Der EU-Innenkommissarin droht weiteres Ungemach. Die Datenschutzorganisation noyb hat nun formell Beschwerde gegen eine umstrittene Chatkontrolle-Kampagne von Ylva Johansson eingelegt. Bei Zielgruppenauswahl dieser Werbung wurden politische und religiöse Filter angewendet.
Die Datenschutzorganisation Noyb hat eine Beschwerde (PDF) beim Datenschutzbeauftragten der EU gegen das Innenkommissariat von Ylva Johansson eingereicht. Konkreter Gegenstand der Beschwerde ist die Nutzung von politischem Mikrotargeting im September auf X/Twitter zur Bewerbung der Chatkontrolle-Verordnung in Ländern, in denen es dafür keine Mehrheit gab.
„Es dürfte sich um einen verzweifelten Versuch der EU-Kommission handeln, öffentliche Unterstützung zu finden und nationale Regierungen dazu zu drängen, den Gesetzesvorschlag zu akzeptieren“, heißt es in der Presseerklärung der Datenschützer. Dieses Vorgehen habe die etablierten demokratischen Verfahren zwischen den EU-Institutionen untergraben und gegen die EU-Datenschutz-Grundverordnung verstoßen.
Werbung ist der EU-Kommission zwar nicht verboten, Stein des Anstoßes ist vielmehr das politische Mikrotargeting. Hierbei wählte die EU-Kommission die Zielgruppe der Werbung auch nach religiösen und politischen Einstellungen aus. So sind die Zielgruppen der Kampagne bewusst so zugeschnitten worden, dass angeblich Datenschutzinteressierte und Euroskeptiker sowie Anhänger:innen rechtsradikaler Parteien von der Anzeige der Werbung ausgeschlossen wurden. Zudem wurden auch religiöse Kriterien verwendet. Es handelt sich deswegen um politisches Mikrotargeting – einer Form von gezielter Werbung, die die EU wegen Manipulationsmöglichkeiten eigentlich strenger regulieren will.
Obwohl politische Meinungen und religiöse Überzeugungen von Menschen durch die EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) besonders geschützt seien, wurden genau diese Datenkategorien für die Werbekampagne verwendet, betont noyb. Neben der Beschwerde beim Europäischen Datenschutzbeauftragten (EDSB) prüft die Nichtregierungsorganisation derzeit auch, ob eine Beschwerde gegen X wegen der Ermöglichung der illegalen Nutzung sensibler Daten für politisches Micro-Targeting eingereicht werden solle.
Felix Mikolasch, Datenschutzanwalt bei noyb, sagt: „Die EU-Kommission hat keine Rechtsgrundlage für die Verarbeitung sensibler Daten für gezielte Werbung auf X. Niemand steht über dem Gesetz und die EU-Kommission ist keine Ausnahme.“
Nachspiel im EU-Parlament
Die Mikrotargeting-Kampagne hat auch ein Nachspiel im EU-Parlament. Dort wurde die EU-Innenkommissarin in den Innenausschuss geladen und zu ihren Lobbyverwicklungen und der Kampagne befragt. Alle Fragen der Abgeordneten zu der umstrittenen Mikrotargeting-Kampagne wehrte Johansson allerdings mit der Bemerkung ab, dass sie mit den Details dieser Kampagne nicht vertraut und gleichzeitig in die Durchführung der Kampagne nicht involviert gewesen sei. In der Sitzung des Ausschusses sagte sie, dass die Kampagne nun Teil einer internen Untersuchung der Kommission sei. Dabei soll etwa geprüft werden, ob die Regeln des Digitale-Dienste-Gesetzes (DSA) eingehalten wurden.
Unterdessen hat sich auch schon der Europäische Datenschutzbeauftragte in die Sache eingeschaltet und eine Voruntersuchung eingeleitet. Im Rahmen dieses Verfahrens hat sich der Datenschutzbeauftragte an die Europäische Kommission gewandt und dort um Informationen im Zusammenhang mit der Werbekampagne gebeten. Auch der EU-Innenausschuss (LIBE) interessiert sich für diese: Er hat nach Informationen von netzpolitik.org jüngst beim europäischen Datenschutzbeauftragten Einsicht in die Dokumente angefragt.
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