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Wochenrückblick KW 36: Transparenz und ein Fritz-Bauer-Preis

Durchsichtige Quallen schwimmen im Meer umher.

Die Autovervollständigungs-Funktion der Google-Suchmaschine erleichtert vielen von uns das Leben. So müssen wir keine komplette Suchanfrage eingeben, sondern erhalten ergänzende Vorschläge von Google. Dass diese Unterstützung auch höchst problematisch sein kann, zeigt Chris Köver in ihrem Artikel über Cyberstalking und Spionage-Apps. Wer in der Suchmaschine von Google die Wörter „Handy Freundin“ eingibt, erhält automatische Ergänzungen, die zur digitalen Überwachung der Freundin aufrufen. Außerdem werben Unternehmen auf Google mit entsprechender Spähsoftware für den privaten Gebrauch. Diese Spionage-Apps können heimlich auf das Handy zugreifen und etwa die Kamera, das GPS oder Mikrofon aktivieren. Zwar verbietet Google weltweit, für solche Produkte zu werben, die Firmen tarnen diese aber als „Monitoring-Apps“ für Eltern von minderjährigen Kindern. 

Deutsche Trojaner und kalifornische Polizist:innen

Spionage auf deutschem Boden gibt es nicht nur im privaten Raum, sondern sie kommt auch von staatlicher Seite. Markus Reuter berichtet über die erschreckende, aber leider wenig überraschende, Offenbarung die Bundesregierung sei im Besitz eines Staatstrojaners – und das schon seit 2019. Es handelt sich um eine Version der Überwachungssoftware Pegasus. Eine Vielzahl von Regierungen nutzt Pegasus, um Aktivist:innen, Oppositionelle und andere relevante Personen zu bespitzeln. Die Bundesregierung weigert sich aus „staatswohlbegründeten Geheimhaltungsinteressen“ weitergehende Informationen herauszugeben und parlamentarische Anfragen zu beantworten. 

Doch nicht nur Deutschland fällt diese Woche unangenehm mit Überwachungsmaßnahmen auf: Eine neunteilige Serie des Brennan Center for Justice deckt auf, wie die Polizei in Los Angeles ihre Überwachungsinstrumente auf Sozialen Netzwerken schärft. Die Polizist:innen sollen seit 2015 bei polizeilichen Befragungen Informationen zu privaten Social-Media-Accounts kontrollieren. Außerdem legt der Bericht der gemeinnützigen Organisation offen, welche Software das Los Angeles Police Department einsetzt, um Bewegungen auf Sozialen Netzwerken zu überwachen. Dabei hat die Polizei hauptsächlich linke und antirassistische Initiativen wie die Black Lives Matter-Bewegung im Auge. Kritiker:innen sehen in der digitalen Polizeiarbeit eine „enorme Ausweitung der Netzüberwachung“. 

Privacy-Probleme bei WhatsApp und ProtonMail 

Ein weiterer investigativer Bericht aus den USA beschäftigt sich mit dem Privacy-Problem von WhatsApp. Allerdings zieht der Bericht fälschlicherweise den Schluss, dass die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung des Nachrichtendienstes mangelhaft sei. Dabei liegt die Ursache des Problems nicht in der Verschlüsselung, sondern in der Inhaltemoderation auf WhatsApp. Ingo Dachwitz räumt mit den Missverständnissen auf und stellt die eigentliche Gefahr dar. Diese lauert in Metadaten, die WhatsApp aufschlussreiche Informationen über die Identitäten der Nutzer:innen schenken.   

Auch der schweizerische E-Mail-Anbieter ProtonMail hat ein Problem. Er lockt zwar mit sicherer und anonymer Kommunikation, enttäuscht nun aber seine Nutzer:innen. ProtonMail hat der französischen Polizeibehörde Europol IP-Adressen und andere Daten von Klimaaktivist:innen weitervermittelt. Alexander Fanta stellt klar, wie sich der E-Mail-Anbieter dazu positioniert und inwieweit sie gegenüber Strafverfolgungsbehörden verpflichtet sind Informationen über ihre Nutzer:innen herauszugeben. 

Hundefutter für Mitarbeiter:innen und Häkchen für o2

Mit der aktuellen Kampagne #Appletoo prangern Beschäftigte von Apple diskriminierendes und missbräuchliches Verhalten ihres Arbeitgebers an. Holly Hildebrand berichtet über die Hintergründe der Kampagne. Neben Apple hat auch o2 Datenschutzdreck am Stecken. In der aktuellen Folge des Hintergrundpodcasts erklärt Ingo Dachwitz seine lange Recherche zu den zahlreichen Datenschutzverstößen von o2-Shopbetreiber:innen. Viele Shops tricksen beim Abschließen von Verträgen und kreuzen Einwilligungen an, ohne dass die Kund:innen aktiv zugestimmt haben.

Von wegen Transparenz!

Sowohl Scheuer als auch der Europäische Polizeikongress drücken sich vor transparenter Berichterstattung. In wenigen Tagen steht der Polizeikongress bevor, der wegen der nahenden Bundestagswahl besonders interessant ist – schließlich präsentieren sich dort neben der Polizei auch Geheimdienste und Politiker:innen. Leider erhält netzpolitik.org für die Veranstaltung keine Presseakkreditierung. Damit reiht sich dieses Jahr in die langjährige Tradition von netzpolitik.org ein, von der direkten Berichterstattung des Europäischen Polizeikongresses ausgeschlossen zu werden. Der Veranstalter lässt sich immer neue Gründe einfallen warum er uns den Zutritt verwehrt. Andre Meister schreibt über unser alljährliches Ringen um eine Akkreditierung und die Einschränkung der Pressefreiheit durch den Veranstalter.

Auch Andreas Scheuer glänzt diese Woche mit Intransparenz. Der Bundesverkehrsminister der CSU hat im Jahr 2019 die Berichterstattung des Spiegels zu seiner Mautaffäre unterwandert. Daraufhin stellte FragdenStaat eine Informationsfreiheitsanfrage, um den E-Mail-Wechsel einzusehen, der den Fall betrifft. Allerdings hat sich das Ministerium verweigert, relevante Informationen freizugeben. Nun hat auch der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und für die Informationsfreiheit die Nase voll und holt sein „stärkstes Instrument“ hervor: Er rügt das Bundesverkehrsministerium mit einer formellen Beanstandung.  

Neue Gesetze in Texas und in NRW

In Texas gingen Netzaktivist:innen gegen das sogenannte „Heartbeat Law“ (Herzschlaggesetz) vor, das Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche kriminalisiert. Die Organisation „Texas Right to Life“ möchte das strengste Anti-Abtreibungsgesetz der USA mit Hilfe einer Whistleblower-Webseite durchsetzen. Auf dieser Seite können Bürger:innen anonyme Tipps zu potentiell strafbaren Abtreibungen veröffentlichen – und eine Prämie von 10.000 US-Dollar abstauben. Pro-Choice-Aktivist:innen riefen auf Sozialen Medien dazu auf, die Webseite mit falschen Nachrichten und blödsinnigen Videos zu überfluten. 

Auch in NRW lässt die Debatte um das neue Versammlungsgesetz nicht nach. Vermutlich deswegen wird das Gesetz nicht mehr vor der Bundestagswahl kommen. Die Grünen gehen davon aus, dass sich die Regierungskoalition bewusst mit dem Änderungsantrag Zeit lässt. Sie sehen darin, mit Blick auf die nahenden Bundestagswahlen, eine strategische Verzögerung der CDU und FDP und sprechen von einem „Wahlkampfmanöver“. 

Unverhältnismäßige Prozesse um Whistleblower und Pimmel

Neben all der Aufregung gab es diese Woche auch viel Luft um Nichts. Markus Reuter kommentiert die Pimmelei des Hamburger Innensenators Andy Grote als kleinkariert und peinlich. Auf Twitter bezeichnete jemand den Innensenator als „Pimmel“, worauf Grote einen Strafantrag stellte. Zudem kam es zu einer Hausdurchsuchung bei dem Beschuldigten – völlig unverhältnismäßig, findet unser Autor. Andy Grote hat es mit seiner Geschichte übrigens bis in die Washington Post geschafft.

Ein fragwürdiger Prozess richtet sich gegen Julian Hessenthaler, einer der Produzenten des Ibiza-Videos. Das Video zeigt politisch relevante Szenen des österreichischen Rechtspopulisten Strache, die im Sommer 2017 heimlich aufgenommen wurden. Menschenrechtsorganisationen und Journalistenverbände kritisieren die „ausufernde“ Strafverfolgung, die Menschen einschüchtern könne, und sie daran hindere, Skandale aufzudecken. 

Über Netzanschlüsse und Zero-Rating-Angebote

Guter Netzanschluss mag teuer sein. Schon seit einiger Zeit kritisieren Deutsche, dass sie zwar für ihre versprochene Internetgeschwindigkeit zahlen, diese letztendlich aber nicht erreichen würden. Nun legt die Bundesnetzagentur einen ersten Entwurf für ein Minderungsrecht vor, wie Tomas Rudl berichtet. Das tritt aber erst im Dezember in Kraft und taugt somit als frühes Weihnachtsgeschenk. 

Apropos Geschenke: Mit Zero-Rating-Angeboten können Nutzer:innen kostenlos auf Plattformen wie beispielsweise YouTube oder Netflix surfen, ohne dafür Datenvolumen zu verbrauchen. Zwei Angebote sind etwa StreamOn und Vodafone Pass. In ihnen sieht der Europäische Gerichtshof eine Verletzung der Netzneutralität, da konkurrierende Dienste im Internetverkehr nicht gleich behandelt werden. Es bleibt noch abzuwarten, ob die zukünftige Regierung nach der Bundestagswahl entsprechende Gesetze in den Weg leitet, die Zero-Rating-Angebote verbieten. 

Ein netzpolitischer Abend und eine besondere Auszeichnung 

Viele Podiumsdiskussionen, in denen die Parteien ihre Positionen darstellen können, begleiten den Wahlkampf. Die Digitale Gesellschaft hatte Vertreter:innen der demokratischen Parteien zu einem Netzpolitischen Abend geladen. Das Live-Event ist zwar schon vorüber, aber es gibt eine Aufzeichnung zum Nachschauen

Diese Woche erhalten wir eine Auszeichnung, über die wir uns sehr freuen: den Fritz-Bauer-Preis der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union. Dieser Preis geht an jene, die sich besonders für eine liberale, humanistische und demokratische Gesellschaft. Die Humanistische Union lobt uns mit den Worten:“Bürgernah bietet die Plattform hervorragend recherchierte Informationen besonders für diejenigen an, die sich für digitale Freiheitsrechte engagieren.“ Die Preisverleihung findet am Samstag, den 11. September 2021, 14 bis 16 Uhr im Maison de France am Kurfürstendamm 211 in Berlin statt. Von dort wird die Preisverleihung auch im Stream auf www.humanistische-union.de übertragen. Die Laudatio wird die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger halten.

Wir bedanken uns und wünschen allen Leser:innen ein erholsames Wochenende! 


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