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Recherche zu Pädosexuellen-Foren: „Das sind Inhalte, die liegen außerhalb meiner Vorstellungskraft“

Es sind vermeintlich harmlose Alltagsfotos, die Eltern, Kinder und Jugendliche auf sozialen Netzwerken veröffentlichen – und die später zu hunderttausenden in Foren für Pädosexuelle landen. Das fand ein Recherche-Team des Panorama-Magazins (ARD) und STRG_F (NDR/funk) heraus, das monatelang Fotos aus Foren und Imageboards mithilfe einer eigens dafür programmierten Software untersucht hat.

Die Ergebnisse sind erschreckend: Rund jedes vierte der 142.381 analysierten Fotos stammt von Facebook oder Instagram. Rückschluss auf die Herkunft gab ein Hinweis in den Metadaten. Der ist weiterhin sichtbar, auch wenn die Dateien auf einer neuen Plattform hochgeladen werden. Da einige Täter:innen ihre Spuren verwischen, dürfte die Dunkelziffer noch höher liegen.

Für Ihre Nachforschungen mietete das Recherche-Team einen Raum in der Bundespressekonferenz in Berlin an, der nur für ausgewählte Personen betretbar war. Die Recherche lief unter Berücksichtung hoher Sicherheitsvorkehrungen und mit rechtlicher Beratung ab. Illegales Material, darunter fallen insbesondere Missbrauchsfotos und -videos, wurde dabei weder gesichtet noch heruntergeladen.

Dateien und Software-Quellcodes hat das Recherche-Team am Ende seiner Arbeit gelöscht. Die Festplatten und Mainboards wurden mit Dremeln und Bohrmaschinen analog zerstört. Was bleibt, ist die unbequeme Erkenntnis über eine verstörende Praxis, von der tausende Kinder und Jugendliche betroffen sind.

In einem Interview mit netzpolitik.org spricht der Journalist Daniel Moßbrucker über die hohen rechtlichen Hürden der Recherche, psychische Belastungen und die dunkelsten Ecken des Internets. Moßbrucker ist Journalist für die Themen Überwachung, Datenschutz und Internetregulierung. Außerdem trainiert er Journalist:innen im In- und Ausland in digitaler Sicherheit und Darknet-Recherche.

netzpolitik.org: Ihr habt für eure Recherche zu gestohlenen Fotos von Kindern und minderjährigen Jugendlichen großen Aufwand betrieben, um euch juristisch abzusichern. Wie könnte der Gesetzgeber die Arbeit von Journalist:innen verbessern?

Daniel Moßbrucker: Als Journalist:in läuft man bei der Recherche zu solchen Themen Gefahr, sich selbst strafbar zu machen. Das kann auch bei anderen Themen passieren, ist bei Recherchen zu sogenannter Kinderpornografie jedoch nochmal riskanter: Im Normalfall genügt schon der Aufruf eines einschlägigen Forums, um eine Anzeige zu bekommen. Journalist:innen können sich rechtlich darauf berufen, solche Recherchen „ausschließlich“ zur „Erfüllung beruflicher Pflichten“ durchzuführen. Die genauen Anforderungen sind jedoch bis heute vom Gesetzgeber nicht definiert worden.

Daher wünsche ich mir, dass sich der Gesetzgeber stärker mit dem Thema auseinandersetzt und in einem partizipativen Verfahren mit Journalist:innen praktikable Lösungen findet. Wir sollten gemeinsam klären, wer diese Seiten aufrufen darf und unter welchen Voraussetzungen. Natürlich muss das Thema Kinderpornografie extrem restriktiv gehandhabt werden, das ist für mich völlig klar. Aber der Staat darf Journalist:innen nicht per se von einem so wichtigen Thema ausschließen – denn Journalismus muss aufklären.

Gleichzeitig sollten Journalist:innen auch nicht aus bloßer Rechercheneugier „mal eben“ in Kinderpornografie-Foren absteigen und sich nach Stories umsehen. Für uns im Team war von Anfang an klar: Das wollen wir nicht auf gut Glück machen. Das braucht einen klaren Umriss, einen klaren Auftrag und auch eine rechtliche und technische Beratung mit professionellen Standards. Alles, was wir getan haben, fand daher in enger Begleitung mit dem Justiziariat des NDR statt.

netzpolitik.org: Die von Pädosexuellen gestohlenen Alltagsfotos stammen zu einem großen Teil von sozialen Medien wie Facebook oder Instagram. Hochgeladen wurden sie von Eltern oder den Jugendlichen selbst. Wer trägt deiner Meinung nach die Verantwortung, um das zu verhindern?

Daniel Moßbrucker: Das ist eine sehr spannende und schwierige Frage, die wir uns als Team immer wieder gestellt haben. Die größte Verantwortung tragen natürlich Täter:innen, die die Fotos stehlen und woanders hochladen. Ich habe durch unsere Recherche aber gelernt, dass darüber hinaus alle Beteiligten ihr Päckchen zu tragen haben.

Es sind die Eltern und Jugendlichen, die Fotos öffentlich hochladen und teilen. Die darf man nicht aus der Verantwortung lassen, dafür ist das Problem – spätestens mit unserer Recherche – zu sehr bekannt. Mit jedem einzelnen Upload müssen sich Eltern und Jugendliche die Frage stellen: „Kann ich damit leben, dass so ein Bild ein Leben lang im Netz kursiert und womöglich in falsche Hände gerät?“ Wer diese Frage nicht mit „Ja“ beantworten kann, sollte es lassen.

Die Täter:innen versuchen meist, die Fotos automatisch herunterzuladen, wogegen sich die sozialen Netzwerke mittlerweile recht gut wehren. Dennoch basieren soziale Netzwerke darauf, dass möglichst viele Menschen viele Inhalte teilen, die von vielen Menschen gesehen werden. Das liegt in ihrer DNA, sie waren es, welche Jugendliche und Eltern mit ihrem Geschäftsmodell dazu verleitet haben, das eigene Leben für ein paar Likes öffentlich zu machen.

Und zuletzt glaube ich auch, dass Strafverfolgungsbehörden noch größeren Druck auf die Täter:innen ausüben müssen. Viele von denen fühlen sich so sicher, dass sie ihre E-Mail-Adressen auf Profilen teilen. Da könnte man unseres Erachtens ansetzen für Ermittlungen.

netzpolitik.org: Ihr habt herausgefunden, dass viele Fotos auf einer russischen Plattform landen, die mit einigen Klicks im Internet zu finden ist. Wieso gehen die Behörden nicht gegen die Website vor?

Daniel Moßbrucker: Es ist erschreckend, wie sicher sich die Täter:innen dort fühlen. Die geben teilweise Klarnamen an. Das sind Daten, die eine schnelle Strafverfolgung in Deutschland ermöglichen könnten. Behörden aus EU-Staaten fehlen, so sagen sie es, effektive Mittel, dagegen proaktiv vorzugehen.

In Bezug auf die russische Plattform wurde uns mitgeteilt, dass Anfragen über Rechtshilfeabkommen die deutschen Behörden nicht weiterbrächten. Ich persönlich glaube aber, dass Strafverfolgungsbehörden nicht den nötigen Druck, den sie aufbauen könnten, zur Bekämpfung dieser Formen von Kinderpornografie auch wirklich ausüben.

Mir ist bewusst, dass die Kapazitäten für schweren Missbrauch und Opferschutz von misshandelten Kindern oberste Priorität haben. Und bei unserer Recherche ging es ja zumeist „nur“ um das verletzte Recht am eigenen Bild. Dennoch: Wir konnten berechnen, dass die russische Plattform mit Fotos von Kindern über 14 Milliarden Klicks generiert hat. Das ist eine wahnsinnige Zahl. Wer gezielt sucht, stößt sehr schnell auf die Website. Und deren Betreiber sind den Behörden bekannt. Da frage ich mich, wie es sein kann, dass diese Plattform seit 15 Jahren existieren kann.

netzpolitik.org: Stehen Datenschutz und der Wunsch nach einem freien Internet dem Vorgehen gegen solche Plattformen im Weg?

Daniel Moßbrucker: Man muss sich bei diesem Thema davon lösen, dass es nennenswerte Graubereiche gibt. Die Plattformen, die wir untersucht haben, haben eindeutig den Zweck, Menschen mit pädophilen Neigungen anzulocken. Wenn mir die Betreiber der russischen Plattform sagen würden: „Bei uns gibt es ja auch Landschaftsbilder und Autofotos“, dann mag das stimmen, aber der Website-Traffic verrät, wo die meisten Bilder gepostet und angesehen werden.

Rein zufällig sind es auch häufig Sexportale, die auf dieser Seite Werbung schalten. Damit verdienen die Betreiber offenbar also ihr Geld. Ich kann nicht erkennen, dass es am europäischen Datenschutz liegen soll, dass diese russische Plattform seit 15 Jahren frei zugänglich ist.

netzpolitik.org: Du und dein Rechercheteam hatten Zugang zu einem Datensatz, der die Geschichte von „Boystown“, einem Pädosexuellen-Forum im Darknet mit über 400.000 Benutzerkonten, widerspiegelt. Jetzt ging das Forum nach knapp zwei Jahren offline. Wie können sich Laien den Takedown eines Darknet-Forums vorstellen?

Daniel Moßbrucker: Der Datensatz, den wir einsehen konnten, zeigt den rasanten Aufstieg von „Boystown“ zu einer der größten Kinderpornografie-Plattformen überhaupt. Es begann mit 23 Accounts an einem Sommertag 2019, und nun waren es am Ende wohl über 400.000. Dieser rasante Aufstieg spricht dafür, dass die Administratoren genau wussten, was sie machten und lange Zeit keine Fehler gemacht haben – bis jetzt offenbar. Wie genau die Behörden in diesem Fall vorgegangen sind, ist mir nicht bekannt.

Grundsätzlich haben Behörden zwei Möglichkeiten: eine technische und eine menschliche. Technisch können sie versuchen, Schwachstellen im Code des Forums zu finden und den Täter:innen einen Trojaner aufzuspielen, um ihre wahre IP-Interesse zu erfahren. Oder sie versuchen, mit den Täter:innen im Chat in Kontakt zu kommen und darauf zu hoffen, dass sie Informationen preisgeben, mit denen Ermittler:innen ihnen auf die Spur kommen.

Ist die Identität geklärt, werden die Verdächtigen meist eine Zeit lang überwacht und irgendwann erfolgt der Zugriff, bei dem die Behörden die Täter:innen meist erwischen wollen, wenn sie am Rechner sitzen, um später keine Probleme mit verschlüsselten Systemen zu haben. Dann schalten Behörden die Server ab – und die Nutzer:innen merken nur: „Oh, das Forum ist plötzlich offline, hier stimmt etwas nicht.“

netzpolitik.org: Als investigativer Journalist recherchierst du häufig im Darknet. Hat sich im Laufe der Recherche dein Blick auf die Nutzung des Tor-Browsers und des Darknets an sich verändert?

Daniel Moßbrucker: Ich habe im Laufe der Jahre vor allem gelernt, dass dieses Dilemma zwischen positiven und negativen Seiten des Darknets nie aufzulösen sein wird, egal wie häufig ich mir die Frage stelle. Wir müssen uns damit abfinden, dass es Anonymisierung gibt, egal ob uns das gefällt oder nicht. Der Geist ist aus der Flasche.

Aus meiner Sicht brauchen wir Instrumente wie das Tor-Netzwerk, das vielen Menschen hilft und journalistische Recherchen erst möglich macht. Man darf nicht vergessen, dass das Internet nicht überall auf der Welt frei zugänglich ist.

Mit Tor lässt sich Internetzensur kostenlos umgehen. In meiner Arbeit als Sicherheitstrainer für Journalist:innen erlebe ich das häufig aus erster Hand. Natürlich wird es immer Menschen geben, die so einen Schutz missbrauchen und natürlich müssen wir die verfolgen. Aber es ist zu einfach, das böse Darknet allein für gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu machen.

Vor unserer Recherche dachte auch ich noch, dass es Kinderpornografie nur im Darknet gibt. Das Gegenteil ist der Fall. Da sind Plattformen im Clearweb dabei, das hat mit dem Tor-Netzwerk überhaupt nichts zu tun.

netzpolitik.org: Wie schwierig war es denn, in die Darknet-Foren zu gelangen?

Daniel Moßbrucker: Da reinzukommen, hat echt gedauert. Es ist einfacher, einen Marktplatz für Drogen oder Waffen zu finden. Durch das Darknet verläuft eine Trennlinie, wenn es um Kinderpornografie geht: Entweder Du ordnest dem alles unter, oder Du kämpfst dagegen.

Selbst auf kriminellen Plattformen, bei denen man gefälschte Kreditkartendaten, Drogen und anderen illegalen Kram kaufen kann, fliegen Anbieter:innen von Kinderpornografie sofort runter. Die sind wirklich von allen geächtet und schotten sich deshalb ab.

In den Darknet-Foren, in denen auch Bildnisse von schwerem Kindesmissbrauch getauscht werden, hast du daher in aller Regel schon eine andere Art von Täterschaft als beispielsweise auf der russischen Plattform. Viele sind da deutlich vorsichtiger und technisch versierter. Die Administratoren ermahnen die User auch regelmäßig, besonders wachsam zu sein. Nahezu alle Behörden der Welt verfolgen schließlich Kinderpornografie. Wer in der Lage ist, unter diesen Umständen ein Forum über lange Zeit aufrecht zu erhalten oder Inhalte im großen Stil herunterzuladen, der braucht einen gewissen technischen Sachverstand.

netzpolitik.org: Du sagtest eben, die Betreiber der russischen Plattform verdienen mit ihrer Website mutmaßlich Geld über Werbeanzeigen. Bereichern sich die Forenbetreiber im Darknet auch mit den gestohlenen Bildern?

Daniel Moßbrucker: Nein. In diesen sogenannten „Hardcore-Foren“ für Kinderpornografie wird in der Regel nicht mit Geld bezahlt, sondern mit Bildern. Das ist vielen Eltern und Jugendlichen nicht bewusst. Die Täter:innen brauchen die Bilder, um überhaupt erst in den Foren handeln zu können. Die bekommen „härteres“ oder neues Bildmaterial, wenn sie selbst etwas beisteuern. Wenn ein User keine Missbrauchsfotos hat oder sich nicht traut, entsprechendes Material runterzuladen, kann er sich immer noch bei Facebook oder Instagram an öffentlichem Material bedienen und zum Tausch anbieten.

Auch harmlose Fotos haben auf den einschlägigen Plattformen ihre Interessenten. Dadurch steigt die Reputation im Forum und User:innen bekommen mehr Inhalte von anderen zugespielt, und mit der Zeit legen sie sich ihre Sammlung an.

Das ist das Krasse: Eltern und Kinder, die vermeintlich harmlose Fotos teilen, helfen indirekt solchen Foren und sorgen dafür, dass User:innen im Rang aufstiegen können, um letztendlich härtere Bilder zu bekommen. Die Bilder fungieren als „Währung“. Diese Foren darf man sich nicht so vorstellen wie Facebook, wo alles sichtbar ist. Das sind anonyme Vernetzungsplattformen, auf denen sich die User:innen gegenseitig teasen: „Das hier habe ich. Was hast du?“ Und dann unterhalten sie sich offenbar privat im Chat weiter. An der Stelle war für uns dann Schluss. Wir haben nie Fotos getauscht.

netzpolitik.org: Das hört sich für mich nach einer starken psychischen Belastung an. Wie bist du während der Recherche mit dem Thema umgegangen?

Daniel Moßbrucker: Was wir im Rahmen der Recherche gesehen haben, war heftig. Wir haben in der Basisrecherche den Tor-Browser zwar bewusst so konfiguriert, dass uns keine Bilder angezeigt wurden. Wir haben also nur den Text gesehen. Aber das war schlimm genug. Bei mir war die Grenze erreicht, wenn es um Säuglinge ging. In den Foren gibt es die Kategorie „0 – 3 Jahre“. Das sind Inhalte, die lagen und liegen außerhalb meiner Vorstellungskraft. Ich hätte niemals gedacht, dass es Menschen auf dieser Welt gibt, die sich an Säuglingen vergehen. Das hat mich fertig gemacht.

Und dennoch: So etwas gibt es wirklich. Deshalb ist es wichtig, dass Journalist:innen da sind, um darüber zu berichten. Die Probleme werden nicht gelöst, wenn wir nur alle die Augen zu machen und nicht glauben wollen, dass so etwas passiert.


Die Videobeiträge zur Recherche über gestohlene Kinderfotos sind bei ZAPP, STRG_F und im ARD-Politmagazin Panorama erschienen.


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