Auf der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit landet Deutschland nicht mehr in der Kategorie „gut“ und rutscht von Rang 11 auf Rang 13 ab. Die Organisation Reporter ohne Grenzen, die die jährliche Rangliste veröffentlicht, bezeichnet die Lage nun nur noch als „zufriedenstellend“. Der Grund: eine „noch nie dagewesene Dimension“ der Gewalt gegen Medienschaffende.
Angriffe gegen Journalist:innen auf Corona-Demos
Die Organisation zählte in Deutschland 65 gewalttätige Angriffe gegen Journalist:innen – die Zahl hat sich damit im Vergleich zum Vorjahr verfünffacht. Viele der Übergriffe fanden Reporter ohne Grenzen zufolge auf oder am Rande von Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Vorstandssprecher des Vereins Michael Rediske nennt das „ein deutliches Alarmsignal“.
Doch auch weltweit beobachtet Reporter ohne Grenzen Auswirkungen der Pandemie auf die Pressefreiheit. Insbesondere die Regierungen und Regimes repressiver Staaten missbrauchten die Pandemie als Vorwand, um die Pressefreiheit weiter einzuschränken. Als Beispiel nennt Reporter ohne Grenzen Ägypten (Rang 166), wo die Veröffentlichung aller nicht-offiziellen Infektionszahlen verboten wurde. In Syrien (Rang 173) verhängte das Regime eine Nachrichtensperre für alle Medien außer der staatlichen Nachrichtenagentur.
Fake News und Verschwörungstheorien auf Facebook
Die Präsidenten Donald Trump in den USA (Rang 44) und Jair Bolsonaro in Brasilien (Rang 111) verbreiteten Falschaussagen über Covid-19 und hetzten gegen Journalist:innen. Damit schufen sie ein „Klima der Aggressivität und des Misstrauens“, heißt es in dem Bericht von Reporter ohne Grenzen. Dies bestätigte die Journalistin Patrícia Campos Mello in einer Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen. Gegen Fake News auf Facebook sei durch korrekte journalistische Informationen kaum anzukommen – das erlebe sie gerade an einer Desinformationskampagne gegen sie persönlich, die auch Präsident Bolsonaro unterstütze.
Auch der US-amerikanische Politikwissenschaftler Francis Fukuyama sieht die Macht der großen Internetkonzerne Twitter, Google und Facebook als Bedrohung für die Pressefreiheit. „Der Großteil unserer Kommunikation basiert mittlerweile auf zumindest einer dieser Plattformen“, so Fukuyama in der Pressekonferenz. „Es gibt Länder, dort ist Facebook der einzige Weg, über den Menschen gerade noch miteinander reden.“ Doch die Geschäftsmodelle der Plattformen befeuerten die Verbreitung von Fake News und Verschwörungstheorien.
Festnahmen von Medienschaffenden
Ganz unabhängig von der Pandemie beobachtete Reporter ohne Grenzen neue problematische Entwicklungen der Pressefreiheit – auch in Europa. In Ungarn (Rang 92) schaltete die Regierung „zwei unabhängige wichtige Medien defacto aus“. Im Zusammenhang mit der Berichterstattung über Migration seien mehrere Reporter:innen in Griechenland (Rang 70) festgenommen worden. In Belarus (Rang 158) kam es im Laufe des Jahres 2020 zu vorübergehenden Festnahmen von mehr als 400 Medienschaffenden, die über Massenproteste nach der umstrittenen Präsidentenwahl berichtet hatten.
Die belarussische Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja, die mittlerweile in Litauen im Exil lebt, äußerte sich auf der Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen zu den Zuständen für Journalist:innen in ihrem Land. „Sie werden geschlagen, ihr Equipment wird zerstört, sie werden massiv verfolgt und ihnen wird der Zugang zu Informationen verweigert.“ Auch ihr Ehemann, der Blogger Sjarhej Zichanouski, sitzt mittlerweile seit 11 Monaten im Gefängnis. „Sein ‚Fehler‘ war, dass er den Mut fand, die Wahrheit zu zeigen.“
Schlusslicht Eritrea, Spitzenreiter Norwegen
Die meisten Journalist:innen sind laut Reporter ohne Grenzen aktuell in China inhaftiert. Das Land stellt damit eines der Schlusslichter auf der Liste der 180 Länder dar. Dahinter liegen noch Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea.
Doch es gibt auch in einigen Regionen Grund zum Aufatmen: In einigen Subsahara-Ländern wie Burundi oder Mali verbesserte sich die Situation für Medienschaffende und in den nordeuropäischen Ländern Norwegen, Finnland und Schweden (Rang 1 bis 3) konnte sich ein hoher Grad an Pressefreiheit auch in der Pandemiezeit weiter durchsetzen.
Reporter ohne Grenzen veröffentlicht jährlich eine Rangliste der Pressefreiheit mit einer interaktiven Weltkarte. Zugrunde liegt eine Befragung von hunderten Journalist:innen, Wissenschaftler:innen und Jurist:innen über die Situation der Pressefreiheit sowie eine eigene Erfassung von Übergriffen und Gewalttaten gegen Journalist:innen durch die Organisation. Daraus wird eine gewichtete Punktzahl errechnet. Die Befragung für die aktuelle Rangliste der Pressefreiheit fand zwischen Dezember 2020 und Ende Januar 2021 statt – die Ergebnisse beziehen sich somit auf das Kalenderjahr 2020. Spätere Ereignisse wie der Militärputsch in Myanmar wurden nicht berücksichtigt.
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