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Bundestagswahl: Warum die FDP bei Erstwähler*innen punktete

Screenshot auf einem TikTok-Clip von FDP-Abgeordnetem Thomas Sattelberger, er steht vor einem Screen mit den Wahlergebnissen, die das gute Abschneiden der FDP bei Erstwähler*innen zeigt

Es waren Zahlen, über die sich viele in der Wahlnacht wunderten: 23 Prozent der Erstwählerinnen und Erstwähler sollen ihre Stimme der FDP gegeben haben? Das sagte zumindest die Hochrechnung von Infratest Dimap für die ARD. Dass die Grünen bei dieser Wahl bei den Jungen gut abschneiden würden, damit hatten nach Fridays for Future wohl alle gerechnet. Doch dass die FDP mit 23 Prozent der Stimmen gleichauf mit Grün landet, kam für viele unerwartet. Eine erste Hochrechnung sah die Liberalen sogar einen Prozentpunkt vor den Grünen.

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Erstwähler*innen nur 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten

Nun ist die Gruppe derjenigen, die bei dieser Bundestagswahl erstmals ihre Stimme abgeben durften, weit davon entfernt, wahlentscheidend zu sein. Laut Bundeswahlleiter durften 2,8 Millionen Menschen bei dieser Bundestagswahl erstmals wählen, das entspricht 4,6 Prozent aller Wahlberechtigten. Trotzdem stellt sich die Frage, warum sich die Stimmanteile in dieser Gruppe so stark zugunsten der FDP verschoben haben. Bei der Bundestagswahl 2017 wählten viele Junge noch Union und SPD.

Eine bemerkenswert monokausale Erklärung, mit der einige Medien schnell einsprangen: Es lag am digitalen Wahlkampf und der Präsenz der Partei auf Social Media. Allem voran: auf TikTok.

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Es ist richtig, dass die FDP sich auf TikTok im Vergleich zu anderen Parteien hervortut. Auf der Kurzvideoplattform sind nicht nur nur auffallend viele junge FDPler unterwegs. Vor allem zwei recht alte weiße Männer aus den Reihen der Liberalen fallen seit geraumer Zeit mit ihren Auftritten auf.

So war der über 70-jährige FDP-Abgeordnete Thomas Sattelberger mit mehr als 140.000 Followern zeitweise der prominenteste deutsche Politiker auf TikTok. Seine Clips, zum Beispiel zur Frage, was ist, wenn Capital Bra Bundeskanzler wird, erzielen regelmäßig Reichweiten von mehreren Hunderttausend Views. Dem 72-jährige Wolfang Heubisch, Vizepräsident des Bayerischen Landtags, folgen immerhin fast 70.000 Accounts.

Beide sind sich in den Clips für kaum einen Spaß zu schade und nehmen sich dabei auch gerne selbst aufs Korn. Zugleich richten sie sich mit ihren Themen komplett an der jungen Zielgruppe von TikTok aus und nehmen sie mit ihren Anliegen ernst. In Duetten oder Stitches gehen sie in den Dialog mit anderen TikTokern, sprechen von Schuldenfalle, Computerspielen im Unterricht, mentaler Gesundheit im Studium oder dem beschämenden Stand der Digitalisierung in den Schulen.

Christian Lindner, selbst nicht mit Account vertreten, hatte im Wahlkampf zumindest einen Gastauftritt auf dem Account eines TikTok-Users, der eine gewisse Reichweite bekam. Interviewausschnitte und Fernsehauftritte, in denen Lindner Anlagetipps gibt oder die Grünen rund macht, kursieren ebenfalls auf der Plattform. Im Mai war er außerdem zu Gast bei „Steuerfabi“, einem der bekanntesten TikToker zum Thema Steuern.

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Kein klarer Zusammenhang

Doch reicht das schon, um so ein Wahlergebnis zu erklären? Der Politikberater Martin Fuchs, der sich intensiv mit den Social-Media-Kampagnen der Parteien beschäftigt, hält wenig von solchen einseitigen Erklärungen. Aus der Wahlwirkungsforschung sei bekannt, dass man im Nachhinein ohnehin nicht klar sagen könne, woran es gelegen hat. „Zu sagen, es lag an TikTok, ist daher immer unseriös und unterkomplex.“

Bekannt sei dagegen, dass die FDP bei jungen Zielgruppen schon in der Vergangenheit sehr stark gewesen sei, allein schon, weil sie das Thema Digitalisierung so weit oben aufhängt. Das Thema sei schon bei der letzten Bundestagswahl und  in den vergangenen Landtagswahlkämpfen erste Priorität gewesen.

In einer Analyse für den BR verweist auch Gregor Schmalzriedel auf all die anderen Themen, mit denen die FDP junge Wähler*innen anspricht. Sie ist für ein Wahlrecht ab 16, für eine liberale Drogenpolitik, gegen staatliche Überwachung. Selbst auf den Klimawandel glaubt sie, eine Antwort zu haben – auch wenn die sehr anders ausfällt als bei den Grünen.

Wer da noch meint, nur die Grünen würden jungen Wähler*innen ein Angebot machen, habe den Wahlkampf schlecht verfolgt. Auch Fuchs sagt: Die Darstellung, dass alle Jungen vermeintlich linke Klima-Kids sind und grün wählten, sei medial völlig verzerrt worden.

Hinzu kommt aus Sicht von Martin Fuchs, wie stark die Liberalen bei dieser Wahl das Thema Freiheit als eine Art Heilsversprechen auf die Agenda gesetzt haben. Nach fast 18 Monaten Corona-Einschränkungen mit geschlossenen Clubs und Homeschooling sei das etwas, wonach viele Junge förmlich lechzten. Dass Christian Lindner in den Wochen vor der Wahl kaum einen Begriff so oft wiederholte wie „Freiheit“ und „Beide Stimmen für die Freiheit“ forderte, mag da hohl klingen – bei der lockdowngebeutelten Jugend, die von den anderen Parteien so oft vergessen wurde, traf es aber womöglich einen Nerv.

Dass TikTok und die dort präsenten Superstars wie Sattelberger am Ende womöglich auch einen Anteil am Erfolg der Partei bei jungen Wähler*innen hatten, will Fuchs nicht ausschließen. Politiker*innen wie Sattelberger waren schon früh auf der Plattform unterwegs und haben verstanden, wie man dort mit der Zielgruppe kommuniziert, sagt er. Den Erfolg der FDP vor allem aus ihrem Image als „TikTok-Partei“ abzuleiten, hält er aber für extrem verkürzt.


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