Die Ukraine identifiziert mit der Gesichtersuchmaschine Clearview AI getötete russische Soldaten. Das hat der ukrainische Vize-Premierminister und Digitalminister Mychajlo Fedorow der Nachrichtenagentur Reuters bestätigt. Laut Fedorow können ukrainische Behörden mit Clearview AI die Social-Media-Accounts der russischen Gefallen ausfindig machen. Über diese kontaktieren die Behörden dann die Familienangehörige und informieren sie über den Tod der Gefallenen, so Fedorow.
Nachdem Russland die Ukraine angegriffen hatte, stellte Clearview seine Such-Software kostenlos der Ukraine zur Verfügung. Das geht aus einem Dokument hervor, das unter anderem Reuters vorlag. Mitte März gab das ukrainische Verteidigungsministerium an, die Gesichtserkennungssoftware im Land einzusetzen. Allerdings war bislang unklar, wofür es die Technologie konkret verwenden möchte.
Offenbar hohe Erfolgsquote
Die Suchmaschine aus New York funktioniert folgendermaßen: Nutzer:innen laden ein Foto von einem Gesicht in der Suchmaschine hoch. Die Technologie analysiert die Gesichtsmerkmale und gleicht sie mit den Gesichtern in seiner Datenbank ab. Aus dem Dokument geht hervor, dass das Unternehmen allein von dem russischen Online-Dienst VKontakte zwei Milliarden Fotos in seiner Datenbank haben soll. Nach Angaben von Fedorow soll der Einsatz von Clearview AI bisher eine hohe Erfolgsquote zeigen. Diese Angaben konnte Reuters nicht unabhängig überprüfen. Der Digitalminister versichert, dass die Software nicht gegenüber ukrainischen Gefallenen eingesetzt wird.
Fedorow meint im Interview mit Reuters, die ukrainische Behörden handeln aus „Höflichkeit gegenüber den Müttern dieser Soldaten“. Die Familien, die ihre Söhne verloren haben, hätten so die Möglichkeit, ihre Leichen abzuholen, meint Fedorow. Die ukrainische Regierung stellt außerdem ein Online-Formular bereit, mit dem Angehörige eine Abholung des Gefallenen beantragen können.
Die US-Organisation Surveillance Technology Oversight Project steht dem Einsatz von Clearview AI kritisch gegenüber. Albert Fox Chan, Direktor des Projekts, sieht die Gefahr, dass die Technologie unkontrolliert und missbräuchlich im Kriegsgebiet verwendet werden könne. Er weist auch auf das Risiko hin, dass Personen falsch identifiziert werden können.
Clearview meint dagegen in einem Statement, die Gesichtserkennungstechnologie könne dazu beitragen, die Unsicherheit in Kriegsgebieten zu verringern.
Laufende Verfahren gegen Clearview AI
Clearview AI nutzt für seinen Service eine Datenbank, die aus Bildmaterial aus dem Netz besteht. Dazu durchforstet Clearview AI das Internet nach Fotos von Gesichtern – und zieht diese auch von frei zugänglichen Online-Quellen, offenbar auch von dem russischen Sozialen Netzwerk VKontakte. Insgesamt verzeichnet die Datenbank von Clearview AI nach Eigenangaben weit mehr als zehn Milliarden Fotos.
Die Gesichterkennungssoftware steht schon länger in der Kritik: Online-Dienste sehen in der Technologie einen Verstoß gegen ihre Nutzungsbedingungen, Google und Facebook haben Clearview AI abgemaht. Bürgerrechtsorganisationen bezeichnen die Technologie als ein Tool zur ständigen Überwachung der Gesellschaft und haben bei europäischen Datenschutzbehörden Beschwerden eingereicht. Auch in Deutschland läuft ein Verwaltungsverfahren gegen Clearview. Dass Clearview nun wegen etwas anderem als Datenschutzproblemen in den Schlagzeilen ist, dürfte dem Unternehmen gelegen kommen.
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