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LGBTIQ: Studie zeigt drastisches Ausmaß der Online-Zensur in autoritären Staaten

Zensur von LGBTIQ-Inhalten auf dem Vormarsch

Ein Forschungsbericht sieht die Online-Zensur von LGBTIQ-Inhalten weltweit auf dem Vormarsch. Die Abkürzung stammt aus dem englischen Sprachraum und steht für lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell und queer. Gefahren für Menschen mit entsprechender geschlechtlicher Identität oder sexueller Orientierung ergeben sich dem Report [PDF] zufolge nicht nur durch die Einschränkung ihrer Kommunikations- und Informationsfreiheit, sondern auch durch Versuche von Strafverfolgungsbehörden, sie online zu identifizieren.

Das Citizen Lab der Universität Toronto hat die Untersuchung gemeinsam mit der Menschrechtsorganisation OutRight und dem Freie-Software-Projekt Open Observatory of Network Interference (OONI) durchgeführt. Mit Hilfe verschiedener OONI-Werkzeuge haben die Forscher:innen unter anderem die Sperrung von Websites in sechs Ländern im Zeitraum von Anfang Juni 2016 bis Ende Juli 2020 untersucht. Ergänzt wird der Bericht durch Interviews mit Expert:innen und Betroffenen.

Offene Zensur

Im Fokus der Untersuchung stehen Iran, Russland, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indonesien und Malaysia, auch wenn das Phänomen nicht auf diese Länder beschränkt ist. Die beiden letztgenannten gelten aufgrund ihrer teilweise demokratischen Strukturen gemeinhin nicht als autoritäre Staaten. Allerdings zählen sie laut dem Bericht zu den Ländern, in denen weltweit die schwierigsten Bedingungen für die digitale Kommunikation von LGBTIQ Menschen gelten.

In Fallstudien dokumentiert der Bericht die Situation in den sechs Staaten. Eine Erkenntnis: In allen habe die Zensur von LGBTIQ-Inhalten ein erhebliches Ausmaß und finde relativ offen statt. Bei Aufruf entsprechender Websites würde meist ein offizieller Hinweis über die staatliche Zensur informieren. Mit 75 gesperrten URLs zensiert der Iran dem Bericht zufolge die meisten LBGTIQ-Websites, gefolgt von den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 51 geblockten Websites.

In Indonesien und Malaysia würde nur der Zugang zu internationalen Seiten verwehrt, während LGBTIQ-Inhalte aus dem eigenen Land aufrufbar seien. In den anderen vier Ländern seien sowohl inländische als auch internationale Websites gesperrt.

Die Sperrungen würden dabei nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit gesetzlichen Verboten von Homosexualität stehen, wohl aber mit dem Bestreben, die Grundrechte von LGBTIQ Menschen einzuschränken. In Ländern wie Russland und Indonesien, wo Homosexualität nicht offiziell verboten sei, werde die Zensur etwa mit Verweis „obszöne Inhalte“ oder „homosexuelle Propaganda“ begründet. Häufig sei auch eine fälschliche Markierung von LGBTIQ-Inhalten als Pornographie zu beobachten.

Online-Fallen für LGBTIQ Menschen

Die Forscher:innen betonen, dass in den genannten Staaten nicht nur LGBTIQ-Inhalte zensiert würden. Sie machen deutlich, wie tiefgehend der Eingriff in die Grundrechte aller Betroffener sei.

Das Netz könne für diskriminierte und an den Rand der Gesellschaft geschobene Gruppen Räume eröffnen, in denen sie ihre Identität stärken, sich austauschen, Communities bilden und sich organisieren können. Die Zensur nehme ihnen diese Möglichkeit oder erschwere sie zumindest deutlich. Denn, so der Report, es habe sich eine Art Katz-und-Maus-Spiel zwischen Regierungen auf der einen und den Publizist:innen und Aktivist:innen auf der anderen Seite entwickelt, bei dem letztere nach immer neuen Wegen suchen würden, die Zensur zu umgehen.

Für die Menschen ist das mit erheblichen Gefahren verbunden. Mindestens im Iran, in Russland und Saudi-Arabien würden Strafverfolgungsbehörden im Internet Fallen für queere Menschen stellen, um diese zu identifizieren – beispielsweise mit Fake-Profilen in Sozialen Netzwerken und Dating-Apps. Allein das Vorhandensein von Apps mit LGBTIQ-Bezug auf dem Smartphone könne zur Verhaftung und Gewalt führen.

Unternehmen als Komplizen

Der Bericht weist darauf hin, dass privatwirtschaftliche Akteur:innen bei der Online-Zensur eine entscheidende Rolle als Kompliz:innen der Staaten spielen. Häufig würden sie die Infrastrukturen besitzen und betreiben, die den Menschen Zugang zum Internet ermögliche. Ohne ihre Kooperation würde die Zensur deutlich schwerer umzusetzen sein. Mindestens in den Vereinigten Arabischen Emiraten komme zudem Filter-Technologie der kanadischen Firma Netsweeper zum Einsatz.

Die Zensurmaßnahmen würden innerhalb einzelner Länder, teilweise auch zwischen unterschiedlichen Internetanbietern, variieren. Teilweise war die gleiche Website bei einem Provider gesperrt, bei einem anderen jedoch abrufbar, was darauf schließen lasse, dass die Zensur mit unterschiedlichen Blocklisten arbeite, so die Forscher:innen. Einzig der Iran habe eine überwiegend konsistente Zensur.

In begleitenden Interviews zeigen die Forscher:innen unter anderem, dass die staatliche Zensur auch Selbstzensur von Aktivist:innen und Publizist:innen zur Folge hat. „Selbstzensur ist für uns an der Tagesordnung, damit wir zumindest einige Informationen öffentlich halten können“, wird eine Aktivistin der südostasiatischen Nichtregierungsorganisation Asean Sogie Caucus zitiert. „Wir posten zum Beispiel keine Bilder. Das ist unsere alltägliche Strategie, um Informationen und Online-Räume unterhalten zu können.“

Der Bericht enthält eine Reihe von Empfehlungen und Forderungen. Unter anderem sollten Firmen, die Internet-Filter-Technologie produzieren, sicherstellen, dass ihre Produkte nicht gegen Menschenrechtsverteidiger:innen eingesetzt werden. Aktivist:innen und Mitgliedern von LGBTIQ-Communities empfiehlt der Report, Anonymisierungswerkzeuge wie den Tor Browser zu nutzen und Sicherheitstrainings vorzunehmen. Regierungen und die Vereinten Nationen werden aufgefordert, Zensur zu dokumentieren und öffentlich anzuprangern.


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