Eine Mehrheit von EU-Ländern steht einem Medienbericht zufolge einer möglichen EU-Datenmaut ablehnend gegenüber. Gegenwind für die Idee kommt auch von Regulierungsbehörden, Internetexpert:innen und der Zivilgesellschaft.
Die Idee, große Internetunternehmen wie Google und Facebook für die Nutzung europäischer Leitungen extra zur Kasse zu bitten, stößt bei einer breiten Mehrheit von EU-Ländern offenbar auf wenig Gegenliebe. Bei einem Treffen mit EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton vergangene Woche sollen sich 18 Länder entweder klar gegen den Ansatz ausgesprochen oder nach mehr Untersuchungen über potentielle Auswirkungen verlangt haben. Das berichtet die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf anonyme Quellen.
Manche der Länder machen aus ihrer Skepsis kein Geheimnis, darunter Deutschland. So kann das Digitalministerium kein Marktversagen erkennen und sieht entsprechend wenig Handlungsbedarf für einen derart tiefen Eingriff in den europäischen Infrastrukturmarkt. In einer Stellungnahme zu einer kürzlich zu Ende gegangenen EU-Konsultation, die ein mögliches Gesetz vorbereiten soll, warnt das Digitalministerium zudem vor der Gefahr für die Netzneutralität und einer doppelten Belastung für Nutzer:innen. Zuvor hatten sich sowohl Digitalminister Volker Wissing als auch sein Staatssekretär Stefan Schnorr gegen eine solche „Zwangsabgabe“ gestellt.
Ins Spiel gebracht hatten das Modell große Ex-Monopolisten wie die Telekom Deutschland, die französische Orange oder die spanische Telefónica vor rund einem Jahr. Sie beklagen die hohen Ausbaukosten für die europäischen Breitband- und Mobilfunknetze, während sie auf die oft saftigen Jahresgewinne mancher Internetunternehmen schielen. Von diesem Kuchen möchten sie ein Stück abhaben. Einen Fürsprecher für ihre Idee fanden sie in Thierry Breton, seines Zeichens ehemaliger Chef der nun Orange heißenden France Télécom.
Bericht Ende Juni erwartet
Reuters zufolge stehen lediglich zehn EU-Länder hinter dem Ansatz, darunter Frankreich, Italien, Spanien, Ungarn und Griechenland. Vorerst neutral oder ohne endgültige Position sollen derzeit Polen, Portugal und Rumänien dastehen. Offen gegen eine derartige Zugangsgebühr positionieren sich neben Deutschland auch Österreich oder die Niederlande, laut Reuters gesellen sich unter anderem Belgien, Tschechien, Dänemark und Finnland dazu. Der Agentur nach wird Breton Ende Juni einen Bericht vorstellen, der die Konsultation zusammenfassen soll. Ob danach ein konkreter Gesetzesvorschlag folgt, bleibt vorerst offen.
In ihrer Konsultation fragte die EU-Kommission nicht nur eine mögliche Kostenbeteiligung großer IT-Konzerne an den Ausbaukosten, sondern auch generell die Weiterentwicklung des europäischen Telekommunikationssektors ab. Schon im Vorfeld war kritisiert worden, dass die Fragen tendenziös formuliert waren und das Ergebnis quasi vorweggenommen hatten. Dennoch gab es eine rege Beteiligung, mitgemacht haben unter anderem Telekommunikationsunternehmen, Internetfirmen wie Google und Meta, Regulierungsbehörden und zivilgesellschaftliche Gruppen. Nicht alle der Stellungnahmen sind öffentlich verfügbar, doch es lässt sich ablesen, dass der EU-Kommission ein eisiger Wind ins Gesicht bläst.
Regulierer sehen kein Finanzierungsproblem
So macht etwa das Gremium Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation (GEREK) in seiner Stellungnahme darauf aufmerksam, dass die europäischen Telekommunikationsmärkte im Großen und Ganzen profitabel seien. Der weitere Ausbau von Infrastruktur könne wie bisher über Anschlussgebühren finanziert werden, im Falle unwirtschaftlicher Gebiete käme punktuelle staatliche Unterstützung in Frage. Zugangsgebühren würden hingegen die Gefahr bergen, Innovation zu hemmen, das Internet-Ökosystem zu beschädigen und negative Folgen für Verbraucher:innen zu haben.
Ebenso klar gegen den Ansatz haben sich zudem dutzende Nichtregierungsorganisationen, Verbraucherschutzverbände und kleinere Netzanbieter positioniert. Kritik kommt auch von Expert:innen wie der Internet Society, dem Standardisierungsgremium Internet Architecture Board oder der Netzneutralitätsexpertin Barbara van Schewick.
Uneingeschränkte Zustimmung kommt hingegen von den Branchenverbänden GSMA und ETNO. Neben einer Marktkonsolidierung und einem weiter ausgebauten EU-Binnenmarkt für Telekommunikationsdienstleistungen wünschen sie sich eine Verhandlungslösung für den Zugang in ihre Netze. Dabei zielen sie vor allem auf „Verursacher großer Datenmengen, die am meisten von Investitionen im Telekommunikationsbereich profitieren, während sie mit ihrem Datenaufkommen eine hohe Kostenlast erzeugen“.
Die Arbeit von netzpolitik.org finanziert sich zu fast 100% aus den Spenden unserer Leser:innen.
Werde Teil dieser einzigartigen Community und unterstütze auch Du unseren gemeinwohlorientierten, werbe- und trackingfreien Journalismus jetzt mit einer Spende.
0 Commentaires