphäre gefasst machen: Das Statistische Zentralamt Norwegen (SSB) will künftig im großen Stil detaillierte Daten zu Supermarkteinkäufen sammeln. Die großen Lebensmitteleinzelhändler Norwegens sollen täglich mehrere Millionen Kassenbons an die Behörde weiterleiten, ohne die Einwilligung der Kund:innen einzuholen. Sowohl Datenschützer:innen als auch Supermarktketten sehen diese Entscheidung kritisch.

Wie das norwegische Nachrichtenportal NRK berichtet, hat das SSB mehrere Supermarktketten dazu aufgefordert, die Daten der Quittungen an die Behörde zu übermitteln. Auch der Finanzdienstleister Nets, der rund 80 % aller norwegischen Transaktionen in Geschäften abwickelt, soll Daten zu Einkäufen in Supermärkten zur Verfügung stellen.

Offiziell, so die Behörde, habe man kein Interesse an personenbezogenen Daten von Individuen. Vielmehr gehe es darum, mithilfe der Supermarkt-Daten Cluster zu identifizieren. Wenn Einkäufe einem Haushalt zugeordnet werden, könnten sozio-ökonomische und regionale Unterschiede im Verbraucherverhalten statistisch ermittelt und Rückschlüsse auf Einkommen, Bildungsstand und Wohnort gezogen werden. In der Vergangenheit sind ähnliche, noch analog erhobene Daten und Statistiken unter anderem in Steuer- und Sozialgesetzgebung eingeflossen.

Das SSB ist eine staatliche Einrichtung und erstellt offizielle Statistiken zu den Themen Wirtschaft, Bevölkerungszahlen und Gesellschaft. Dabei darf das SSB Daten ohne Einwilligung von Bürger:innen und unabhängig der Verschwiegenheitspflicht sammeln. „Das SSB kann eine solche Forderung sowohl bei privaten als auch öffentlichen Einrichtungen durchsetzen,“ erklärt Susanne Lie, juristische Beraterin der norwegischen Datenschutzbehörde, gegenüber netzpolitik.org.

Zwar soll dies alles pseudonymisiert ablaufen. Doch das SSB weist selbst darauf hin, dass eine Verknüpfung der Kassenbons mit den Bezahltransaktionen über 70% aller Einkäufe auf einer individuellen Ebene nachvollziehbar mache.

Datenschützer:innen sind alarmiert

Inzwischen hat das Vorhaben auch die norwegische Datenschutzbehörde Datatilsynet auf den Plan gerufen. Deren Chefin, Janne Stang Dahl, will die Angelegenheit nun prüfen und fordert vom SSB eine genauere Erläuterung zum Zweck der Datensammlung. Schon jetzt lasse sich aber sagen, dass das Statistikamt die Bezahldaten mit Daten aus der Steuerverwaltung und aus dem Melderegister zusammenführen könnte, wie eine Pressemeldung der Datenschützer:innen ausführt.

Zudem stellt die Datenschutzbehörde klar, dass das Vorhaben des SSB die Offenlegung der Daten aller Personen vorsehe, die ihre Einkäufe mit einer Bankkarte bezahlen. Das betreffe auch Personen unter 18 Jahren mit eigener Bankkarte. Darin lässt sich laut Datenschutzbehörde ein unzumutbarer Eingriff in die persönlichen Daten über große Teile der norwegischen Bevölkerung sehen. Die Frage sei, wie viel der Staat über das tägliche Leben und die Gewohnheiten der einzelnen Bürger:innen wissen müsse, sagt Dahl.

Lisa Reutter von der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens forscht zu der Frage, wie der öffentliche Sektor digitalisiert wird und immer mehr Daten benutzt. „Wenn wir die Fähigkeit der öffentlichen Verwaltung ausbauen, Verhaltensweisen von Bürger:innen anhand großer Mengen digitaler Daten zu klassifizieren, prognostizieren und kontrollieren, verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen Bürger:in und Staat,“ so ihre Einschätzung gegenüber NRK.

Einzelhändler:innen reagieren mit Ablehnung

Daneben steht auch die Einzelhandelsindustrie dem Vorhaben des SSB kritisch gegenüber. Laut NRK werde etwa NorgesGruppen die Anordnung anfechten und die Datenschutzbehörde um Rat fragen. Coop überlege dem Bericht zufolge noch, ob es sich widersetzen werde. Der Finanzdienstleister Nets erklärte wiederum, es teile die Bedenken darüber, dass „die Sammlung und Auswertung von Daten für die einzelnen Bürger:innen problematisch und übergriffig“ sei.

Bereits im Jahr 2012 forderte das SSB 3.000 norwegische Haushalte dazu auf, in einem Büchlein aufzulisten, was sie konsumieren. Da die Auswertung der Angaben zeitintensiv und fehleranfällig gewesen sei, wurde unmittelbar darauf überlegt, ob man solche Daten nicht aus den elektronischen Pfaden herauslesen könnte, die Verbraucher:innen ohnhin hinterließen.

Das Sammeln von Daten in Geschäften ist mit Blick auf Payback-Karten oder Treueaktionen an sich kein neues Problem. Bei diesen Systemen werden persönliche Daten zum individuellen Kaufverhalten und zu Verhaltensmustern bestimmter Gruppen gegen Rabatte eingetauscht. Der wesentliche Unterschied zum Vorhaben des SSB ist jedoch, dass Kund:innen wissen, auf was sie sich einlassen und der Erfassung ihrer Daten ausdrücklich zustimmen müssen.


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