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Kein Porno ohne Ausweis: Der Medienaufsicht ist Datenschutz „wumpe“

Alle Erwachsenen sollen vor dem Besuch einer Pornoseite ihren Ausweis zücken, das will die deutsche Medienaufsicht. Auf der re:publica verteidigte Medienwächter Marc Jan Eumann den Kurs seiner Behörde: Ihm sei der Datenschutz von Nutzer*innen egal. Ein Kommentar.

Ein sich küssendes Paar, ein Betreten-verboten-Schild
Schild: Pixabay / hpgruesen; Motiv: Stable Diffusion / Montage: netzpolitik.org

Die deutsche Medienaufsicht möchte das Internet auf den Kopf stellen. Pornoseiten, die meistbesuchten Websites der Welt, sollen künftig das Alter ihrer Besucher*innen kontrollieren. Dafür sollen Abermillionen Nutzer*innen gegängelt werden: Vor dem Besuch einer Pornoseite sollen sie etwa ihren Ausweis vorlegen oder ihr Gesicht scannen lassen. Es gäbe zwar deutlich weniger aufdringliche Möglichkeiten, um Jugendliche von Pornoseiten fernzuhalten. Etwa Jugendschutz-Filter, die Eltern auf dem Gerät ihrer Kinder und Jugendlichen installieren. Aber solche Filter sind laut deutschem Recht nicht ausreichend.

Am heutigen Montag hat ein Vertreter der Medienaufsicht auf der Berliner Konferenz re:publica vor Publikum versucht, das Vorgehen seiner Behörde zu rechtfertigen. Marc Jan Eumann ist derzeit Vorsitzender der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), einem gemeinsamen Organ der föderal organisierten Medienanstalten. Außerdem ist Euman Direktor der Medienanstalt Rheinland-Pfalz. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg ist Partner der re:publica. Eumanns Auftritt bei einer Diskussion mit Porno-Aktivistin und -Regisseurin Paulita Pappel gibt Einblicke in die teils haarsträubende Denkweise der Behörde.

Das Problem: Alterskontrollen für Pornoseiten gefährden die anonyme Nutzung des Internets – ein Ideal, das auch die Ampelregierung im Koalitionsvertrag festgehalten hat. Da Pornoseiten zu den meistbesuchten Websites der Welt gehören, würden die Alterskontrollen entsprechend viele Millionen Nutzende in ihren Rechten einschränken.

Die Gefahr solcher Datensammelei machte Pappel mit einem Vergleich anschaulich: Man stelle sich vor, da gebe es einen Anwalt namens Meier aus Rheinland-Pfalz, der in einem konservativen Umfeld lebe. Er schaue sich privat mit seiner Frau BDSM-Pornofilme an, wie Pappel ausführte. Wenn sich nun Herr Meier mit seinem Ausweis verifiziere, könnte seine Identität mit seinen Porno-Sehgewohnheiten und seinen sexuellen Vorlieben verknüpft werden. Im Fall eines Leaks, so Pappel, könnte das sehr negative Konsequenzen für Herrn Meier haben.

Wer Ausweis nicht zeigen will, soll Gesicht scannen lassen

Nicht nur Pappel hat solche Bedenken. Als wir im Dezember 2021 darüber berichteten, sprachen sich etwa die netzpolitischen Sprecher von SPD und Grünen für möglichst datensparsame Alterskontrollen aus. Die netzpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag Anke Domscheit-Berg warnte vor „gigantischen Datenbanken mit personenbezogenen Daten in einem hoch sensiblen Kontext“, was „äußerst gefährlich“ sei.

Medienwächter Eumann zeigte hierzu eine weniger differenzierte Haltung: Das Schutzbedürfnis von Herrn Meier erscheine ihm nicht so groß; er finde den Schutz von Kindern und Jugendlichen wichtiger. Zum Datenschutz von Herrn Meier sagte Eumann: „Das ist mir echt wumpe“. Die Aussage mag verwundern, immerhin sind auch Privatsphäre und Datenschutz Grundrechte. Diskutabel wäre, wie sich diese Grundrechte mit dem Schutzbedürfnis von Kindern und Jugendlichen vereinbaren lassen. Ohne Abwägung lässt sich das nicht als „wumpe“ vom Tisch fegen.

Auf dem Panel zeigte Eumann nicht nur, dass ihm Datenschutz egal ist. Seine Äußerungen legten auch nahe, dass er nicht verstanden hat, was Datenschutz überhaupt bedeutet. Als Alternative zur Ausweiskontrolle lobte Eumann Verfahren zur automatischen Alterserkennung. Seine Behörde stuft sie ausdrücklich als „positiv“ ein. Bei solchen Kontrollsystemen müssen Nutzer*innen ihr Gesicht in die Webcam halten und eine Software berechnet eine Prognose ihres wahrscheinlichen Alters. Wer zu jung aussieht, um einen Porno zu schauen, wird abgewiesen.

Solche Systeme würden „total super laufen“, findet Eumann. Was der Medienwächter dabei unterschlägt: Das eigene Gesicht liefert ähnlich sensible Daten wie der Klarname auf dem Ausweis. Längst demonstrieren biometrische Suchmaschinen wie Clearview AI und PimEyes die Gefahren der massenhaften Erfassung vor Gesichtern. Nutzer*innen müssen sich darauf verlassen, dass die Anbieter solcher Alterskontrollen mit den Daten vorbildlich umgehen und auch nicht gehackt werden. Die Vergangenheit zeigt: Selbst reiche Tech-Riesen wie Facebook haben immer wieder dramatische Datenschutz-Pannen.

Medienwächter vergleicht Pornos mit Alkohol

Eröffnet hat Eumann seinen Auftritt auf der re:publica mit einem Vergleich. Natürlich, so Eumann, würde niemand sein Kind losschicken, um mit dem Ausweis der Mutter beim Supermarkt Alkohol zu kaufen. Auch bekomme das Kind nicht „zur Belohnung“ einen „Schluck aus der Pulle“. Ebenso wenig sollten Jugendliche im Netz Pornos sehen dürfen. Eumann relativierte zwar, dass der Vergleich „hinkt“. Er legte aber nicht offen, inwiefern. Genau das ist aber geboten, denn sonst kann sich ein irreführender Vergleich schnell in Desinformation verwandeln.

Das Problem des Vergleichs: Im Gegensatz zu Alkohol ist Pornografie kein Gift und auch kein Suchtmittel. Selbst wenn Nachrichtenmedien immer wieder von angeblicher „Pornosucht“ berichten: Diese Krankheit existiert so nicht. Laut Weltgesundheitsorganisation kann übermäßiger Pornokonsum allenfalls ein Teil der vielschichtigen „zwanghaften sexuellen Verhaltensstörung“ sein.

Treffender erklärt Porno-Expertin Pappel das Problem: Kinder und Jugendliche müssen lernen, wie sie Pornografie richtig einordnen und ein gesundes Verhältnis dazu entwickeln. Es gehe um Medienkompetenz in Bezug auf Pornografie, kurz: Pornokompetenz. Ähnlich sehen das Medienpädagoginnen, wie wir hier berichtet haben.

Niemand kann Jugendliche vor Pornos schützen

Pappel greift den fragwürdigen Alkohol-Vergleich auf und führt aus: Auch Eltern würden Alkohol zuhause nicht in die Reichweite ihrer Kinder stellen. Entsprechend könnte man auch im Fall von Pornografie Eltern und Hersteller*innen von Geräten in die Verantwortung ziehen, etwa mit Jugendschutz-Filtern.

Solche Filter existieren schon längst, ein Beispiel ist etwa JusProg. Die Filter lassen sich auf dem Gerät von Kindern und Jugendlichen installieren und stoppen automatisch den Zugriff auf eine riesige, aktualisierbare Liste an Pornoseiten. Das einzige, was man von Eltern verlangen müsste, wäre diese Filter einzurichten – und Geräte-Hersteller*innen könnten das einfacher machen.

Netzsperren als Erfolg

Pappel würde sich außerdem wünschen, dass Pornos mit entsprechender Alterskennzeichnung auch bei großen Streaming-Anbietern und öffentlich-rechtlichen Mediatheken verfügbar wären. Als Branchen-Vertreterin möchte sie den Standort Deutschland stärken. Im März war Pappel Regisseurin beim ersten öffentlich-rechtlich produzierten Pornofilm, den das ZDF Magazin Royale veröffentlichte.

Es wäre die Aufgabe des Gesetzgebers, die Gesetze entsprechend zu ändern. Behörden wie die Medienaufsicht sind dafür nicht zuständig, das macht auch Marc Jan Eumann nochmal deutlich. Aber es macht wenig Hoffnung auf Besserung, wenn die Medienaufsicht die Gesetze engstirnig verteidigt. Handfeste Gegenargumente blieb Medienwächter Eumann in der Debatte mit Porno-Expertin Pappel schuldig. Als Reaktion auf Kritik pochte er etwa mehrfach auf das Grundgesetz, das dem Staat eine Schutzpflicht gegenüber Kindern und Jugendlichen zuschreibt – obwohl das Grundgesetz nie infrage gestellt wurde.

Nachfragen aus dem Publikum waren bei der Veranstaltung nicht vorgesehen. Auch der Moderator des Panels hakte an vielen Stellen nicht nach. So blieben viele Behauptungen ohne Widerspruch. Zum Beispiel gab Eumann eine irreführende Erzählung zum Besten, die durchaus als Ablenkungsmanöver gedeutet werden kann. Der Medienwächter lobte seine Behörde für das Vorgehen gegen Pornoseiten, die keine Alterskontrollen einführen. Demnach habe die Medienaufsicht „erfolgreich“ bei Internet-Providern eine Netzsperre gegen eine Pornoseite erwirkt.

Offensichtlich bezog sich Eumann an dieser Stelle auf xHamster, eine der meistbesuchten Pornoseiten Deutschlands. Aber das Wort „erfolgreich“ trifft in diesem Zusammenhang eher weniger zu: Die Netzsperre gegen xHamster im März 2022 hat nicht einmal einen Tag lang gehalten, bis die Seite durch einen simplen, technischen Trick wieder verfügbar war.

Offenlegung: netzpolitik.org-Gründer Markus Beckedahl ist seit 2010 Mitglied des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb).


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