Eigentlich muss der Gesetzgeber bis zum Jahresende neue Regelungen für die Geheimdienste hinbekommen. Aber in der heutigen Anhörung von Experten im Bundestag wurde deutlich: Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurden bislang nicht ausreichend beachtet. Die Gesetzentwürfe seien zudem schwer verständlich, es mangele an Normenklarheit.
Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022, in dem mehrere Vorschriften des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt worden waren, sowie einem Beschluss des Höchstgerichts vom 28. September 2022 steht eine Reform bei den Geheimdiensten zwingend an. Die bisher im Verfassungsschutzgesetz geregelten Befugnisse, die den Inlandsgeheimdienst dazu berechtigen, Daten zu übermitteln, die er mit seinen geheimdienstlichen Mitteln erhoben hat, sind seither verfassungswidrig.
Der grüne Parlamentarier und Innenpolitiker Konstantin von Notz brachte es heute gegen Ende einer zweistündigen Bundestagsanhörung von Sachverständigen zu Gesetzesentwürfen im Geheimdienstrecht auf die Formel: „Sie geben uns viel mit auf den Weg“. Denn mit Ausnahme der Geheimdienstler selbst waren sich die Herren Experten weitgehend einig: Es mangele den Gesetzentwürfen an Normenklarheit, die Neuregelungen zu Datenübermittlungen sei nicht verfassungskonform, das Trennungsgebot zu wenig bedacht. Auch die Kontrolle der Geheimdienste sei nicht adäquat.
Über zwei konkrete Gesetzentwürfe verhandelte der Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestags. Neu darin sind vor allem die Regelungen zur Übermittlung geheimdienstlich erhobener personenbezogener Daten, die an die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen sind. Dabei geht es beispielsweise um Daten, die an Waffenbehörden oder andere Verwaltungsbehörden weitergegeben werden, oder auch um den Datenaustausch zwischen Geheimdiensten. Selbst eine Datenübermittlung an Private ist dem Wortlaut nach nun vorgesehen und stieß auf einhellige Kritik.
Es ging konkret um das vom Bundeskanzleramt federführend entworfene neue BND-Gesetz (BNDG-E) und den Entwurf zum Verfassungsschutzgesetz (BVerf-SchG-E), für den das Bundesinnenministerium verantwortlich zeichnet. Letzterer Entwurf ist der erste Teil einer größeren Reform des Geheimdienstrechts. Neun Sachverständige hatten nach einem kurzen Eingangsstatement den Abgeordneten Rede und Antwort gestanden und teilweise vorab schriftliche Stellungnahmen abgegeben.
„Nicht verfassungskonform“
Am deutlichsten machte der Jurist und Universitätsprofessor Mark Zöller seine Kritik: Der Entwurf zum BND-Gesetz aus dem Kanzleramt sei zwar „insgesamt besser gelungen“ als der Entwurf zum Verfassungsschutzrecht aus dem Bundesinnenministerium, aber auch er sei „in entscheidenden Passagen nicht verfassungskonform“. Für beide Gesetze gingen „die Regelungen insgesamt zu weit“, wenn man sie an den gesetzten Standards des Bundesverfassungsgerichts messe. Es handele sich um eine klare Ausweitung der Befugnisse zur Datenübermittlung, nicht um eine Einschränkung.
Auch der Sachverständige Ralf Poscher, ebenfalls Jurist und Universitätsprofessor, machte deutlich, dass „offensichtlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten“ wurden. Er verwies darauf, dass sich darin alle Sachverständigen einig seien. Die Schwellen für die Weitergabe würden abgesenkt statt verschärft. Die Sachverständigen sahen vor allem die vom BVerfG festgeschriebene Übermittlungshürde der „konkretisierten Gefahr“ nicht ausreichend umgesetzt.
Der Jurist Matthias Friehe von der European Business School nannte die vorliegenden Reformvorschläge nur eine „notdürftige Reparatur“. Einige Stellen würden aufgrund des höchstrichterlichen Urteils nun korrigiert, andere Baustellen vom Gesetzgeber aber „nicht angegangen“.
Gefragt danach, welche Leerstellen er in den Gesetzentwürfen sehe, verweist Friehe darauf, dass eine unabhängige Vorabkontrolle beispielsweise noch nicht umgesetzt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 26. April 2022 mehrere Regelungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes als verfassungswidrig erkannt und wegen der Intensität der Grundrechtseingriffe solche unabhängige Vorabkontrollen an mehreren Stellen gefordert. In dem aktuellen Entwurf sucht man sie aber vergeblich.
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber mahnte „zwingend gebotene“ Änderungen an und sah einen „dringenden Überarbeitungsbedarf, um eine datenschutzkonforme Grundlage“ zu bekommen. Er attestierte den Entwürfen, sie seien „nicht hinreichend verständlich und konsistent“. Dadurch sei die Rechtssicherheit gefährdet. Bei den Löschpflichten und den Aufbewahrungsfristen müsse der Gesetzgeber ebenfalls nachbessern.
Diesen „umfangreichen Nachbesserungsbedarf“ hatte Kelber auch in einer schriftlichen Stellungnahme (pdf) erläutert. Beide Gesetzentwürfe würden „in ihrem Aufbau und ihrer Systematik grundlegend auseinanderlaufen“.
Explizit kritisierte Kelber auch die „extrem kurze Beteiligungsfrist“. Er schaute dabei mahnend in die Runde der anwesenden Parlamentarier. Es wirkte allerdings nicht so, als hätte der wichtigste Datenschützer der Republik viel Hoffnung auf Besserung.
Ausweitung der Befugnisse
Christian Mihr freute sich als Vertreter von Reporter ohne Grenzen zwar grundsätzlich über Nachbesserungen, betonte aber, dass sich einmal mehr der Eindruck aufdränge, es ginge um eine „bloße Ausweitung der Befugnisse“ der Geheimdienste. Es fänden sich nur „wenig eingrenzende Formulierungen“. Die Entwürfe stünden auch im Widerspruch zum Trennungsgebot, das der zunehmenden Verwischung der Grenzen zwischen Geheimdiensten und Polizeien entgegenwirken soll.
Er verwies zudem darauf, dass die versprochene Überwachungsgesamtrechnung noch immer ausstehe. Diese Überwachungsgesamtrechnung geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem 2010 zurück. Sie soll die Gesamtwirkung aller einzelnen Überwachungsmaßnahmen auf die Grundrechte bewerten. Ein Moratorium zum Überwachungsausbau vor dem Erstellen einer Überwachungsgesamtrechnung ist aber nicht vorgesehen.
Insgesamt seien die Gesetzesentwürfe nicht nur schwer verständlich, sie wichen auch erheblich voneinander ab. Dafür werde aber keine Begründung gegeben. Mihr forderte für Reporter ohne Grenzen: Bei der Arbeit von Journalisten müsse Vertraulichkeit umfassend geschützt werden. Vor allem beim BND-Gesetzentwurf fänden sich stattdessen besonders bei den Verkehrsdaten kaum Schranken. Der BND hört internationale Telekommunikationsverkehre jeweils unter Einsatz von tausenden Selektoren ab und wertet Metadaten aus. Mihr hätte sich zudem gewünscht, dass die Nutzung von Staatstrojanern „klar untersagt“ würde. Das fehle im Gesetzentwurf. Auch stehe beim BND einem „Aufwuchs der Mittel“ kein „Aufwuchs bei der Kontrolle“ gegenüber.
Zöller verwies auch auf ein praktisches Problem: Geheimdienste können Daten quasi anbieten und rausgeben, aber der Gesetzgeber hätte keine Gesetzgebungskompetenz dafür, was mit den Daten dann geschehe. Das widerspreche der Idee der „Doppeltür“. Diese „Doppeltür“ geht auf eine Denkfigur zurück, die als „Doppeltürmodell“ vom Bundesverfassungsgericht schon in einer Entscheidung vom 24. Januar 2012 geprägt wurde. Demnach muss der Gesetzgeber „nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern auch die Tür zu deren Abfrage“. Denn auch derjenige, der Daten bekommt, braucht für den Umgang damit Regeln. Erst „beide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die wie eine Doppeltür zusammenwirken müssen“, seien Voraussetzung für die Übermittlung von personenbezogenen Daten zwischen einer auskunftserteilenden Stelle und dem Datenabruf einer auskunftsuchenden Stelle.
Das gelte auch bei Übermittlung an ausländische Behörden, so Zöller. Eigentlich müsse man das „komplett streichen“, denn man könne das nicht kontrollieren. Wenn die Entwürfe so Gesetz würden, sei ein neue Niederlage in Karlsruhe absehbar, warnte der Jurist.
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