Das Smartphone ist für viele Asylsuchende ein besonders wichtiger Begleiter. Es dient etwa als Übersetzungshilfe und Kommunikationsmittel – manchmal ist es die einzige Verbindung zu Angehörigen. Umso drastischer ist es, wenn Beamt:innen die Mobiltelefone von Asylsuchenden einziehen, sobald diese in einem Land ankommen. So ist es Tausenden von Migrant:innen in Großbritannien ergangen. Ende März hat der britische High Court entschieden, dass die monatelange Beschlagnahme von Endgeräten und das Auslesen von darauf erhaltenen Daten rechtswidrig war.
Das Urteil des Gerichtshofs geht auf eine Klage von drei Asylbewerbern zurück. Die drei Kläger sind zwischen April und September 2020 in Dover angekommen. Sie waren gemeinsam mit anderen Asylsuchenden in Frankreich gestartet und haben den Ärmelkanal mit kleinen Booten überquert. Bei ihrer Ankunft haben Beamt:innen die Migranten durchsucht und ihre Endgeräte beschlagnahmt. Die Neuankömmlinge konnten sich keine Rufnummern notieren oder einen letzten Anruf tätigen – etwa, um Angehörige zu informieren.
Außerdem haben Beamt:innen teilweise nach den Zugangscodes der Geräte gefragt. Dabei haben sie Asylsuchenden mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht, sollten sie die Codes nicht herausgeben. So sollen nach Praxis des Innenministerium von bis mindestens Juli 2020 Daten von beschlagnahmten Endgeräten der Asylbewerber:innen erhoben worden sein.
„Sehr bedeutende Eingeständnisse“
Die Anhörung der drei Kläger hat Ende Januar dieses Jahres in London stattgefunden. Ein Vorwurf der Kläger lautet, dass die Forderung der Beamt:innen, die PIN-Nummern preiszugeben und dabei mit Sanktionen zu drohen, rechtswidrig sei. Die Handybeschlagnahme und Speicherung der Daten verletze das Recht auf Familien- und Privatleben und damit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Zusätzlich verstoße die Auslesung der Daten gegen den Data Protection Act 2018, so die Kläger. Mit dem Data Protection Act 2018 hatte Großbritannien die Allgemeine Datenschutzgrundverordnung umgesetzt.
Zuerst habe das Innenministerium bestritten, dass es die kritisierte Policy gab, so das Gericht. Als es dann aber zu einer Untersuchung der Vorwürfe kam, habe es „sehr bedeutende Eingeständnisse gemacht“. Das Innenministerium erkannte etwa an, dass seine Beschlagnahmungsrichtlinien den Datenschutz verletzt hatten und „keine rechtmäßige Grundlage für die Verarbeitung von Daten gemäß dem Data Protection Act 2018“ bestand. Das Innenministerium hat außerdem eingestanden, dass die Extraktion der Daten rechtswidrig war – ebenso wie ihre „PIN-Politik“.
Letztendlich wandte es sich selbst wegen Verletzung des Datenschutzrechts an die britische Datenschutzbehörde. Trotz dieses Eingeständnisses hält das Ministerium daran fest, dass die Beschlagnahmung der Telefone und die allgemeine Durchsuchung der Asylsuchenden gemäß dem britischen Einwanderungsgesetz rechtmäßig gewesen sei.
Das Urteil der Richter am 25. März fällt anders aus. Sie stellen fest, dass jener Abschnitt, auf den sich das Innenministerium beruft, nicht für die Durchführung von Personendurchsuchungen verwendet werden könne. Die Durchsuchung der Kläger sowie die Beschlagnahmung ihrer Telefone sei somit nicht rechtens.
Angriff auf Menschenrechte und Datenschutz
Die Richter führen an, dass die Forderung der Beamt:innen, Zugangscodes preiszugeben und mit Sanktionen zu drohen, ebenfalls rechtswidrig sei. Clare Jennings, eine der beteiligten Anwält:innen, sieht in dem Vorgehen des Innenministeriums ebenfalls einen Gesetzesverstoß. Sie sagt laut der Nichtregierungsorganisation Privacy International:
Eine solche systematische Erfassung personenbezogener Daten von schutzbedürftigen Asylbewerbern, die keiner Straftat verdächtigt wurden, war ein erstaunlicher und beispielloser Angriff auf die grundlegenden Rechte auf Privatsphäre.
Das Urteil der Richter stellt klar, dass das Vorgehen der Beamt:innen auch deswegen rechtswidrig war, da die Praxis nicht offiziell bekanntgegeben und pauschal angewendet wurde. „Fast 2.000 Telefone wurden Migranten in einer wahllosen Pauschalpolitik abgenommen“, sagt Daniel Cary, ein weiterer Klägeranwalt.
Die Richter klären in einer weiteren Anhörung, ob die Innenministerin ihre Pflicht zur Offenheit verletzt haben soll, indem sie nicht von Anfang an ihre Politik transparent dargelegt hat. Zu den Datenschutzfragen äußern sich die Richter nicht weiter: Die britische Datenschutzbehörde untersucht nun die Datenschutzvorwürfe.
Verfahren zu Handyauswertung in Deutschland
Auch in Deutschland werden Handyauslesungen bei Asylsuchenden vor Gericht verhandelt. Bereits im Mai 2020 hatten drei Geflüchtete mit der Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) vor verschiedenen Verwaltungsgerichten geklagt, dass ihre Smartphones von dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ausgelesen und ausgewertet wurden.
Ein gutes Jahr später kommt das Verwaltungsgericht Berlin in einem der Fälle zu einem Urteil: Das BAMF habe das Handy der Klägerin rechtswidrig ausgelesen. Nach dem Urteil ist das BAMF in Revision gegangen, der Fall liegt nun beim Bundesverwaltungsgericht.
Für die Juristin Lea Beckmann der GFF, die die Verfahren koordiniert, war die Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein großer Erfolg. „Das Verwaltungsgericht bestätigt mit dieser Entscheidung, was wir seit Jahren sagen: Das BAMF verletzt mit seinen Handydatenauswertungen Grundrechte“, so Beckmann. In Deutschland hat das BAMF seit 2017 eine gesetzliche Grundlage, um die Endgeräte von Asylsuchenden auszulesen, wenn sie keine gültigen Ausweisdokumente vorlegen können. Das Gesetz gilt schon seit seiner Einführung als umstritten.
Auch in Großbritannien kann das Urteil des Obersten Gerichtshofes ein Präzedenzfall für den Umgang mit Endgeräten von Asylsuchenden sein. Clare Jennings sagt: „Ohne diesen Rechtsstreit wäre die Politik des Innenministeriums im Verborgenen geblieben“.
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