Es ist schon eine verrückte Zeit: Ausgerechnet Mark Zuckerbergs Projekt „Threads“ gilt vielen nun als taugliche Alternative, um der Twitter-Abhängigkeit und Elon Musk zu entkommen. Das aber ist eine Fehlannahme.
Der Wechselwille unter Twitter-Nutzer:innen wächst spürbar. Am vergangenen Wochenende führte die Plattform eine „temporäre“ Lesebeschränkung ein. Und seit Sonntag ist das von vielen geschätzte Tweetdeck als alternative Timeline-Ansicht unbrauchbar, das auch mich durch das zurückliegende Jahrzehnt begleitet hat. Die Gelegenheit für Alternativen ist so günstig wie noch nie zuvor.
Große Hoffnung auf eine Alternative
Teile der Twitter-Nutzer:innen sind bereits vor einem Jahr ins Fediverse geflüchtet. Sie bevölkern jetzt – mal mehr, mal weniger motiviert und erfreut – verschiedene Mastodon-Instanzen. Bei mir trifft das auf rund ein Viertel meiner Twitter-Timeline zu. Aber das sind leider bisher vor allem Subkulturen. Und nicht nur bei Breaking-News-Situationen zeigt sich, dass das Fediverse noch keine ausreichende Alternative zu Twitter darstellt.
Das ist von vielen auch nicht gewollt. Ich bin als Journalist wohl ein Sonderfall und nutze öffentliche Plattformen vor allem zur Recherche, Information und als Knotenpunkt – jedoch kaum zur interpersonellen Kommunikation. Das mache ich wiederum nur auf privaten Plattformen und nicht in der Öffentlichkeit.
Andere hoffen auf Alternativen wie etwa das von Twitter-Mitgründer Jack Dorsey finanzierte Bluesky. Dort hängt, aufgrund der aktuellen Invite-Only-Begrenzung, derzeit jedoch vor allem eine San-Francisco-Tech-Crowd ab. Eine kritische Masse bilden die bislang noch nicht.
Auch deshalb konnte Bluesky noch nicht unter Beweis stellen, dass es bei größerer Nutzer:innenzahl auch Community-Management verantwortlich übernehmen kann. Gerade daran sind früher aber schon Facebook und Twitter mitunter grandios gescheitert.
Bald kommt Threads – vielleicht
Eine weitere Alternative steht aktuell in den Startlöchern: Seit Monaten kündigt sich ein Twitter-Klon aus dem Hause Meta an. „Threads“ erinnert namentlich an zurückliegende erfolglose Experimente, soll nun aber auf Instagram aufsetzen, Screenshots zufolge dabei allerdings Texte statt Fotos bieten. Meta nutzt wahrscheinlich Instagram, weil die Marke immer noch frischer wirkt als Facebook und vor allem nicht so toxisch ist.
Bei früheren Skandalen von Facebook, und davon hat es sehr viele gegeben, sind viele Nutzer:innen immer zu Instagram umgezogen. Einem Teil von ihnen war dabei vielleicht nicht einmal bewusst, dass beide Netzwerke zu ein und demselben Unternehmen gehören – das wiederum von nur einer einzigen Person kontrolliert wird: Mark Zuckerberg.
Threads soll am morgigen Donnerstag erscheinen, aber erst mal nur in den USA. Das ist ein gängiger Weg der Produkteinführung. Schon andere Produkte wurden zunächst auf dem US-Markt getestet, bevor sie, wenn überhaupt, weltweit ausgerollt wurden. Und erst gestern hat Meta vor dem Europäischen Gerichtshof eine juristische Niederlage einstecken müssen. Der Konzern muss sich nun damit auseinandersetzen, dass man in der Europäischen Union Daten nicht einfach so über verschiedene Plattformen hinweg zum Zwecke der Profilbildung und der personalisierten Werbung zusammenführen und dabei die Kund:innen über den Tisch ziehen darf.
Eine gute und wichtige Entscheidung: Ob und wann Threads bei uns verfügbar ist, wird sich daher noch zeigen. Bei einer erfolgreichen Markteinführung würde Meta mit Facebook, Instagram, WhatsApp und Threads den globalen Markt sozialer Plattformen noch stärker dominieren als bisher.
Marktvorteil für Meta
Meta verfügt hier zudem über einen großen Marktvorteil. Denn indem Threads auf Instagram aufsetzt, verfügen viele Nutzer:innen bereits über einen sozialen Graphen. Sie können ihre bestehenden Instagram-Kontakte also gleich in ihr Threads-Profil übernehmen und müssen ihr soziales Netzwerk nicht erst mühsam neu aufbauen.
Aus dem gleichen Grund werden gleich zum Marktstart auch zahlreiche Prominente dabei sein, die mit zumeist großer Followerschaft ebenfalls auf Twitter aktiv gewesen sind und dann frustriert von Elon Musks Entscheidungen die Seiten wechseln.
Threads soll obendrein Schnittstellen ins Fediverse bieten. Wie das in der Praxis aussieht, und ob ehrenamtliche Adminstrator:innen von Mastodon-Instanzen diese Schnittstellen nutzen wollen, bleibt abzuwarten. Allerdings ist es ein geschickter Schachzug von Meta, wenn es sich dem Fediverse gegenüber offen zeigt, derweil sich Twitter immer weiter abschottet.
Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Aus Datenschutzsicht kommt die Wahl zwischen Threads und Twitter dessen ungeachtet einer zwischen Pest und Cholera gleich. Alle großen Plattformen arbeiten nach den Prinzipien des Überwachungskapitalismus und horten so viele Daten wie sie nur können – um unser aller Aufmerksamkeit zu binden, um detaillierte Profile zu bilden und um uns personalisierte Werbung anzudrehen.
Threads wird an dem Geschäftsmodell rein gar nichts ändern. Allerdings hat das viele bislang schon nicht daran gehindert, Twitter zu nutzen – mich eingeschlossen. Ebenso nutze ich Instagram, wenn auch nur selten. Die Plattformen bieten uns ja auch etwas.
Eine bessere digitale Welt ist immer noch möglich
Meine größte Hoffnung ruht noch immer auf dem dezentralen Fediverse. Ob dieses nun weiter anwächst, muss sich erst noch zeigen. Dort gibt es verschiedene Lager: Die einen wollen eine möglichst inklusive und gemeinwohlorientierte Infrastrukutur für eine globale Öffentlichkeit schaffen. Andere wollen hingegen nur ihren eigenen kleinen Garten hegen und pflegen.
Ein solcher Anspruch ist vollkommen in Ordnung, gerade wenn die Moderationsarbeit im Fediverse ehrenamtlich erfolgt. Aber leider steht diese Haltung auch dem Ziel entgegen, eine globale Öffentlichkeit zu schaffen, wie sie Twitter einst bot. Und eine solche große Öffentlichkeit wünsche ich mir zumindest weiterhin – und diese sollte gemeinwohlorientiert und datenschutzfreundlicher sein als eine Öffentlichkeit, die Mark Zuckerberg betreibt und kontrolliert.
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