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Bullshit-Busters: Finger weg vom Smartphone!

Die Bundesregierung hat ein neues Lieblingsthema: mehr Abschiebungen. Dafür greift sie zu immer härteren Mitteln. So müssen Ausländer:innen ohne Papiere ihre Handys durchsuchen lassen. Ein tiefer Eingriff in die Privatsphäre, der noch dazu weitgehend nutzlos ist. Wir berichten seit Jahren darüber und entlarven die falschen Argumente der Behörden. Denn digitale Grundrechte gelten für alle.

Who you gonna call? Bullshit-Busters! Wir räumen auf mit Mythen, Lügen und falschen Versprechungen. Tagein, tagaus bekämpfen wir den Bullshit der digitalen Welt. Und wir kämpfen für Eure Grund- und Freiheitsrechte. In den kommenden Wochen berichten wir Euch in kurzen Beiträgen, welchen Bullshit wir dieses Jahr aufgedeckt und bekämpft haben. Hier erzählt Chris vom Kampf gegen die Überwachung von Migrant:innen und Asylsuchenden.

Diese Geschichte beginnt wie viele gute Geschichten: mit einer Empörung. Die Ausländerbehörde in Berlin hatte die Smartphones von Menschen durchsucht, die ohne Papiere in der Stadt lebten, um darauf nach Hinweisen für ihre Identität zu suchen. Ich habe das mitbekommen und mich darüber aufgeregt. Weil es mir so krass vorkommt, dass das erlaubt ist. Dass die Behörden einfach durch alle Details des Privatlebens dieser Menschen scrollen dürfen. Als hätten sie ihr Grundrecht auf Privatsphäre allein schon dadurch verwirkt, dass sie keinen gültigen Pass vorlegen können.

Seit fünf Jahren recherchieren wir inzwischen zu den Handydurchsuchungen von Ausreisepflichtigen. Wir haben aufgedeckt, wie Behörden in Berlin, Hamburg und Bayern die Smartphones von Geduldeten hacken. Die Maßnahmen sollen sogenannten „Asylmissbrauch“ verhindern und dabei helfen, die Identität von Menschen ohne Pass zu ermitteln. Aber das ist Bullshit!

Wir konnten zeigen, wie viele Personen davon betroffen sind und wie die Ausländerbehörden beim Knacken und Auslesen der Handys teils mit Polizei und Zoll zusammenarbeiten – als gehe es darum, Verbrecher festzunageln. Wir haben dafür gesorgt, dass Datenschutzbehörden auf die Fälle aufmerksam wurden und angefangen haben, die Praxis der Ausländerbehörden zu untersuchen. Vor allem konnten wir aber zeigen, wie wenig diese Maßnahmen objektiv bringen.

Gerne würde ich an dieser Stelle feiern, dass die Superkräfte des Journalismus gesiegt haben. Dass wir die Energiestrahlen aus unseren Protonen-Packs gekreuzt haben – und Zosch! Die Wahrheit ist: Die Situation ist gerade schlimmer denn je.

Statt die Handydurchsuchungen abzuschaffen, fährt die Bundesregierung aktuell einen Kurs der Schikane gegen Asylsuchende und Geduldete. Vermutlich ist auch den Verantwortlichen im Bundesinnenministerium klar, dass sich dieser massive Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen nicht wirklich lohnt. Trotzdem will das Ministerium die Befugnisse noch weiter ausbauen: Nicht nur das Gerät selbst, sondern auch die Cloud soll jetzt durchsucht werden. Das Ministerium will den Behörden außerdem erlauben, die Wohnungen von Geflüchteten zu durchsuchen, um die Handys zu beschlagnahmen.

Diese drei Mythen habe ich „gebustet“:

  • Mythos #1: „Die Daten aus dem Handy sagen etwas aus über die Staatsangehörigkeit.“ Das ist Bullshit. Wer versteckt schon seinen Pass heimlich im Fotostream oder zwischen den Notizen? Auch die Idee, dass sich aus Ländervorwahlen von angerufenen Telefonnummern oder aus Chatnachrichten eine Staatsangehörigkeit rekonstruieren ließe, ist reines Wunschdenken der Politik. Das Handy kann maximal Indizien dafür liefern, wo sich jemand längere Zeit aufgehalten hat. Tatsächlich leben Menschen auf der Flucht oft jahrelang in anderen Ländern, bevor sie weiter nach Deutschland reisen.
  • Mythos #2: „Die Durchsuchungen führen zu mehr Abschiebungen.“ In den von uns recherchierten Fällen konnten die Behörden keinen einzigen Fall nennen, in dem die erzwungenen Durchsuchungen dazu führten, dass eine Person abgeschoben werden konnte. Das ist aber auch kein Wunder: Denn die Abschiebungen scheitern meist nicht an der ungeklärten Identität, sondern daran, dass Staaten die Menschen nicht zurücknehmen wollen. Und dass eine Botschaft plötzlich Passpapiere ausstellt, weil die Ausländerbehörde ein paar Anrufe nach Gambia oder Irak nachweisen kann, ist eher unwahrscheinlich.Dass sich auf diesem Weg wenig holen lässt, wissen auch die Behörden selbst. Einige gestehen es sogar offen ein. Die Ausländerbehörde in Berlin etwa. Sie ließ jahrelang die Handys von ausreisepflichtigen Menschen mit aufwändiger forensischer Technik durchsuchen – als wären sie Kriminelle. Nach unserer Berichterstattung rüstete sie wieder ab. Der Aufwand habe sich einfach nicht gelohnt, räumte die Behörde ein.
  • Mythos #3: „Hier werden keine Grundrechte verletzt, bitte gehen Sie weiter.“ Behördenmitarbeiter:innen, die durch Fotos und Nachrichten auf dem Handy scrollen? Schon beim Gedanken daran überfällt die meisten Besitzer:innen eines Smartphones das Grauen. An kaum einer anderen Stelle befinden sich so viele intime Details aus unserem Leben. Doch im Fall von Ausreisepflichtigen, argumentiert die Behörde, werde der „Kernbereich der privaten Lebensführung“ nicht verletzt. Schließlich muss laut Gesetz eine Person mit juristischem Staatsexamen die Handys durchsuchen – und die gibt dann nur zu den Akten, was erlaubt ist. Dass hier dennoch eine Behördenmitarbeiterin im Zweifel durch Sexting, Perioden- oder Gebets-App kramen darf, nimmt die Politik in Kauf.


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