Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Digitale-Dienste-Gesetz: Presseverlage wollen Privileg für ihre Inhalte

New York Times on Facebook

Was Plattformen nach ihren eigenen Regeln löschen und sperren, sorgt immer wieder für Kontroversen. Das gilt etwa für Facebooks Leitlinie, unbedeckte weibliche Brüste aus der Timeline zu verbannen. Dieses „Nippelverbot“ gilt auch für journalistische Inhalte, etwa bei Berichten über Protestaktionen der feministischen Gruppe Femen. Empörte Reaktionen gab es auch, nachdem Facebook das berühmte Bild vom „Napalmmädchen“ aus dem Vietnam-Krieg löschte, das eine norwegische Zeitung veröffentlicht hatte.

Lobbyorganisationen der Presseverlage drängen in Brüssel nun auf eine Sonderregelung für ihre Inhalte in sozialen Netzwerken: Facebook, TikTok und Youtube sollen journalistische Inhalte praktisch nicht mehr löschen oder in ihrer Reichweite reduzieren dürfen. Erlaubt sein soll das nur noch, wenn diese explizit gegen Gesetze verstoßen. Die Forderung stößt auf heftigen Einspruch von Expert:innen, die fürchten, dass damit fragwürdige Medien einen Freifahrtschein bei der Verbreitung von Desinformation erhalten.

Doch EU-Abgeordnete arbeiten daran, eine solche Bestimmung im geplanten Digitale-Dienste-Gesetz zu verankern. Über diese EU-Verordnung wird intensiv im EU-Parlament verhandelt, sie soll unter anderem Regeln für die Moderation von Inhalten schaffen. Wenn Plattformen von illegalen Inhalten wie etwa Hassrede oder urheberrechtlich geschütztem Material erfahren, müssen sie diese umgehend löschen. Es steht ihnen aber nach Vorschlägen der Kommission weiterhin frei, eigene Regeln zu machen und durchzusetzen.

„Wir verlieren Geld, Traffic und Sichtbarkeit“

Es gebe genügend ähnliche Beispiele, wo Inhalte unbegründet von den Plattformen entfernt werden, sagt Aurore Raoux vom Branchenverband News Media Europe zu netzpolitik.org. Sie nennt Beispiele: ein Video des belgischen Senders RTBF über rassistische Polizeigewalt in Antwerpen, das angeblich aus Kinderschutzgründen von Facebook gesperrt wurde. Oder die App der Satirezeitung Titanic in Deutschland, die wegen angeblich pornographischer und blasphemischer Titelblätter für einige Tage aus dem Google Play Store verschwand.

„Wir verlieren Geld, Traffic und Sichtbarkeit“, klagt Raoux. „Manchmal stellen die Plattformen die Inhalte wieder her, aber in der Zwischenzeit sind wir aufgeschmissen.“

Auf Anregung der Presseverlage hin haben mehrere Abgeordnete gesetzliche Schritte vorgeschlagen, die die Moderationspraktiken großer Plattformen wie YouTube und Facebook beschränken. Die Plattformen dürften Inhalte von Pressepublikationen „nicht entfernen, den Zugang blockieren, sperren oder auf andere Weise eingreifen“, heißt es in zwei verschiedenen Ergänzungsvorschlägen zum Digitale-Dienste-Gesetz, die Abgeordnete im Rechtsausschuss des EU-Parlaments vorlegten. Noch ist unklar, ob die Vorschläge breit unterstützt werden. Entscheidend ist der für den Verordnungsentwurf federführende Binnenmarktausschuss. Dort haben sich Abgeordnete bislang nicht festgelegt, ob sie den Vorschlag unterstützen.

Facebook und Twitter kennzeichnen Staatsmedien

Kritische Worte für den Vorstoß gibt es von Vertreter:innen der Zivilgesellschaft. Gegen Medien wie den russischen Staatssender RT gebe es dann kein Gegenmittel, warnt Diana Wallis von EU Disinfo Lab, eine Organisation, die sich mit der gezielten Verbreitung von Falschinformationen in sozialen Netzwerken beschäftigt. Bislang ist es so, dass Facebook und Twitter „staatlich kontrollierte“ Medien wie RT auf freiwilliger Basis kennzeichnen. Bei Facebook unterliegen solche Medien höheren Transparenz-Anforderungen, bei Twitter werden sie nicht algorithmisch empfohlen oder gefördert.

Unbeabsichtigte Konsequenzen müssten mitbedacht werden, wenn neue Regeln für die Inhaltemoderation auf Plattformen wie Facebook geschaffen würden, betont auch Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung gegenüber netzpolitik.org. „Es geht hier also um die Balance zwischen dem völlig berechtigten Hinweis, dass Plattformen nicht alles alleine entscheiden und durchsetzen können sollen, und der Gefahr, dass diese gute Absicht dadurch zunichte gemacht wird, dass am Ende ein Freifahrtschein für jegliche ‚Medien‘ dabei rauskommt.“

Vorbehalte gegen die Bestimmung äußert auch die EU-Kommission. „Sie hätte potenziell negative Folgen für die Arbeit gegen Desinformation […] und könnte als unzulässige Beschränkung der unternehmerischen Freiheit angesehen werden“, sagt auch ein Kommissionssprecher gegenüber dem Medium Politico.eu. Es könne dann sogar verboten sein, fragwürdigen Quellen zu Covid-19 offizielle Informationen zur Seite zu stellen, wie es Facebook macht.

Noch deutlicher wird EU-Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová bei einer von EU Disinfo Lab veranstalteten Konferenz: „Für mich ist das eine Kiste guter Absichten, die direkt in die Hölle führt.“


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires