Bis die Justiz- und Innenminister der EU ihre Position zur Chatkontrolle beschließen, ist nur noch wenig Zeit. Deutschland hat in anderthalb Jahren seine eigene Position nicht endgültig geklärt, muss aber in zwei Wochen abstimmen. Daraus folgt nur eine logische Konsequenz.
In zwei Wochen treffen sich die Justiz- und Innenminister der EU. Sie wollen ihre finale Position zum Gesetzentwurf der Kommission zur „Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern“ beschließen, besser bekannt als Chatkontrolle. Auch deutsche Minister sitzen dann mit am Tisch.
Doch wie wird sich Deutschland am 28. September verhalten? Klar ist: Zustimmen kann Deutschland dem derzeitigen Verhandlungsstand nicht. „Aus Sicht der Bundesregierung muss der Verordnungsentwurf an einigen Stellen deutlich nachgeschärft werden, damit er für die Bundesregierung zustimmungsfähig wird“, schreibt uns ein Sprecher des federführenden Bundesinnenministeriums (BMI).
Aktuell sieht der Verordnungsentwurf vor, dass Anbieter von Internetdiensten auf Anordnung die Inhalte ihrer Nutzer:innen durchsuchen und strafbare Kinderpornografie sowie Grooming an ein EU-Zentrum weiterleiten sollen – egal ob sie verschlüsselt kommunizieren oder nicht.
Entwurf nicht zustimmungsfähig
Die Bundesregierung fordert, den „Einsatz von Maßnahmen, die zu einem Bruch, einer Schwächung, Modifikation oder einer Umgehung von Ende-zu-Ende-Verschlüsselung führen, durch konkretere technische Anforderungen im Verordnungsentwurf auszuschließen“. Das schreibt die Bundesregierung in ihrem Positionspapier von Februar. Und das schreibt uns der Sprecher jetzt erneut. „Daraus folgt auch, dass Maßnahmen, die auf den Endgeräten erfolgen, ausgeschlossen werden sollen.“
Aber was bedeutet das? Die Zeit für weitere Verhandlungen ist knapp. Die entsprechende Ratsarbeitsgruppe trifft sich heute planmäßig zum letzten Mal, bevor die Ständigen Vertreter der EU-Staaten das Gesetz besprechen und die Justiz- und Innenminister ihre finale Position beschließen wollen.
Wir haben das BMI gefragt, wie es mit diesem Problem umgeht. „Die Bundesregierung wird sich auch weiterhin aktiv in die Verhandlungen auf EU-Ebene einbringen“, lautete die Antwort. Mehr sagte der Sprecher nicht. Hinter den Kulissen aber versuchte die Bundesregierung, die Abstimmung am 28. September zu verschieben und bekam dafür Unterstützung aus Polen, den Niederlanden und Österreich. Doch das reichte nicht, der Punkt bleibt vorerst auf der Tagesordnung.
Ob Deutschland sich dann enthält oder gegen das Gesetz stimmen wird, wenn sich an den wesentlichen Punkten nichts mehr ändert? Auch hier: keine Antwort aus dem Ministerium von Nancy Faeser (SPD).
Anderthalb Jahre Streit
Doch nicht nur im Rat hat Deutschland ein Zeitproblem, auch innerhalb der eigenen Regierung. „Die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung zum Verordnungsentwurf der EU-Kommission dauern noch an“, schrieb uns eine Sprecherin des Bundesjustizministeriums (BMJ) auf Anfrage. Zu Einzelheiten könne sie daher jedoch keine Angaben machen. Das derzeitige Positionspapier der Bundesregierung stehe jedoch im Einklang mit der Auffassung des BMJ. Auch das BMI verweist bei Nachfragen nach konkreten Diskussionspunkten auf den „noch laufenden Abstimmungsvorgang“.
Dieser Abstimmungsvorgang läuft, seit die EU-Kommission ihren Vorschlag vorgestellt hat. Das ist anderthalb Jahre her. Seitdem gab es viele Monate Streit, vor allem zwischen dem SPD-geführten Innenministerium und dem Justizministerium von Marco Buschmann (FDP).
Die FPD-Ministerien formulierten rote Linien, die sie im August 2022 an das Innenministerium schickten. Ein Entwurf für ein Positionspapier aus dem Innenministerium vom Dezember 2022 war damit in weiten Teilen nicht vereinbar. Schließlich gab es im Februar ein gemeinsames Positionspapier, bei dem sich das Innenministerium in vielen Punkten durchsetzte. Einigung gab es dann zumindest zu verschlüsselten Inhalten, die von der Chatkontrolle ausgenommen werden sollen.
Neun rote Linien
Streitpunkte blieben weiterhin allgemeine Überwachungspflichten, auch bei unverschlüsselter Kommunikation und die Suche nach „bislang unbekannten Missbrauchsdarstellungen und Grooming“. Im gemeinsamen Positionspapier heißt es dazu: „Innerhalb der Bundesregierung dauert die kritische Prüfung hinsichtlich folgender Punkte an“. Einige der von den FDP-Ministerien formulierten „roten Linien“ werden so überschritten.
Der Koalitionsvertrag ist klar, er schließt „allgemeine Überwachungspflichten“ und „Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation“ aus. Egal, ob sie verschlüsselt ist oder nicht. Trotzdem scheitern die Ministerien seit Monaten daran, sich darauf zu einigen. Nun steht in zwei Wochen die Abstimmung an.
Die Bundesregierung hat also zwei Probleme: Sie hat keine gemeinsame Linie zu kritischen Punkten des Gesetzentwurfs. Wo sie eine gemeinsame Linie hat, widerspricht sie dem aktuellen Stand deutlich. Zustimmen kann sie also nicht. Eine Ablehnung wäre die einzig konsequente Wahl.
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