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Nancy Faeser: Zeitenwende im Innenministerium

Nancy Faeser wird Bundesinnenministerin. Die 51-jährige hessische Oppositionsführerin wird damit die erste Frau überhaupt an der Spitze des Bundesinnenministeriums und die zweite Person auf diesem Posten, welche aus der SPD kommt.

Das ist ein echter Wandel, denn traditionell sind Innenministerien in Deutschland eine hartnäckige Männerdomäne. Derzeit gibt es mit Sabine Sütterlin-Waack nur eine einzige Landesinnenministerin in Schleswig-Holstein. Zuvor waren mit Annegret Kramp-Karrenbauer und Monika Bachmann zwei Frauen auf Landesebene in dieser Position. Sie alle sind aus der CDU.

Überraschende Besetzung

Die Besetzung mit Faeser war ein echter Überraschungscoup der SPD, denn das ganze politische Berlin hatte bis zuletzt fest damit gerechnet, dass die bisherige Justizministerin Christine Lambrecht den Job bekommen würde. Laut informierten Kreisen verhinderte dies offenbar der hessische Landesverband.

Die in der Bundespolitik bisher eher unbekannte Nancy Faeser wurde 1970 in Bad Soden am Taunus geboren, wuchs in Schwalbach auf, wo sie heute noch lebt. Mit 18 Jahren trat Faeser in die SPD ein, wurde fünf Jahre später 1993 Mitglied des Kreistages. Nach dem Abitur studierte Faeser Jura in Frankfurt und arbeitete seit dem Jahr 2000 als Anwältin unter anderem bei der Wirtschaftskanzlei Clifford Chance.

Im Jahr 2003 zog sie in den hessischen Landtag ein. Dort ist sie seit 2009 fortlaufend im Innenausschuss für die SPD und innenpolitische Sprecherin ihrer Partei. Seit 2013 ist sie Mitglied der G10-Kommission des Landes Hessen.

Seit 2019 ist Faeser Landeschefin der hessischen Sozialdemokraten, davor war sie fünf Jahre lang deren Generalsekretärin.

Gegen den „Hessentrojaner“ für Geheimdienste

In ihre Zeit als hessische SPD-Generalsekretärin fällt auch eine politische Kontroverse um den hessischen Landesgeheimdienst im Februar 2018. Der Verfassungsschutz sollte die Befugnis zum Hacken bekommen, um etwa verschlüsselte Messenger-Kommunikation mitlesen zu können. Neben diesem Staatstrojaner, der im Amtsdeutsch als „Quellen-TKÜ“ geführt wird, sollte den Geheimen auch das heimliche Durchsuchen von ganzen Computersystemen erlaubt werden. Das sah jedenfalls der Entwurf des Verfassungsschutzgesetzes der schwarz-grünen hessischen Regierung vor. In Hessen hat der Landtag zur Kontrolle des Verfassungsschutzes und seinen Befugnissen eine geheim tagende Parlamentarische Kontrollkommission, für die damit zeitgleich erstmals eine gesetzliche Grundlage geschaffen werden sollte.

Faeser war damals die Vorsitzende dieser Parlamentarischen Kontrollkommission. In ihren Äußerungen wurde besonders dann Kritik an den neuen geheimdienstlichen Befugnisse deutlich, wenn sich Aufgaben des Verfassungsschutzes mit denen der Polizei zu überschneiden drohen. Sie kritisierte beispielsweise, dass in Hessen die Durchleuchtung der Organisierten Kriminalität überhaupt beim Verfassungsschutz angesiedelt werden soll. Beim geheimdienstlichen „Hessentrojaner“ sah sie schon die Begründung als unsinnig an: Der sollte nämlich nur bei einer dringenden Gefahr für wichtige Rechtsgüter zum Einsatz kommen. Es sei aber Aufgabe der Polizeibehörden des Bundes und der Länder, solche Gefahren abzuwehren. Diese würden einer starken rechtsstaatlichen Kontrolle unterliegen, die Geheimdienste hingegen gerade nicht, argumentierte Faeser.

Die SPD-Frau machte in der Anhörung auch klar, dass sie sich gegen eine Speicherung von Daten Minderjähriger unter 14 Jahren in geheimdienstlichen Dateien wendet.

Zu dem Gesetz hagelte es derart harsche Kritik und sehr viele kritische Anmerkungen, die in einer mehr als fünfstündigen Anhörung von zwanzig Sachverständigen vorgebracht wurden. Faeser stellte in der Anhörung detaillierte Fragen und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass sie bei den geladenen Experten ausgesprochen kenntnisreich nachfragte. Sie kommentierte danach den „Hessentrojaner“ für den Verfassungsschutz mit den Worten, dass dies „völlig unangemessene, weitreichende Eingriffe in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger“ seien, die auch noch ohne wirkungsvolle parlamentarische Kontrolle vorgesehen seien. Tatsächlich nahmen die Parlamentarier die Anhörung zum Anlass, in einigen Punkten nachzubessern und den „Hessentrojaner“ für den Geheimdienst zu streichen. Der hessische Verfassungsschutz erhielt also keine Erlaubnis zum staatlichen Hacken, wohl aber der Landespolizei.

Ob sie ihre damalige Kritik auch auf die heute genutzten Staatstrojaner auf Bundesebene überträgt, wird sich erst zeigen. Es kann gut sein, dass Faeser als Bundesinnenministerin dieses Überwachungswerkzeug nicht mehr in Frage stellen wird.

Polizeinahes Auftreten

Auf ihrer Webseite gibt sich Faeser sehr polizeinah. Als eines ihrer Ziele formuliert sie „eine starke Polizei in Hessen“, sie lässt sich bei Presseterminen mit der Polizei auch gern Mal in schusssicherer Weste ablichten.

Da verwundert es nicht, dass sie in ihrem kurzen Statement bei der Vorstellung der zukünftigen Minister:innen als einen von nur zwei Punkten nannte, dass sie sich für gut ausgebildetes und gut ausgestattetes Personal bei der Bundespolizei einsetze. Das heißt nicht, dass sie die Polizei nicht kritisieren kann.

Als diese die Räume eines Eintracht-Frankfurt-Fanclubs durchsuchte, nannte sie den Einsatz „überzogen“. Die Anschaffung der Palantir-Software für die hessische Polizei kritisierte sie als Mitglied des Untersuchungsausschusses zum Thema.

Rechtsextremismus als größte Bedrohung

Als zweiten Punkt sagte Faeser bei ihrer Minister-Vorstellung: „Ein besonderes Anliegen wird mir sein, die größte Bedrohung, die derzeit unsere freiheitlich demokratische Grundordnung hat, den Rechtsextremismus, zu bekämpfen.“

Mit diesem hat sie sich auch schon im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss auseinandergesetzt, in dem sie von 2014 bis 2018 Obfrau war. Unter den Zielen auf ihrer Webseite formuliert die Sozialdemokratin dementsprechend auch die „vollständige Aufarbeitung und Aufklärung der NSU-Verbrechen“.

Auch in der NSU-2.0-Affäre in der hessischen Polizei setzte sie den CDU-Innenminister Peter Beuth im Innenausschuss immer wieder unter Druck. Die Aussage Faesers im Willy-Brandt-Haus könnte also als Kampfansage an rechtsradikale Umtriebe in den ihr unterstellten Polizeien und Behörden verstanden werden. Man wird sehen, welche Taten ihrer Ankündigung folgen werden und ob in Zukunft das Bundesinnenministerium stärker als bisher Initiativen gegen Rechts unterstützen wird.

„Vielschichtiger Charakter“

Laut einem Porträt in der Frankfurter Rundschau gilt Faeser als Brückenbauerin zwischen dem Realo-Flügel, dem sie angehört, und den Parteilinken. „Die Juristin kann als vielschichtiger Charakter bezeichnet werden, denn sie ist sowohl für ihre freundliche, mitreißende Art als auch für ihre Angriffslust in Generaldebatten im hessischen Landtag bekannt, wenn sie mit der Arbeit der schwarz-grünen Landesregierung abrechnet“, heißt es in einer dpa-Meldung beim RND über sie. Dabei sei sie nie persönlich verletzend.

„Faeser lacht viel, umarmt viele und fühlt sich sichtlich wohl, wenn sie unter Leuten ist“, schreibt die Frankfurter Rundschau. Die Zeitung führt das auf das Erbe von Faesers Familie zurück, die aus Duisburg kam. Praktisch die ganze Familie sei in der NRW-SPD gewesen.

Mit ihrer offenen Art kommt sie auch beim politischen Gegner an. Der hessische FDP-Fraktionschef René Rock sagte einmal über sie: „Nancy Faeser ist eine Politikerin, die mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht und sich auch durchsetzen kann. Niemand sollte sie unterschätzen.“

Am Mittwoch soll Faeser in Berlin als Bundesinnenministerin vereidigt werden.


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