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Neues aus dem Fernsehrat (80): Programmbeschwerden im Programm behandeln

Mainzelmännchen Plakat

Seit Juli 2016 darf ich den Bereich „Internet“ im ZDF-Fernsehrat vertreten. Was liegt da näher, als im Internet mehr oder weniger regelmäßig Neues aus dem Fernsehrat zu berichten? Eine Serie.

Ein fixer Programmpunkt am Ende jeder Fernsehratssitzung sind Programmbeschwerden von Zuschauerinnen und Zuschauern. In der Vergangenheit wurden alle diese Programmbeschwerden im Fernsehrat zurückgewiesen, was mich in Folge 31 dieser Serie zu folgendem Fazit gebracht hat:

Auf meine Frage, ob schon jemals eine Programmbeschwerde nicht zurückgewiesen worden sei, wurde mir erklärt, dass auch bei Zurückweisung einer Beschwerde diese immer eine intensive Beratung zur Folge hätte. […] Dennoch hinterlässt die ausnahmslose Zurückweisung sämtlicher Beschwerden den Eindruck, als würde das Aufsichtsgremium eine offizielle Rüge – und mehr wäre mit dem Stattgeben einer Beschwerde nicht verbunden – des Senders scheuen.

Verschiedene Beschlusskategorien für Beschwerden an den ZDF Fernsehrat
Beschlusskategorien für den Umgang mit Programmbeschwerden im ZDF Fernsehrat - Alle Rechte vorbehalten ZDF Fernsehrat

Nicht zuletzt, um diesen schlechten Eindruck etwas abzumildern, und um der differenzierten Bearbeitung verschiedener Programmbeschwerden besser gerecht werden zu können, wurden 2020 mit Beginn der aktuellen Fernsehratsperiode vier verschiedene Beschlusskategorien eingeführt. Der Fernsehrat kann einer Beschwerde stattgeben und einen Verstoß gegen die Programmgrundsätze feststellen. Wenn er zu dem Ergebnis kommt, dass die Beschwerde unbegründet ist, kann er dennoch zusätzlich ein ergänzendes Votum formulieren. Die letzte Kategorie wäre, wenn sich der Beschwerdegrund in der Zwischenzeit erledigt hat.

Viel wichtiger noch als die Form der Erledigung einer Programmbeschwerde im Fernsehrat ist aber der Umgang mit Fehlern ganz allgemein. Dazu zählt insbesondere die rasche und öffentliche Korrektur von Fehlern. Denn Fehler passieren. Entscheidend ist, wie Medien mit Fehlern umgehen. Und der Anspruch an öffentlich-rechtliche Fehlerkultur muss sich dabei an höchsten Maßstäben messen lassen.

Schwer verlinkbare Richtigstellungsrumpelkammer

Die Praxis, auch im ZDF, sieht hier leider oft anders aus. Zwar gibt es eine Liste mit “Korrekturen und Richtigstellungen”. Wer sie finden möchte, muss aber schon gezielt suchen. Einzelne Einträge in der Liste sind nicht direkt verlinkbar, sondern hinter Aufklapp-Menüs versteckt. Was es auch für das ZDF technisch schwierig macht, Richtigstellungen mit Mediathek-Inhalten per Link zu verknüpfen.

Deshalb kann auch ich hier nicht direkt auf die Korrekturmeldung zum Heute-Journal vom 15. November 2021 verlinken, deren Hintergrund Frederik von Castell für Übermedien aufgearbeitet hat. Wegen einer fehlerhaften statistischen Darstellung wurde die Gefahr, wegen einer Covid-19-Infektion im Krankenhaus zu landen, als viel zu niedrig dargestellt. Die Formulierung der Korrekturmeldung in der “Richtigstellungsrumpelkammer” (© von Castell) macht es aber fast unmöglich, den Fehler auch nur nachzuvollziehen. Oder wie es von Castell formuliert:

“Wenn sie den […] Worthaufen auf Anhieb verstehen, haben Sie meine volle Ehrfurcht.”

Und auch wenn die Richtigstellung erst nach mehreren Tagen veröffentlicht wurde, gab es in diesem Fall – aus Perspektive eines offenen Umgangs mit Fehlern – sogar ein „Happy End“: Klaus Kleber korrigierte den Fehler an prominenter Stelle im Heute-Journal.

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Programmliche Behandlung von Programmbeschwerden als Ausnahmefall

Das Problem ist aber, dass eine programmliche Bearbeitung von Programmbeschwerden bislang die große Ausnahme ist. Gerade in komplizierteren Fällen, wo es nicht nur um die Korrektur eines simplen Statistikfehlers geht, wäre eine programmliche Bearbeitung aber besonders sinnvoll.

Ein schönes Beispiel dafür, wo so eine programmliche Nachbearbeitung einer Programmbeschwerde angebracht wäre, ist der Fall der verunglückten ZDF-Kindersendung “Das Zockerhaus”. In dem Format mussten (die männlichen) Jugendlichen “zur Strafe” fürs Verlieren ihre “Nägel lackieren”, “in rosa Einhornbettwäsche schlafen” oder “den besten Freund anrufen und sagen, wie sehr man ihn liebt”. Der Watchblog “Goldener Zaunpfahl” schreibt in einem offenen Brief an das ZDF:

‚Das Zockerhaus‘, […], ist ein zutiefst sexistisches Format, das ungefiltert Geschlechterrollen-Klischees bedient, Bilder toxischer Männlichkeit reproduziert, schwulenfeindliche* Botschaften verbreitet und damit in keiner Weise dem aus Art. 5, Abs. 1, Satz 2 des Grundgesetzes abgeleiteten Bildungsauftrag einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt sowie Ihren eigenen Richtlinien zum Jugendmedienschutz und zur Gleichstellung der Geschlechter genügt.

Bleibt die Frage, wie das ZDF neben der bereits erfolgten Antwort des ZDF-Intendanten mit so einem Fall umgehen sollte. Im Freitag hat Karsten Laske einen Vorschlag gemacht, der in die richtige Richtung geht:

Aber ist Canceln die Lösung? Klüger und endlich ein Beitrag zur Bildung und Medienkompetenz der jungen Zuschauenden wäre doch, ließe das ZDF die sechs Jungs nachträglich über die Dreharbeiten im Zockerhaus sprechen. Unzensiert und frei. Aber das hieße, Fehler einzuräumen. Man müsste Produktionsbedingungen offenlegen, ließe sich in die Karten gucken und alle sähen, dass sie gezinkt sind. Deshalb wird es niemals passieren.

Genau diesen Anspruch schonungsloser und öffentlicher Aufarbeitung von Fehlern ist es, den wir an öffentlich-rechtliche Medien stellen sollten. Genau deshalb sollte die programmliche Bearbeitung von Programmbeschwerden von der absoluten Ausnahme zum Regelfall werden. Gerade auch in Fällen, die über simple Fehlerkorrektur hinausgehen. Gerade auch bei Beschwerden, die nach einer differenzierten Betrachtung verlangen. Dann ist es auch nicht so wichtig, wie genau eine Beschwerde im Fernsehrat am Ende kategorisiert wird.


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