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NRW: Laschet-Regierung will Demonstrierende wie Kriminelle behandeln

Polizeikette vor Demonstrierenden

Die schwarz-gelbe Regierung in Nordrhein-Westfalen unter Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet will in der kommenden Woche ein Versammlungsgesetz beschließen, das im Vorfeld für Kritik und Proteste sorgt. Kritiker:innen sehen in den Plänen der Landesregierung autoritäre Tendenzen.

Der Gesetzentwurf der Laschet-Regierung nennt die weißen Maleranzüge, die Demonstrant:innen bei manchen Klimaprotesten seit Jahren tragen, in einer Reihe mit Springerstiefeln und Uniformen der Nazi-Organisationen SS und SA.

Ein Protestbündnis, das schon zahlreiche Demonstrationen organisiert und nun beim Landtag Stellungnahmen eingereicht hat, wirft der Landesregierung vor, sie wolle Axt an dem für das Versammlungsrecht wichtigen Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 1985 anlegen.

Damals befasste sich das höchste Gericht erstmals mit dem Versammlungsrecht und legte es in einer Grundsatzentscheidung zu Gunsten von Demokratie und Demonstrierenden aus. Der Beschluss sieht hohe Hürden für Demonstrationsverbote vor und niedrige Hürden für Bürger:innen, um eine Demonstration durchzuführen.

Das nordrhein-westfälische Vorhaben stelle nun jedoch nicht die Versammlungsfreiheit in den Vordergrund, sondern die Gefahrenabwehr und damit Staat und Polizei, so das Bündnis.

Friedliche Demos gegen Nazis erschwert

In der Kritik stehen gleich mehrere Paragrafen des Gesetzes. So soll der Versammlungsleiter einer Demo deutlich mehr Pflichten bekommen. Laut dem Versammlungsrechtsexperten Clemens Arzt wird er im Gesetz in die Rolle eines quasi-polizeilichen Verantwortlichen gebracht.

Bei Gegendemos, zum Beispiel gegen einen Nazi-Aufmarsch, sind in Zukunft schon „einfache Störungen“ und „Behinderungen“ verboten. Die Gewerkschaft ver.di kritisiert, dass auch friedliche Gegendemonstrationen mit lautstarker Musik oder Sprechchören mit dem Paragrafen de facto aufgelöst werden könnten. Die Abgrenzung, was erlaubte Meinungsäußerung und was verbotene Störung ist, sei für Versammlungsteilnehmer:innen durch das Gesetz nicht erkennbar.

In der Gesetzesbegründung werden sogar sogenannte Blockadetrainings im Vorfeld von Demonstrationen als „rechtswidrig“ eingestuft. Dies widerspricht laut der Stellungnahme von Clemens Arzt der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes. Ein freiheitliches Versammlungsrecht hingegen würde die Versammlungsfreiheit beider Demonstrationen schützen, aber Gegenprotest in Hör- und Sichtweite ausdrücklich ermöglichen.

Namentliche Erfassung von Ordner:innen

Laut dem Entwurf soll die Polizei in Zukunft die Anweisung erteilen können, dass Ordner:innen auf Demonstrationen namentlich gegenüber der Polizei genannt werden müssen, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ für eine mögliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehen.

Da es sich bei den Ordner:innen um Versammlungsteilnehmende handelt und diese meistens aus den politischen Initiativen und Bündnissen selbst kommen, bietet sich hier zudem ein Einfallstor für den Staat, um politische Strukturen auszuleuchten. Dies ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass Landespolizeien teilweise ausführliche Demonstrationsberichte an den Verfassungsschutz weiterleiten.

Polizeirechtsprofessor Arzt bemängelt, die Regelung führe faktisch zum Recht der zuständigen Behörde, jederzeit eine Zuverlässigkeitskontrolle gegenüber allen Ordner:innen durchzuführen. Die Schwelle zu einer solchen Datenerhebung müsse jedoch höher sein. Selbst in Bayern sei diese Schwelle höher. Dabei ist der Freistaat für sein strenges Versammlungsgesetz bekannt.

Arzt geht davon aus, dass diese Datenerhebung und -speicherung es für Demo-Veranstalter:innen deutlich schwieriger machen würde, für den Ordner:innendienst Freiwillige zu finden. Er weist darauf hin, dass „die Dauer einer zulässigen Speicherung dieser Daten an keiner Stelle geregelt wird“.

Die Initiative „Parents for Future“ kritisiert, dass alleine das Führen aller Namen von Ordner:innen bei großen Demonstrationen logistisch gar nicht möglich sei und so Demonstrationsverbote gerechtfertigt werden könnten.

Demonstration in Nürnberg 2019
Das Bundesverfassungsgericht sieht in Demonstrationen „ein Stück ursprünglich-ungebändigter unmittelbarer Demokratie, das geeignet ist, den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“. In NRW will man das offenbar nicht. (Symbolbild) - Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Markus Spiske

Polizei-Kontrollstellen vor der Demo

Erleichtert wird durch das neue Versammlungsgesetz auch die Aufnahme und das Speichern von Übersichtsaufnahmen per Drohne oder Helikopter. Diese sollen schon möglich sein, wenn die Demonstration „unübersichtlich“ sei, was allerdings ein unbestimmter Rechtsbegriff ist. Wegen ihrer Unbestimmtheit könnte diese Formulierung laut Clemens Arzt schon Luftaufnahmen bei einer Teilnehmerzahl von 50 Personen erlauben können. Bei fortschreitender technischer Entwicklung biometrischer Erkennung sind auch solche Aufnahmen geeignet, um später Personen zu identifizieren. 

Entgegen anderen neuen Landesversammlungsgesetzen wie in Berlin oder Schleswig-Holstein führt das Gesetz nun explizit „Kontrollstellen“ bei Demonstrationen ein, bei denen ohne jegliche Tatbestandsschwelle die Identität von Demonstrant:innen überprüft sowie Sachen und Personen durchsucht werden können. Zwar sind solche Vorkontrollen heute auch schon möglich, aber nur unter bestimmten Voraussetzungen – etwa wenn ein unfriedlicher Verlauf oder Straftaten zu erwarten sind.

Die Gewerkschaft ver.di sieht in den Kontrollstellen einen erheblichen Eingriff in das Versammlungsrecht. Solche Regelungen wirkten abschreckend auf Bürger:innen, die ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrnehmen möchten, heißt es in der Stellungnahme gegenüber dem Landtag.

Maleranzug = SA-Uniform?

Auszug aus der Begründung des Gesetzentwurfes
Auszug aus der Begründung des Gesetzentwurfes, S. 77. - CC-BY 2.0 Landtag NRW / Markierung: netzpolitik.org

Das im Versammlungsgesetz des Bundes enthaltene Uniformierungsverbot, das wegen der Erfahrungen von SA-Aufmärschen in der Weimarer Republik eingeführt wurde, geht der nordrhein-westfälischen Regierung augenscheinlich nicht weit genug. Sie will es deshalb zu einem sogenannten Militanzverbot ausweiten. In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass damit auch eine einheitliche farbliche Kleidung oder weiße Maleranzüge gemeint sind.

Diese weißen Overalls, die bei den Klimaprotesten in Garzweiler 2019 genutzt wurden, stellt der Gesetzentwurf historisch in eine Reihe mit uniformierten Aufmärschen von SA und SS. Dabei attestiert er ihnen wie auch Marschtritt und Trommelschlagen eine „suggestiv-militante, aggressionsstimulierende und einschüchternde Wirkung“. 

Menschen ziehen bei einem Protest über Felder
Die hier von Demonstrant:innen bei einem Klimaprotest genutzten weißen Overalls stellt die Begründung des Gesetzentwurfs in eine Reihe mit den Uniformen von SA und SS. - CC-BY-NC 2.0 endegelaende

Organisationen von Fußballfans fürchten, dass auch die Trikots ihrer Mannschaften in Zukunft Grund für ein Eingreifen der Polizei sein könnten. Sie kritisieren an diesem Paragrafen auch, dass Formulierungen wie ,,in vergleichbarer Weise‘‘ und ,,Gewaltbereitschaft vermittelnd‘‘ bzw. ,,einschüchternd‘‘ dermaßen vage formuliert seien, dass jeder Fanmarsch unter diese Begriffe gefasst werden könnte. Sie begründen ihre Sorge auch damit, dass eine Stellungnahme von Norbert Ullrich der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung zum Gesetzentwurf genau hier ein polizeiliches „bestehendes praktisches Bedürfnis“ anspreche. Auch Clemens Arzt kritisiert, dass die im Gesetz genannte „einschüchternde Wirkung“ nicht genau definiert sei.

In der Bannmeile des Landtages in Düsseldorf, also der unmittelbaren Zone um das Parlament, soll in Zukunft nicht der „Verbotsvorbehalt“ gelten, sondern ein „Erlaubnisvorbehalt“. Das ist ein gravierender Unterschied, denn in Deutschland sind Demonstrationen prinzipiell erlaubt, sie müssen nicht wie in autoritären Systemen genehmigt werden, sondern können unter bestimmten Voraussetzungen verboten werden. Die in Nordrhein-Westfalen geplante Regelung für Demonstrationen in Parlamentsnähe weicht vom seit 1945 gängigen Recht in Sachen Versammlungen ab.

Protest in der Landeshauptstadt

„Versammlungen stellen ein Stück ursprünglich-ungebändigte unmittelbare Demokratie dar und sind geeignet den politischen Betrieb vor Erstarrung in geschäftiger Routine zu bewahren“, sagt Gizem Koçkaya, Sprecherin des Protestbündnisses. „Die Einführung eines Versammlungsgesetzes in NRW nach Vorlage der schwarz-gelben Landesregierung dreht die autoritäre Spirale gefährlich weit nach oben.“

Für den kommenden Samstag ruft ein breites Bündnis, dem unter anderem Parteien, außerparlamentarische Initiativen  und Fußballfans angehören, zu einer Demonstration um 13 Uhr in Düsseldorf auf – vor Verabschiedung des Gesetzes.


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