Die 39. Kalenderwoche geht zu Ende. Wir haben 21 neue Texte mit insgesamt 131.088 Zeichen veröffentlicht. Willkommen zum netzpolitischen Wochenrückblick.
Liebe Leser:innen,
geht es Euch auch so, dass Ihr Euch manchmal hilflos und ohnmächtig fühlt, wenn Ihr seht, auf welchen Pfad unsere Demokratie gerade gerät? Und nein, es soll heute nicht um die Chatkontrolle gehen, wo gerade nach den Enthüllungen über Lobby-Verflechtungen viel in Bewegung ist.
Es geht darum, wie Menschenrechte und die Demokratie als Ganzes immer weiter zur Disposition stehen. Es geht darum, wie autoritäre, rechtsradikale Diskurse einsickern, wie konservative Akteure das Sagbare nach rechts verschieben, wie sie die Faschisten der AfD aktiv salonfähig machen – und wie demokratische Regierungsparteien in Furcht vor einem Machtverlust vorauseilend selbst die rechte Migrationspolitik der Orbáns und Melonis mitmachen.
Wer einigermaßen vernunftbegabt ist, dürfte fassungslos sein, dass wir in einem Land, das Zuwanderung dringend braucht, schon wieder eine unselige Migrationsdebatte aufmachen. Eine Debatte, in der Medien wie der Spiegel auf seiner Titelseite ohne Rücksicht auf Verluste rassistische Ängste schüren und CDU-Politiker wie Friedrich Merz mit seiner Zahnarzt-Lüge rechtsradikale Desinformation betreiben. Sie spielen das Spiel der AfD. Sie machen diese Partei stark. Sie handeln unverantwortlich wider die Demokratie.
Und nebenbei erleben wir, wie die CDU schleichend, aber sehr deutlich sichtbar, immer weiter mit der rechtsradikalen AfD paktiert. Dabei ist eigentlich sonnenklar: Gegen Faschisten sind auch die Konservativen gefragt. Sie müssten ein Bollwerk sein, sie haben eine wichtige Aufgabe in der bunten demokratischen Abwehrkette, die hier so gerne Brandmauer genannt wird. Konservative haben vor 90 Jahren schon einmal versagt bei dieser Aufgabe – und es sieht verdammt nochmal so aus, dass sie es dieses Mal wieder tun.
Mit Grundrechten nicht vereinbar
Klar ist: Grund- und Freiheitsrechte sind nicht mit Rechtsradikalismus vereinbar. Wer diese Türe aufstößt, der wird einen galoppierenden Abbau von Menschenrechten erleben. Der wird einen Abbau von Demokratie erleben, einen Abbau von Gewaltenteilung, einen Abbau von Vielfalt, die Entmachtung der Zivilgesellschaft und den Verfall von Werten. Alle Erfahrungen in anderen Ländern zeigen das, mal von unserer eigenen Geschichte ganz zu schweigen. Es gibt keinen menschenrechtszugewandten Faschismus, egal wie Cadenabbia-Blau neubraun die Farbschattierung ist und wie schön sich die Rechtsradikalen dieses Mal nennen und tarnen.
Als netzpolitik.org berichten wir immer wieder über Themen, die mindestens am Rande mit dieser Entwicklung zu tun haben. Zum Beispiel diese Woche, wenn CSU und FDP Chipkarten für Geflüchtete fordern, damit Menschen die Möglichkeit genommen wird, selbstbestimmt mit Geld umzugehen. Wir berichten immer wieder darüber, wie Migrant:innen in Deutschland überwacht und wie die europäischen Außengrenzen und Lager aufgerüstet werden. Wir haben die Desinformation und die Netzwerke der Rechten in sozialen Medien angeschaut. Wir tun also, was wir im Rahmen von netzpolitischen Themen tun können. Und wir fragen die AfD bei diesen Themen und bei allen anderen Themen nicht um ihre Meinung, weil wir ihnen bewusst keine Plattform bieten wollen.
Aber ist das genug? Wir fragen uns gerade, ob es mehr braucht, damit wir in dieser gefährlichen Phase Menschenrechte und Demokratie noch besser schützen können – und welchen Beitrag wir als Redaktion dazu leisten können und müssen.
Euch allen ein frühherbstlich-buntes und hoffnungsvolles Wochenende
Markus Reuter
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Eine neue Generation von Influencer:innen mischt weltweit die Szene auf. Die Sache ist nur: Es gibt sie nicht wirklich. Sie entstehen am Computer, haben zigtausende Follower und verwischen die Grenze zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Von Markus Reuter –
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Mehrere Parteien und Kommunen planen Chipkarten für Asylsuchende. Mit den Bezahlsystemen können Aufenthaltsbeschränkungen durchgesetzt und Einkäufe eingeschränkt werden. Flüchtlingsorganisationen kritisieren die massiven Einschnitte in die Selbstbestimmung. Von Leonhard Pitz –
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Metall auf Metall: Träumen 90er-Jahre-Rapper vom elektrischen Pastiche?
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„Kinderpornografische Inhalte“: Lauter tatverdächtige Minderjährige
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Das Bundeskriminalamt verweigert Auskunft über seinen Kaufvertrag zum Staatstrojaner NSO Pegasus. Obwohl der Kauf des berüchtigten Trojaners allgemein bekannt ist, will die Polizei geheimhalten, ob es überhaupt einen Vertrag gibt. Das nehmen wir nicht hin und verklagen das BKA. Von Andre Meister –
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Um Erfolgsquoten des Konzerns zu erreichen, führen o2-Shops ihre Kund:innen offenbar regelmäßig hinters Licht. Das berichtet ein anonymer Insider in einem Branchen-Medium. o2 weist die Verantwortung von sich. Allerdings zeigt sich hier ein Muster, das wir bereits vor zwei Jahren aufgedeckt haben. Von Ingo Dachwitz –
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Deutschland soll beim Hinweisgeberschutzgesetz die EU-Vorgaben nicht ausreichend umgesetzt haben, moniert das Whistleblower-Netzwerk. Deswegen reicht die Nichtregierungsorganisation nun Beschwerde bei der EU-Kommission ein. Von Tomas Rudl –
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Digitale-Dienste-Gesetz: XVideos wird erste Pornoplattform in der Liga der Riesen
Die meistbesuchte Pornoseite der Welt behauptet, mehr als 160 Millionen Nutzer:innen in der EU zu haben – jeden Monat. Damit müsste XVideos bald die striktesten Auflagen der EU einhalten, wie sie sonst nur für „Very Large Online Plattforms“ wie Google oder Amazon gelten. XVideos bereitet sich schon mal auf die „Herausforderung“ vor. Von Chris Köver –
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Der Druck auf Ylva Johansson wächst. Nach den Recherchen mehrerer europäischer Zeitungen zu Lobby-Verflechtungen bei der Chatkontrolle fordert der Innenausschuss des Europäischen Parlaments jetzt Aufklärung. Von Markus Reuter, Andre Meister –
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Nutzer:innen von Zyklus-Apps sollen auf einfachem Weg erfahren, wie ihre Daten verarbeitet werden. So fordert es die Datenschutzgrundverordnung. Ein Test der Stiftung Warentest und des Verbraucherzentrale Bundesverbands zeigen, dass das Gegenteil der Fall ist. Von Hasset Tefera-Alemu –
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Bis zum Ende des Jahrzehnts soll es überall in der EU moderne Netze geben. In ihrem ersten Zwischenbericht zur „Digitalen Dekade“ mahnt die EU-Kommission Deutschland zu einem höheren Tempo. Dabei helfen könnte die „Gigabit-Richtlinie 2.0“, zu der nun erste Zahlen vorliegen. Von Tomas Rudl –
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Moderne Technik und Sensorik in privater Hand kann zu einem weiteren Anstieg der Überwachung führen. Jüngstes Beispiel sind Lieferroboter in den USA, deren Videomaterial bei der Polizei landen kann. Von Markus Reuter –
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Interne Dokumente: Europol will Chatkontrolle-Daten unbegrenzt sammeln
Europol wünscht sich ungefilterten Zugang zu Daten der Chatkontrolle, um KI-Algorithmen zu trainieren. Das geht aus internen Dokumenten hervor, die wir veröffentlichen. Zwei ehemalige Beamte der EU-Polizei wechselten zur US-Organisation Thorn, die massiv für das geplante Gesetz lobbyiert. Von Andre Meister, Ludek Stavinoha, Giacomo Zandonini, Apostolis Fotiadis –
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