Natasha A. Kelly ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin, Filmemacherin und Autorin. Dieser Beitrag ist ein Auszug aus ihrer im April erschienenen Streitschrift „Rassismus. Strukturelle Probleme brauchen strukturelle Lösungen!“. Wir veröffentlichen ihn aus Anlass des Abschlussberichtes, den der Kabinettausschuss zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Rassismus Ende Mai 2021 veröffentlicht hat.
Im November 2020 verabschiedete der Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus, der im Mai 2020 als Reaktion auf den rassistisch motivierten terroristischen Anschlag in Hanau von der Bundesregierung neu gegründet wurde, seinen Maßnahmenkatalog gegen „Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Muslimfeindlichkeit, Anti-Schwarzen Rassismus und alle anderen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“.
Diese Auflistung lässt weder hoffen noch staunen. Schon das Sammelsurium an gesellschaftlichen Missständen weist auf die Unwissenheit der Verfasser:innen in Bezug auf strukturellen Rassismus hin. Bestärkt wird diese Vermutung nicht nur durch die Benennung von Antimuslimischem Rassismus als „Muslimfeindlichkeit“, sondern auch durch die Einordnung von Rassismus im übergeordneten Sinne als einer „Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“. Fraglich ist, ob das formulierte Ziel des Maßnahmenkatalogs, ein stärkeres Bewusstsein für Rassismus als gesamtgesellschaftliches Phänomen zu schaffen, auf Basis eines Konzepts erreicht werden kann, das entgegen der in diesem Buch dargelegten Logik des strukturellen Rassismus ausschließlich auf der interpersonalen Ebene abläuft. Veranschlagt wurden für die 89 vorgeschlagenen Maßnahmen auf dieser Grundlage 1,1 Milliarden Euro für den Zeitraum bis 2024. Es ist aber Unsinn, so viel Geld auf einer so uninformierten Basis zu investieren.
Für Unverständnis sorgte zuvor schon die Entscheidung der Bundesregierung im Zuge des BLM-Sommers 2020, eine Fördersumme von 9 Millionen Euro über einen Zeitraum von drei Jahren ins Deutsche Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zu investieren, anstatt den Forderungen der Black-Lives-Matter-Bewegung nachzukommen und Schwarze Wissenschaftler:innen dabei zu unterstützen, eine Infrastruktur für Schwarze Studien aufzubauen und deren Transferleistung in die Gesellschaft zu sichern.
Ziel des DeZIMs ist es, mithilfe der Förderung vom Bund einen „Rassismus-Monitor“ zu erstellen, der zeigen soll, wie verbreitet rassistische Vorurteile und Ressentiments in der Bevölkerung sind und welche Ursachen sie haben. Doch es bringt uns kaum weiter, die rassistischen Ressentiments und Vorurteile in der Gesellschaft abzufragen, da Rassismus häufig wirkt, ohne dass dies beabsichtigt gewesen ist. Auch ist es obsolet, Rassismus im Kontext von Migration zu erforschen oder in diesem Kontext einen Monitor zu erstellen. Denn nach dieser Logik müssten Migrant:innen den Rassismus auf ihren vielfältigen Wegen nach Deutschland mitgebracht haben. Inzwischen sollten aber alle verstanden haben, dass der Rassismus schon hier war, als sie ankamen!
Darüber hinaus sind auch Schwarze Deutsche und Deutsche of Color von Rassismus betroffen, die keine Migrant:innen sind. Anstatt ihr Deutschsein anzuerkennen, wird ihnen eine generationsübergreifende Migrationsgeschichte angehängt, die mit ihren eigenen sozialen Realitäten nur rudimentär zu tun hat. Zusätzlich ist unklar, auf welche Grundlage die in diesem »Rassismus-Monitor« erfassten Daten oder ihre Auswertung gestützt werden sollen.
Eine Auswertung, die nicht mit einem strukturellen Begriff arbeitet, führt uns nicht weiter. Auch ADEFRA, ein kulturpolitisches Forum von und für Schwarze Frauen*, kritisiert das Erstellen eines „Rassismus-Monitors“ im Kontext des DeZIM:
Eine Tiefenwirkung und damit nachhaltige Ergebnisse zur Bekämpfung von systemischem, institutionalisiertem Rassismus aufzubauen, kann nicht auf der Basis von quantitativer Forschung erzielt werden. Eine durchaus notwendige sogenannte „Betroffenenerhebung“ und ein institutions- und strukturbezogener „Rassismus-Monitor“, wie es das DeZIM plant, muss aus einer rassismuserfahrenen und -kritischen Forschungsperspektive generiert werden und in einer intersektional-solidarischen Bewegungsinfrastruktur verankert sein.13
Obwohl Schwarze deutsche Wissenschaftler:innen seit Jahrzehnten Pionier:innenarbeit leisten, wird ihre kritische Forschungsperspektive nach wie vor in wissenschaftlichen, politischen und medialen Fachgesprächen selten einbezogen. Und wenn doch einmal Schwarze Expert:innen, die zu Schwarzen Themen arbeiten, eingeladen werden, dann kommen sie meist aus den USA. Durch die Missachtung und Unsichtbarmachung Schwarzer deutscher Geschichte wird das Schwarzsein wie selbstverständlich homogenisiert und von Deutschland wegverortet. Dies führt dazu, dass Schwarze deutsche Geschichte amerikanisiert und Rassismus als Exportprodukt der USA verhandelt wird.
Schwarze deutsche Geschichte wird im wissenschaftlichen Kontext in der Regel erst dann relevant, wenn weiße Historiker:innen oder weiße Ethnolog:innen als Erzähler:innen auftreten. Doch solche Erzählungen sind meist einseitig, wie die Schwarze Autorin Chimamanda Ngozi Adichie eindrucksvoll beschreibt. Sie bergen die Gefahr, Schwarze Geschichte und Geschichten „weißzuwaschen“. Und gerade weil sich Wissenschaft als universell inszeniert, ist die Art und Weise, wie Gewalt durch Wissen und Wissenschaften ausgeübt wird, auch bekannt als „epistemische Gewalt“, eine Form der weißen Vorherrschaft, die in vielen Institutionen ungehindert wirkt und wirken kann und die durch die oben genannten politischen Maßnahmen (finanziell) gestärkt wird.
Eine jahrelange politische Forderung der Schwarzen Communitys ist es, eine eigenständig arbeitende Antirassismusforschungsstelle in Deutschland einzurichten, die es sich zur Aufgabe macht, Rassismus als systemische Ideologie historisch einzuordnen, und die anerkennt, dass Deutschland und Europa mit ihrer Kolonialgeschichte auf Rassismus fundiert sind. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es eine Definition, die Rassismus als strukturelles Phänomen bestimmt, das sich sowohl in Deutschland als auch weltweit in alle gesellschaftlichen Teilbereiche eingeschrieben hat.
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