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Ausspähen unter Freunden: Merkels Geheimdienst-Bla-Bla-Blamage

Aus den Papieren von Edward Snowden wissen wir, dass die Five Eyes in Europa mit neun Staaten enger zusammenarbeiten als mit anderen. Wer geographisch günstig liegt, politisch halbwegs opportun ist und technisch nicht in der Kreisliga spielt, bei dem klopfte der US-amerikanische Geheimdienst NSA irgendwann an, um eine Zusammenarbeit einzuleiten. Denn vierzehn Augen sehen bekanntlich mehr als fünf Augen.

Zu diesem Verbund, der SIGINT Seniors Europe (SSEUR) genannt wird, gehören neben Deutschland auch Belgien, Frankreich, Italien, die Niederlande, Norwegen, Schweden und Spanien. Außerdem dabei ist Dänemark, das aktuell im Zentrum eines Geheimdienstskandals steht, den Journalisten enthüllt haben. Dabei wurde das Vorgehen beschrieben, wie das Abhören und Auswerten des Internetverkehrs an dänischen Netz-Knotenpunkten ablief – nach dortigen Gesetzen übrigens rechtswidrig.

Der technische Geheimdienst NSA, der 1952 gegründet wurde, sollte eigentlich mal den damaligen Erzfeind der US-Amerikaner belauschen, die Sowjetunion. Fast siebzig Jahre später ist die Sowjetunion längst Geschichte, und die Überwachungsziele sind nicht mehr die Feinde der Vereinigten Staaten, sondern Partner und Alliierte, sogar Freunde. Aktuell half der dänische Militärgeheimdienst Forsvarets Efterretningstjeneste (FE) der NSA beim Belauschen auch von deutschen Politikern.

Die dänischen Geheimen nutzen auch das NSA-Spionageprogramm XKeyscore, welches eine Durchsuchung von Daten aus verschiedenen riesigen Datenbeständen erlaubt. Das war schon länger bekannt. Denn Dänemark gehört zu den zwei europäischen Staaten, in denen die vormals geheimen Praktiken im geheimdienstlichen Niemandsland und konkret auch die NSA-Selektoren wenigstens mal geprüft wurden.

Dass auch der neuerliche Skandal nur die Spitze des Eisbergs ist, braucht man nicht mal mehr zu betonen, weil es ohnehin jeder weiß. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass es so oder ähnlich nicht auch bei allen anderen Geheimdienst-Kooperationen läuft. Es gab nur noch keinen Whistleblower, der sein Wissen an die Presse gegeben hätte. Zudem ist seit Beginn der Snowden-Veröffentlichungen die Geheimdienst-Überwachung nicht etwa weniger geworden, sondern signifikant mehr.

Auch der BND spähte unter Freunden

Wir lernen: Mal wieder fliegt ein Skandal in der Kategorie „Ausspähen unter Freunden“ auf, den es eigentlich nicht geben durfte.

Krokodilstränen würde der belauschten Bundesregierung aber wohl keiner abnehmen: Denn der BND überwachte mit eigenen Selektoren das Innenministerium von Dänemark, wie der Spiegel im Jahr 2015 offenlegte. Das geschah teilweise im Auftrag der NSA, aber nicht nur: Der BND nutzte eben auch seine eigenen Überwachungsselektoren, wie später rauskam. Auch die Botschaften fast aller EU-Staaten in Berlin mitsamt der Konsulate im Bundesgebiet – einschließlich Dänemark – belauschte der BND jahrelang und systematisch.

Vielfach wurde jetzt wieder Angela Merkels Ausspruch zitiert, den sie vor dem EU-Gipfel im Oktober 2013 machte:

„Ausspähen unter Freunden ‐ das geht gar nicht“.

Dass ihr eigenes Mobiltelefon abgehört worden war, prägte damals die internationalen Schlagzeilen und ließ die mächtige Regierungschefin wie eine technische Amateurin ohne politisches Gewicht dastehen. Sie betonte, das hätte sie dem damaligen US-Präsident Barack Obama zuvor telefonisch ausgerichtet und auf eine vertrauensvolle Beziehung gepocht.

Vergessen hingegen scheint aber, was Merkel gleich im nächsten Satz betonte. Dass es ihr nämlich nicht um ihr persönliches Telefon ginge, sondern darum, dass Ausspähen unter Freunden gegenüber niemanden legitim sei:

„„Das gilt für jeden Bürger und jede Bürgerin in Deutschland. Dafür bin ich als Bundeskanzlerin auch verantwortlich, das durchzusetzen.

Diesem Versprechen folgten bis heute keine Taten. Man mag das noch irgendwie einsehen unter einem Mann wie Donald Trump. Für den neuen Präsidenten Biden gilt diese Ausrede aber nicht mehr, schon gar nicht, wenn er sich offenbar im Gegensatz zu seinem Vorgänger wieder freundschaftlich an Deutschland und Europa anzuschmiegen plant.

Wie wäre es denn, wenn die Bundeskanzlerin genau das von Biden nun öffentlich fordern würde, damit sich jeder Bürger und jede Bürgerin in Deutschland wieder sicher sein könnte, nicht von Freunden ausgespäht zu werden? Wahlweise wäre ich auch damit zufrieden, wenn Annalena Baerbock oder zur Not auch Armin Laschet das fordern würden.

Kontrolle der Geheimdienste durch Whistleblower und Journalisten

Damit wäre es aber nicht getan, denn Geheimdienste demokratisch zu kontrollieren, ist und bleibt eine Chimäre. Das wissen wir spätestens seit dem BND-NSA-Untersuchungsausschuss, der sich ab 2014 intensiv mit den Geheimdiensten und deren Praktiken beschäftigt hat. Alles ist streng geheim, und dass die Öffentlichkeit überhaupt eine Ahnung hat, was abertausende Analysten technisch treiben, verdanken wir letztlich Whistleblowern und Journalisten.

Wer einmal gedacht hatte, dass die ans Licht gekommenen Geheimdienstpraktiken doch nicht ohne ernsthafte Reaktionen bleiben könnten, wurde nicht nur enttäuscht, sondern musste in Deutschland dabei zusehen, wie der BND personell, finanziell und was seine rechtlichen Rahmenbedingungen angeht sogar noch erheblich aufgerüstet wurde.

Mehr als Verharmlosungen und Beschwichtigungen, die auch nach den aktuellen Enthüllungen wieder verlautbart wurden, sind von den verantwortlichen Spitzenpolitikern nicht zu hören. Im Zentrum der Kommentare stehen die prominenten Abhöropfer, und eben nicht die Millionen namenlosen Menschen, nach deren anlassloser Überwachung kein Hahn mehr kräht. Dabei können wir davon ausgehen, dass in der Nach-Snowden-Zeit neben Deutschland auch so einige andere Staaten erheblich aufgerüstet haben. Schließlich gab es technisch einiges aufzuholen.

Dieser Spirale der technischen, aber auch rechtlichen und personellen Aufrüstung muss endlich Einhalt geboten werden. Das gilt auch in Deutschland für das BND-Gesetz, mit dessen Novelle ein bisher nicht gekanntes Ausmaß an Überwachung legalisiert wurde. Vielleicht könnten wir bei dieser Gelegenheit auch das BND-Budget, das seit Snowden mal eben auf über eine Milliarde verdoppelt wurde, wieder auf ein Maß zurückschrauben, das einer Demokratie würdig ist? Nach der Pandemie gäbe es sicher mehr als genug Ideen, wer die wahnwitzig hohe Summe besser brauchen könnte.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland Edward Snowden endlich Asyl gewähren sollte.


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