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Corona-Warn-App: Wenn die App plötzlich rot zeigt

Plötzlich prasselt es rote Warnungen

Seit mehr als 18 Monaten beschäftige ich mich nun mit der Corona-Warn-App. Ich bin Nutzer der ersten Stunde. Ich habe die Entstehung der Anwendung journalistisch begleitet, habe über ihre Weiterentwicklung geschrieben und über ihren Sinn diskutiert. Dass die App mich eines Tages nochmal so aufwühlen würde, hätte ich nicht gedacht.

In letzter Zeit nutze ich die CWA eigentlich nur noch, um meinen Impfstatus nachzuweisen. Doch im Hintergrund macht die App weiter mit dem, wofür sie mal geschaffen wurde. Unbemerkt und unbeirrt tauscht der digitale Helfer pseudonyme Schlüssel mit den Smartphones der Menschen, die ich treffe. Damit wir uns warnen können, falls es ernst wird.

Und jetzt ist es plötzlich soweit: Ich erhalte eine Warnung vor einem Risikokontakt. Nicht „geringes Risiko“, wie ich es schon oft hatte, sondern „erhöhtes Risiko“. Ernstfall. Wo mich vorher beruhigendes Grün begrüßt hat, springt mich nun grelles Rot an.

Alleingelassen mit der App

Wie mir geht es in diesen Wochen vielen Menschen. Während das öffentliche Leben weiterläuft als wäre nichts, klettert die 7-Tage-Inzidenz auf immer neue Rekordwerte. Damit steigt auch die Zahl der Benachrichtigungen über die Corona-Warn-App. In der ersten Novemberwoche hat sie nach eigenen Angaben fast 200.000 Personen rot gewarnt.

Für viele bedeutet das enorme Verunsicherung. Weite Teile der Politik signalisieren seit Wochen: Die Pandemie ist fast vorbei. Ende November soll die „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ auslaufen, wenn es nach Noch-Gesundheitsminister Spahn (CDU) geht. Heute berät der Bundestag einen entsprechenden Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP.

Covid-19 wird endemisch, heißt es jetzt häufig. Im Vergleich zum pandemischen Zustand wird das Virus also zur Normalität, mit der wir leben müssen. In einen Normalzustand kommen wir aber nicht von heute auf morgen. Dass das Ende der Pandemie beispielsweise nicht mit sinkenden, sondern mit steigenden Infektionszahlen einhergeht, bräuchte besonders gute Kommunikation.

Stattdessen zeigt eine Recherche meines Kollegen Markus Reuter: Menschen, die jetzt eine rote Warnung bekommen, werden häufig allein gelassen. Ein PCR-Test würde Klarheit bringen, eigentlich steht er ihnen wohl irgendwie zu. Doch darüber informiert sie weder die App noch die Hotline des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes. Das Gesundheitsministerium macht widersprüchliche Aussagen und an vielen Testzentren werden Menschen mit roter Warnung abgewimmelt oder aufgefordert, selbst zu zahlen.

Es wirkt fast so, als gäbe es keine Erkenntnisse darüber, dass Geimpfte das Virus trotzdem übertragen können. Als seien Tests nur etwas für Ungeimpfte. Für Menschen, die dringend zur Arbeit müssen, die Kranke oder Alte pflegen, die sich um (ungeimpfte) Kinder kümmern, ist das ein echtes Problem. Sie können nicht im Unklaren darüber bleiben, ob sie ansteckend sind.

Die Gedankenmaschine rattert los

Als die App mich warnt, will ich gerade ins Büro. Laut App liegt die Begegnung fast eine Woche zurück. Sofort rattert die Gedankenmaschine los. Was habe ich an dem Tag nochmal gemacht? Richtig, ich war im Büro. Ich war fast allein. Dass von den anderen niemand die Warnung ausgelöst hat, finde ich schnell heraus. Also weiter überlegen. Abends war ich essen, dann in einer Bar. Und ich bin mit den Öffis gefahren. Natürlich mit Maske, natürlich unter Einhaltung der Auflagen. Normales Leben eben, soweit möglich. Die Pandemie ist doch fast vorbei, habe ich gehört.

Und jetzt muss ich mich doch fragen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ich mich an einem dieser Orte angesteckt habe. Mal wieder. Nach bald zwei Jahren mit Covid-19 in der Welt ist es nicht das erste Mal, dass bei mir dieses Gedankenspiel abläuft. Einmal war ich bei einem privaten Abendessen. Einer der Gäste wurde kurze Zeit später positiv auf Covid-19 getestet. Ein anderes Mal hatte ich im Testzentrum einen falsch-positiven Schnelltest. Immer sorgte ein PCR-Test für Entwarnung.

Solange Tests überall verfügbar waren, war das kein Problem. Auch jetzt verfalle ich beim Blick auf die App nicht in Panik. Die Impfung hilft. Dass ich keine Symptome habe, auch. Aber: Es gibt Durchbrüche, auch Geimpfte sind nicht vollkommen geschützt. Und die Ansteckung funktioniert auch ohne Symptome.

Deshalb löst die rote Warnung ein Gefühl in mir aus, von dem ich dachte, dass ich es hinter mir gelassen habe: Es ist diese ganz spezifische Corona-Unsicherheit, wie sie viele von uns seit Beginn der Pandemie immer wieder gespürt haben. Was, wenn ich mich angesteckt habe? Was, wenn ich andere angesteckt habe?

Dann geht das Rechnen los: Wann war ich am Wochenende im Theater und wann in der Kletterhalle? Wann war ich beim Haareschneiden und wann beim Tanzen? Meine Partnerin war bei mir, Tage später war sie im Büro. Ab wann wäre ich eine Gefahr für andere?

Und vor allem: Wie geht es jetzt weiter? Nochmal tagelang in Sicherheitsisolation will ich nicht. Eigentlich wollte ich ins Büro. Auf ein Netzwerktreffen von Nichtregierungsorganisationen. Herrgott, ich wollte sogar ins Casino. Die Pandemie ist doch fast vorbei, habe ich gehört. Am Wochenende will ich meine Eltern treffen, beide Risikogruppe.

Die Hotline empfiehlt, ich solle auf meinen Körper hören

Ich brauche Klarheit. Ein Schnelltest zuhause ist negativ. Aber was heißt das schon? Wenn ich von Christian Drosten eines gelernt habe, dann, dass nur ein PCR-Test Klarheit bringt (oder jedenfalls etwas, das dem möglichst nahe kommt).

Doch die Verfügbarkeit von Tests ist gerade reduziert, obwohl es eigentlich genügend gibt. Die Testzentren, die noch bis vor wenigen Wochen an jeder Ecke zu finden waren, sind selten geworden. Seit einem Monat gibt es keine kostenlosen Bürgertests mehr und auch das Angebot an PCR-Tests ist schmaler. Es war eine politische Entscheidung, um Kosten zu sparen und den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen. An vielen Orten gilt jetzt die 2G-Regel, das verleitet leicht zu der Annahme, dass nur noch Ungeimpfte ein Problem hätten. Doch viele Kinder können noch nicht geimpft werden und bei vielen Älteren und anderen, die früh geimpft wurden, lässt der Schutz bereits nach.

Um die Krankenhäuser nicht zu überlasten, sei jetzt das „akute Ziel, nicht zu viele Infektionen auf einmal zuzulassen“, erklärt Virologe Drosten gerade bei Zeit Online. Das aber geht nur, wenn die Menschen, die möglicherweise ein Risiko darstellen, sich testen lassen können.

Ich selbst bin dabei erheblich privilegiert: Ich will mich nach der roten Warnung nicht lange isolieren müssen, aber ich könnte. Ich kann von zuhause aus arbeiten, muss keine Kinder betreuen. Menschen in anderen Lebenssituationen haben diese Wahl nicht. Sie bringt die rote Warnung in ein echtes Dilemma.

Weil Kollege Markus Reuter mir von seiner Recherche berichtet, weiß ich von Schwierigkeiten mit den PCR-Tests. Also rufe ich die Hotline des Kassenärztlichen Bereitschaftsdienstes an, wie es mir die Corona-Warn-App empfiehlt.

Mein Gesprächspartner ist freundlich, hilfsbereit und wirkt kompetent. Er redet mir gut zu. Sorgen bräuchte ich mir nicht zu machen, eine Warnung über die App bedeute nicht automatisch eine Infektion. Er erklärt mir, wie die App funktioniert, sie warnt nur vot Menschen in der Nähe, die später positiv getestet wurden. Ich weiß das, aber ich höre es mir bis zum Ende an.

Solange ich geimpft sei und keine Symptome habe, könne ich normal weiterleben, sagt er. „Hören Sie auf Ihren Körper.“ Ich dachte, es gibt auch symptomfreie Ansteckungen? „Machen Sie immer mal wieder einen Schnelltest.“

„Eigentlich steht Ihnen das zu“

Dass ich das Virus früher oder später bekomme, an den Gedanken habe ich mich gewöhnt. Aber um mich geht es mir in dem Moment gar nicht. Soll ich echt unter Menschen gehen, obwohl mich die App gewarnt hat? Das fühlt sich falsch an.

Ich frage deshalb nach dem PCR-Test. Mein Gesprächspartner hätte das Thema nicht von selbst angesprochen. Jetzt sagt er: „Ja, das steht Ihnen frei.“ Und er schiebt hinterher: „Eigentlich steht Ihnen das zu.“ Eigentlich? Da erzählt auch er davon, dass offenbar viele Menschen mit roter Warn-App von Testzentren weggeschickt werden. Dass hätten ihm in den letzten Tagen häufig Menschen berichtet.

Ich überlege kurz, was ich jetzt machen soll. Im Zweifelsfall selbst zahlen? Oder von Testcenter zu Testcenter tingeln?

Ich könne es auch bei meiner Hausärztin oder Ärzten mit Infektionssprechstunden probieren, sagt mein Gesprächspartner noch. Da ist es gerade 11:45 Uhr. Um diese Zeit in Berlin einen Arzttermin bekommen? Viel Vergnügen. Das sieht er ein. Er sucht mir Testzentren in meiner Nähe heraus und empfiehlt die interaktive Karte des Landes Berlin.

Dort allerdings finde ich direkt ein altes Testcenter in meiner Nachbarschaft, das längst geschlossen hat. Ein anderes versuche ich telefonisch zu erreichen, um vorher zu klären, ob sie mich wegschicken – und scheitere. Die Telefonnummer herauszufinden ist schwer genug, jemanden ans Telefon zu bekommen scheinbar unmöglich.

Tests sollten keine Mangelware sein

Zum Glück ist mein Kollege bestens informiert. Er erklärt mir, dass es bei staatlichen Testcentern offenbar seltener Probleme mit dem kostenlosen PCR-Test gibt.

Der Weg ist etwas weiter, aber tatsächlich: Hier geht es dann ganz schnell. Ich zeige die App mit der roten Warnung, kann mich registrieren und bekomme nach wenigen Minuten einen kostenlosen PCR-Test.

Na also, es geht doch. Wer eine rote Warnung hat und ein staatliches Testzentrum aufsucht, sollte keine Probleme haben, einen kostenlosen PCR-Test zu bekommen. Dass genau das nicht überall kommuniziert wird, ist fatal.

Wir befinden uns in einer kritischen Übergangsphase. Wieder mal müssen die Intensivmediziner:innen vor einer Überlastung des Gesundheitssystems warnen. In so einer Situation sollten Tests keine Mangelware sein. Angesichts von Impfdurchbrüchen und ungeimpften Kindern sind sie noch immer eine wichtige Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und andere zu schützen. Das Chaos um die Warnungen der App ist das genaue Gegenteil von dem, was wir jetzt brauchen.

Ich selbst bekomme etwa 24 Stunden später die gute Nachricht: Der Test ist negativ. Es ist gut, dass die App mich gewarnt hat. Es ist gut, dass ich mich isolieren konnte. Und es ist gut, dass ich jetzt Klarheit habe. Ich hoffe, dass die App mich nicht nochmal erschreckt. Denn die Pandemie, sie ist doch bald vorbei, habe ich gehört.


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