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Degitalisierung: Stumpfer Technologieeinsatz

Idea Guys schlagen übermäßigen Einsatz von neuartigen Hype-Technologien vor und wollen damit Probleme lösen, die eigentlich warten können. Sie haben jede Menge Fanbois hinter sich, die ihnen zujubeln. Innovation ist King und setzt sich oftmals gegen Grundrechte durch.

Ein Hammer, der auf Straßenasphalt auftrifft und Glas zerschlägt
Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Moritz Mentges / Unsplash

Wir beginnen diese sonntägliche Kolumne mit Typen. Heute soll es zu Beginn gehen um die Typen, die durch stumpfen Technologieeinsatz alles noch viel schlimmer machen mit der Technik. Die es leider auch schaffen, Fans dafür zu finden. Degitalisierung mit dem stumpfen Hammer also.

Denn oftmals steht zu Beginn stumpfen Technologieeinsatzes der Idea Guy. Laut Urban Dictionary:

Jemand, der endlose Listen mit guten und schlechten Ideen vorweisen kann, dem aber die Fähigkeiten und/oder die Motivation fehlen, eine davon umzusetzen. Wird normalerweise von Programmierer*innen verwendet.

Idea Guys gibt es in der Tech-Branche leider viele. Oft zeichnen sie sich durch den übermäßigen Einsatz von neuartigen Hype-Technologien aus oder durch Prophezeiung von einer technologisch revolutionären Zukunft in sehr kurzer Zeit. Meist aber ohne einen belastbaren Plan, wie konkrete technische Limitationen und dazugehörige soziale Probleme gelöst werden könnten. Hype-Technik X wird es schon magisch richten.

Beispiele für Idea Guys gibt es viele, eine bemerkenswerte Ansammlung von guten und schlechten Ideen mit komplett unrealistischen Zeitplänen sammelt aber Elon Musk an. Interessanterweise vorwiegend im Feld der Mobilität. Vollautonomes Fahren hatte der Tesla-CEO 2016 etwa schon für 2018 angekündigt. Hat nicht so ganz geklappt. Auch trotz immensem, stumpfen Technologieeinsatz mit sogenannter künstlicher Intelligenz. Am Ende halfen auch inszenierte Videos nichts.

Erinnert sich noch wer an die Idee des Hyperloop? Musk, August 2013. Kommt aktuell auch nicht so direkt weit und schon gar nicht so schnell und billig wie prophezeit. War aber halt spannender als sowas Dröges wie die Modernisierung des Schienennetzes der Deutschen Bahn.

Das Problem an diesen Visionen ist nicht, dass sie nicht irgendwie technologisch mit unendlichem Ressourceneinsatz und unendlichem Aufwand realisierbar wären. Das Problem ist, dass sie von aktuellen Problemen ablenken. Probleme, die heute gelöst werden müssten und könnten. Mit der ollen Technik und den beschränkten Ressourcen von heute. Probleme wie die Klimakrise etwa. Aber auch da stehen Idea Guys mit vermeintlich „einfachen“ technischen Lösungen schon in den Startlöchern.

Gläubige

Musk und die anderen Silicon-Valley-Tech-Bros sind leider gute Verkäufer ihrer Ideen und damit nach einer gewissen Zeit solvent genug, entsprechend viel Geld in die Hand nehmen zu können, solche fixen Ideen irgendwie umsetzen zu wollen. Sie sind obendrein oftmals gut darin, Fanbois um sich und ihre Ideen zu sammeln. Ein Fanboi ist folgendermaßen definierbar:

Jemand, der einer Sache hoffnungslos verfallen ist und alles mag, was mit dieser Sache zu tun hat.

Im Zeitalter sogenannter Künstlicher Intelligenz haben die Idea Guys und KI-Fanbois bis KI-Fangirls nun aber auch passende Tools gefunden, die auf den ersten Versuch Ergebnisse liefern, die für sie gut genug sind und sie im Glauben an die Technologie bestärken. Dabei helfen dann auch mal ganz gerne etwas beschönigte Demos. Aber darum gehts den Fanbois und Idea Guys nicht. Es ist gut genug, um zeigen zu können, welche tolle Ideen man habe und dass das mit der handwerklichen Umsetzung in Bildern, Texten, Tönen oder bisher von Fach-Expert*innen unlösbaren Problemen in vielen Disziplinen doch gar nicht so kompliziert ist. Den Rest macht ja dann die Maschine und die muss immer besser werden.

Dass Generative KI dabei etwa oftmals eine Suppe von gleichartigen Ergebnissen erzeugt, ist dabei egal. Denn darum geht es den Idea Guys gar nicht. Sie können irgendwie sagen, dass ihre fixen Ideen sich immerhin soweit materialisiert haben, dass sie irgendwie präsentabel sind. Die visionäre Idee, die ist doch toll!

Nach Walter Benjamin hätte diese Art von Kunst zwar jegliche Aura verloren, aber irgendwie wohnt generativer KI-„Kunst“ immer noch eine seltsame Faszination inne: dass die dahinterliegenden Systeme so weit gekommen sind. Und dass man doch immer noch etwas begeistert und fasziniert ist, wie schnell sich die Systeme generativer KI doch entwickelt haben in der letzten Zeit. Nur hat das immer mehr seinen Preis.

Schneller, heißer, mehrdimensionaler

In der Liste der weltweit leistungsfähigsten Supercomputer, der Top 500, finden sich Stand November 2023 bereits zwei für sogenannte KI optimierte Cloud-Systeme in den Top 10. Je ein System von Microsoft und Nvidia. Diese sind einfach zu finden in der Auflistung: Es sind die Systeme ohne genaue Angabe des Stromverbrauchs.

Bemerkenswerterweise sind Systeme mit speziellen KI-Beschleunigern auch in den Green 500 ganz vorne, der Liste für die effizientesten Supercomputer. Supercomputer für KI-Berechnungen scheinen also eigentlich total effizient zu sein.

Hilft aber wenig, denn auf der anderen Seite ist das Training von KI-Modellen extrem ineffizient, also bleibt am Ende kein wirklicher Fortschritt über, sondern ein immer stärkerer Ressourcenverbrauch an immer mehr werdenden KI-Systemen für nahezu alle mehr oder weniger sinnvollen Anwendungen. Am Ende steigt der Stromverbrauch, der Verbrauch von Wasser und immer weiter steigt der Hunger nach immer mehr Daten.

Ein Grund dafür ist etwa der Fluch der Dimensionalität – das exponentielle Wachstum des Raums und damit der Daten, die man benötigt, um ihn zu füllen, in Abhängigkeit der Anzahl an immer mehr Eingangsgrößen.

Dafür braucht es natürlich immer bessere Hardware, allerdings ist diese aktuell schwer zu bekommen. Nvidia hat im dritten Quartal laut Recherchen von Omdia fast 500.000 für die Nutzung von KI optimierte GPUs der Reihen H100 und A100 ausgeliefert und hat noch mehr Nachfrage – der Großteil davon ging aber ganz machtzentriert an Big Tech wie Microsoft und Meta (Facebook). Hardware, die mit der spätestens über- oder übernächsten Generation schon wieder nicht mehr von der Leistung mithalten kann und auf den Müll wandern wird.

Mitten in diese Spirale von stumpfem Technologieeinsatz kommen aber dann auch noch Gerüchte um sogenannte AGI – Artificial General Intelligence. OpenAI habe sich wegen Q* zerstritten, Durchbruch hier, Sensation da. In solch aufregenden Zeiten ohne viel Substanz lese ich dann lieber die geradezu beruhigende Worte aus Schweden von Markus Lewicki, Vizerektor für künstliche Intelligenz und Leiter der Forschungsgruppe „Maschinelles Lernen“ an der Luleå University of Technology. Lewicki geht soweit zu sagen, dass es schon deshalb in naher Zukunft keine AGI geben wird, weil der Energiebedarf für ein solches System viel zu groß wäre.

Einerseits tröstlich irgendwie, andererseits ebenso gefährlich. Denn irgendein meist aus dem Silicon Valley stammender Idea Guy wird dennoch versuchen, diese fixe Idee irgendwie mit immensem Einsatz von Ressourcen umzusetzen. Und viele Fanbois werden ihn dafür anhimmeln. Über soziale Folgen reden wir da oftmals schon gar nicht mehr.

Innovation ist ein scheues Reh

Zum Zeitpunkt des händischen Schreibens dieser Worte wird in Brüssel noch die KI-Verordnung verkündet, verhandelt oder was auch immer gerade ihr genauer Status ist. Tag 3, Stunde drei- und irgendwas, ich habe aufgehört zu zählen. Ist so ein wenig wie enttäuscht bei einem Fußballspiel zugucken, wenn deine Mannschaft 0:2 hinten liegt. Ich hab dann nicht mehr so genau hingesehen. Es gäbe Einigung bei den wesentlichen Punkten, zu den sogenannten Basismodellen etwa, heißt es. Würden jetzt doch irgendwie reguliert, bis auf irgendeine Hintertür.

Das dürfte der Bundesregierung und Frankreich aus Interesse eigener Unternehmen wohl nicht so schmecken. Biometrische Massenüberwachung wird für Strafverfolgungsbehörden aber doch irgendwie kommen, wenn auch beschränkt. Kein derartiges Abkommen darf uns die Legitimierung digitaler Unterdrückungsinstrumente wert sein.

Auf EU-Ebene werden gerade viele netzpolitische Auseinandersetzungen gefochten. Oftmals verlieren Grundrechte aber gegen den Drang nach vermeintlichen Innovationen. Man dürfe Innovation wie bei den Foundation Models nicht hemmen durch Regulierung und die innere Sicherheit dürfe man nicht gefährden durch das Verbot von biometrischer Massenüberwachung oder Chatkontrolle. Gesundheit nicht durch übertriebenem Sicherheitsanspruch mit Gesundheitsdaten und so weiter.

Wir leben in einer seltsamen Zeit von digitalen Innovationen. Anscheinend müssen der Innovation – sei es im Bereich KI, Gesundheitsforschung, bei der inneren Sicherheit oder aus sonstigen fadenscheinigen Gründen – immer ein Teil unserer Grundrechte, eine exzessive Menge an Ressourcen oder unsere intimsten Daten geopfert werden. So predigen das oftmals Idea Guys und werden doch von ihren Fans unterstützt.

Innovation ist offenbar ein scheues Reh, das nur gefunden werden kann, wenn man den ganzen Wald um das Reh herum bis zum Stumpf abholzen darf.

Und nein, das Bild dürft ihr euch jetzt ganz alleine in eurem Kopf selbst vorstellen. Ganz stumpf.


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