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Besetzt die Blockchain!: Ende Kryptogelände

Bitcoin und Kohle
Krypto ist die Kohle des 21. Jahrhunderts: Wertvoll, aber dreckig – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / agefotostock

Wer wissen will, wie groß Kryptowährungen sind, muss auf den Fußball kucken. 24 Klubs in fünf europäischen Ligen geben Fan Tokens heraus, eigene Kryptowährungen, die frei gehandelt werden. Damit lässt sich, wie mit anderen Fanartikeln, prima Geschäft machen. Nach Schätzungen im Auftrag des Senders BBC brachte der Handel mit den Tokens bislang mehr als 300 Millionen Euro ein. Ein Bombengeschäft für Klubs und Handelsplätze. So bombig, dass Fanverbände inzwischen vor Abzocke warnen.

Nicht nur vor Fan Tokens wird gewarnt. Auch große Kryptowährungen wie Bitcoin und Ethereum gelten als riskant. Extreme Kurssprünge machten Bitcoin 2021 zu einem aufregenden, aber für Handelnde gefährlichen Geschäft. Trotzdem, Kryptowährungen werden immer mehr Mainstream. Im Vorjahr handelten Kryptobörsen Coins im Wert von 14 Billiarden US-Dollar – mehr als die Haushaltsausgaben aller EU-Länder zusammen. Die Wirtschaftspresse jubelt.

Silicon-Valley-Talente wechseln in Scharen zu Krypto-Startups. Diese hoffen, nicht nur mit Spekulation zu verdienen, sondern auch mit Milliardenanlagen aus der Altersvorsorge. Vom Nischenphänomen soll bald ein Massenprodukt werden, dass weltweit abhebt.

2021 war das Jahr der Schürfverbote

Das Geschäft mit Krypto ist nicht nur finanziell riskant. Der Boom steigert auch seinen immensen Energieverbrauch. Denn die meisten Kryptowährungen werden nur durch permanente Rechenoperationen am Laufen gehalten, die täglich viele Gigawatt Strom fressen. Strom, der oft aus schmutzigen Quellen stammt. Wie viel Strom, das berechnen Forscher*innen der Universität Cambridge in ihrem Bitcoin Electricity Consumption Index. An einem Tag sind es derzeit schätzungsweise 14 Gigawatt – so viel wie alle Gaskraftwerke des Konzerns RWE zusammen produzieren. Und die Tendenz steigt weiter. Bitcoin und andere Kryptowährungen müssen sich den Ruf gefallen lassen, ein globaler Treiber der Erderwärmung und eine Belastung für die Stromnetze zu sein.

2021 war daher das Jahr der Schürfverbote: China, wo bislang 20 Prozent des Kryptomining stattfand, hat es untersagt. Das Geschäft geht nun heimlich weiter, sagen Eingeweihte. Im öl-und gasreichen Kasachstan, wo mit billigem Strom viel nach Krypto geschürft wird, brachten Aufstände den Bitcoin-Kurs ins Wanken. Der Kosovo verbot Mining nach Stromausfällen, auch der Iran geht gegen ungezügelte Schürfaktionen vor.

Selbst in Europa und den USA kocht das Thema hoch. Das kleine Island, wo durch Erdwärme-Kraftwerke der Strom billig ist, zog kürzlich als Erstes die Reißleine: Miningfirmen aus Hongkong und Kanada hatten sich zum Schürfen angesiedelt, derzeit lehnt der größte Stromkonzern aber neue Kryptokundschaft ab. Wie viel in einzelnen Ländern geschürft wird, lässt sich schwer sagen, doch verlagern sich die globalen Zentren: Immer dorthin, wo es erlaubt ist, und der Strom billig. Aktuell beliebt ist der US-amerikanische Ölstaat Texas, wo die regierende Republikanische Partei trotz massiv überlastetem Stromnetz um neue Krypto-Schürfunternehmen wirbt.

„Wenn der Strom nur grün wäre,…“

Das Goldfieber rund um Krypto erschwert es mitunter, kritische Fragen zu stellen. Das gilt besonders für die Technologiebranche. Ein Beispiel liefert das weithin geschätzte Non-Profit Mozilla, dass den Firefox-Browser fertigt. Es bittet auch in Bitcoin um Spenden, blieb jedoch trotz heftiger Kritik von Unterstützer*innen eine Antwort schuldig, ob es eine saubere Art gibt, schmutziges Geld zu nehmen. Kurz vor Erscheinen dieses Textes kündigte Mozilla an, solche Spenden vorerst nicht mehr annehmen. Das Branchenmagazin Wired, das technologische Innovation zum Kult machte, fordert unterdessen eine „nuancierte“ Betrachtung von Kryptowährungen ein – so als wäre es einseitig, auf krasse Spekulation und verheerende Klimafolgen von Kryptowährungen hinzuweisen. (Aus dieser Reihung können wir uns selbst nicht ausnehmen: Auch netzpolitik.org akzeptiert bislang „ungern“ Spenden aus Kryptowährungen.)

Die Gretchenfrage an Kryptowährungen ist der Energieverbrauch. „Wenn der Strom nur grün wäre,…“ werden diejenigen einwenden, die an die leuchtende Zukunft dezentralen Geldes glauben. Doch genau da liegt das klaffende, gähnende, solarsystemgroße Problem: Der Menschheit fehlt bislang eine saubere und unendlich skalierbare Art, Energie zu erzeugen. Wenn wir die hätten, bräuchten wir keine doofen Klimakonferenzen, keine Milliardenfonds, keine Dokus von Al Gore. Dann wäre es nur eine Frage, wie schnell wir die Orbit-Kraftwerke bauen können, die verlustfrei Solarstrom nach unten funken können. Doch solange es die nicht gibt, bleibt die Energiewende das Jahrhundertprojekt schlechthin.

Klar, vermutlich gibt es Methoden, den Energieverbrauch von Kryptowährungen drastisch zu senken. Etwa modernere Rechner oder eine ressourcenschonendere Rechenmethode. Doch Ethereum, nach Bitcoin die bekannteste Kryptowährung, hat seine „von Anfang an geplante“ Umstellung auf die weniger rechenintensive Proof-of-Stake-Methode wegen technischer Schwierigkeiten verschoben. Das folgt der klassischen Logik der Tech Bros aus dem Silicon Valley: Erstmal rausballern – und wesentliche Probleme später lösen, irgendwann halt.

Dabei würde sich die umgekehrte Logik besser anbieten: Lasst Kryptowährungen laufen – aber erst, wenn der Energieverbrauch gering ist. Oder wir unendlich gratis Strom haben. Erste Stimmen in Europa folgen dieser Logik. Die schwedische Finanzaufsichtsbehörde forderte vor einigen Wochen erstmals ein Verbot von Kryptomining in der ganzen EU, bis weniger energieintensive Methoden verwendet werden. Applaus dafür gibt es von der norwegischen Regierung, die das bald europaweit zum Thema machen will.

Auch jenseits vom Klima gibt es berechtigte Kritik an Kryptowährungen. Dezentrale Geldtransfers, die von Behörden schwer kontrolliert werden können, mögen für manche eine Utopie sein. Für andere sind sie schlicht ein Einfallstor für organisierte Kriminalität. Etwa für Hacker, die mit Ransomware Milliarden in Kryptocoins erpressen. Nicht zuletzt deshalb plant die EU bereits eine Regulierung von Krypto-Börsen: Anonyme Transfers sollen erschwert werden.

Was nun fehlt, ist ein nächster Schritt: Nämlich darauf zu pochen, dass der Kryptoboom nicht unseren Planeten zum Kochen bringt. Die Klimabewegung, die bei Ende Gelände und vielen anderen Protesten Großes geleistet hat, könnte hier vorangehen. Erstmal brauchen wir ein Moratorium für Kryptomining in Europa – selbst wenn das Bitcoin, Ethereum und Co. nicht stoppt, setzen wir damit ein Zeichen: Dass uns Klimafolgen von Technologie nicht egal sind.


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