Im Ausländerzentralregister soll künftig auch stehen, ob jemand Sozialleistungen bekommt. Gleichzeitig will die Bundesregierung noch mehr Behörden online auf die Daten zugreifen lassen. Dabei gelangen heute schon regelmäßig persönliche Informationen in falsche Hände.
Es ist laut Bundesverwaltungsamt eines „der ganz großen automatisierten Register der öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland“: das Ausländerzentralregister (AZR). Vielfach erweitert enthält die Riesendatenbank aktuell rund 26 Millionen personenbezogene Datensätze. Erfasst sein sollen darin alle, die als Ausländer:innen in Deutschland leben oder gelebt haben.
Die aktuelle Bundesregierung will diese Sammlung ein weiteres Mal erweitern. Mit dem Gesetzentwurf „zur Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften im Ausländer- und Sozialrecht“ (DÜV-AnpassG) sollen mehr Daten im AZR landen und noch mehr Behörden sollen sie automatisiert abrufen können.
Im Fokus sind vor allem Sozialdaten, die den sogenannten Datenkranz des Registers erweitern sollen. So soll künftig auch gespeichert werden, welche Sozialleistungen eine Person bezieht. Das können etwa Grundsicherung oder Sozialhilfe sein, aber auch Leistungen für Asylbewerber:innen oder Unterhaltsvorschüsse. Gelten soll das nicht nur für Asylsuchende, über die besonders viele Daten im AZR erfasst sind. Es „kommen grundsätzlich alle im AZR erfassten Personen mit Ausnahme von Unionsbürgern in Betracht“, heißt es im Gesetzentwurf. Ausgenommen sind also lediglich Bürger:innen anderer EU-Staaten.
Eine Ausländerbehörde soll so beispielsweise mitbekommen, wenn eine Person keine Leistungen mehr bezieht, weil sie weggezogen ist. Denn dadurch kann in manchen Fällen auch ihre Aufenthaltserlaubnis wegfallen.
„Sensible, stigmatisierende Daten“
Die Juristin Sarah Lincoln von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sieht die Erweiterung skeptisch: Dass jemand Leistungen wie Grundsicherung beziehe, sei an sich bereits „ein sensibles, unter Umständen stigmatisierendes Datum“, schreibt sie. Das landet nun gemeinsam mit vielen anderen Informationen in einer der größten Datensammlungen des Landes.
„Besonders problematisch“ ist aus Sicht der GFF jedoch, dass viele weitere Stellen automatisiert Daten aus dem AZR abrufen können sollen. Im Gesetzentwurf heißt das, man wolle „rechtliche Hürden für die Zulassung zum automatisierten Abrufverfahren aus dem AZR“ abbauen. Sie müssen dann nicht mehr schriftlich beim Bundesverwaltungsamt nachfragen wie bisher, sondern können direkt online auf die Daten zugreifen. Das spart Bearbeitungsaufwand im Bundesverwaltungsamt. Und damit Geld.
Ende September 2023 waren bereits 3.956 Behörden zum automatisierten Abruf berechtigt, wie uns das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mitteilte. Darunter sind etwa Ausländerbehörden, Polizeien oder Geheimdienste. Nach der Erweiterung könnten 3.000 neue Behörden dazukommen, so die Schätzung im Gesetzentwurf. Das sind etwa Justizvollzugseinrichtungen, Jobcenter, Gesundheitsämter oder Gerichte. Lincoln fürchtet, dass ein automatisierter Zugriff die Hemmschwelle erheblich senkt, „sich über ausländische Staatsangehörige im AZR zu informieren“. Das erhöhe die Missbrauchsgefahr: „Und die ist ohnehin schon enorm“, so Lincoln weiter.
BAMF stellt Datenschutzverstöße fest
Dass Behörden nicht unberechtigt auf die Daten zugreifen, soll unter anderem das Bundesamt für Migration und Flucht (BAMF) kontrollieren. Es ist die zuständige Registerbehörde und überprüft laut AZR-Gesetz „die Zulässigkeit der Abrufe durch geeignete Stichprobenverfahren“. Seit Ende 2021 „wurden pro Quartal 2.400 Stichproben gezogen und überprüft“, schrieb ein Sprecher der Behörde auf unsere Anfrage im September.
Bei diesen Überprüfungen entdeckte das Bundesamt Probleme: In 0,3 Prozent der überprüften Fälle fand das BAMF Datenschutzverstöße, die so gravierend waren, dass sie an eine Datenschutzbehörde gemeldet werden mussten. In 1,5 Prozent der Fälle stellte die Behörde Datenschutzverstöße ohne Meldeverpflichtung fest. Die Meldepflicht entfällt dann, wenn die „Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten voraussichtlich nicht zu einem Risiko für die Rechte und Freiheiten natürlicher Personen“ führt.
In insgesamt 1,8 Prozent der Fälle hatten also Personen persönliche Daten zu sehen bekommen, die dazu nicht berechtigt waren. 1,8 Prozent klingen nach einer kleinen Zahl, doch können sie sich bei vielen Abrufen schnell aufsummieren. Laut einer Studie der GFF wird nur einer von etwa 14.000 Abrufen überprüft. Kommt es zu Verstößen, kann das reale Probleme für die Betroffenen machen: Ein Mitarbeitender der Bundesagentur für Arbeit etwa schüchterte mit Daten aus dem AZR einen ägyptischen Schutzsuchenden ein.
Schon ohne die geplante Erweiterung kritisieren Rechts- und Asylexpert:innen die Regelungen rund um das AZR als verfassungswidrig. Die GFF hat deshalb gemeinsam mit PRO ASYL und dem Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) eine Verfassungsbeschwerde gegen die letzte Neuregelung eingereicht, die im November 2022 in Kraft getreten ist. Sie richtet sich dagegen, dass seitdem Asylbescheide und Gerichtsentscheidungen in bestimmten Fällen in dem Register gespeichert werden können. Die GFF hofft: „Wir brauchen dringend eine Entscheidung aus Karlsruhe, die die grundrechtlichen Grenzen für die Speicherung von Daten geflüchteter Menschen klarzieht.“
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