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Linksklick: Taschenlampen im dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte

In den vergangenen Jahren beginnen Spiele, ihr kollektives Stillschweigen über den Nationalsozialismus zu brechen. Das geschieht allerdings nicht ohne Fehltritte.

Ein Mensch strahlt mit einer Taschenlampe in den Nachthimmel
Es bleibt noch vieles auszuleuchten. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Linus Sandvide

Vor ziemlich genau neun Jahren saß ich in einer Redaktionskonferenz, an die ich mich bis heute gut erinnere: „Wolfenstein: New Order“ war gerade erschienen – ein klassischer Shooter, der in einem alternativen Verlauf der Geschichte die Nazis zum Sieger des Weltkriegs krönte und uns als bärbeißigen Widerstandskämpfer gegen das Regime antreten ließ.

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In unserer Redaktionskonferenz sollten nun Artikelthemen gefunden werden, die irgendwie zu diesem Spiel und seiner ungewöhnlichen Prämisse passen. Ein Kollege schlug vor, gemeinsam mit verschiedenen Entwicklerteams zu überlegen, wie ein Spiel aussehen könnte, in dem wir nicht gegen die Nazis kämpfen – sondern einer von ihnen sind, sogar Kriegsverbrechen begehen und diese Schuld dann auch reflektieren.

Der damalige Chefredakteur flog daraufhin fast ohnmächtig vom Stuhl, nicht ohne vorher aber noch diesen Vorschlag verbal in Grund und Boden zu stampfen. Zu gewagt! Zu brisant! Und überhaupt: Wer würde sowas überhaupt spielen wollen?

Spiele im Geschichtsunterricht: Warum eigentlich nicht?

Zehn Jahre später blickt die Spielewelt anders auf den Zweiten Weltkrieg, das Erbe des Nationalsozialismus und das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Insbesondere Museen und der Geschichtsunterricht, die jahrelang digitale Spiele ignoriert haben, entdecken die Chancen des Mediums: Nicht nur, um ihre alten Themen neu aufzubereiten, sondern auch als Magnet für ein jüngeres Publikum, das klassische Ausstellungsräume normalerweise eher meidet.

Diese Museen wenden sich an Entwicklerteams, um gemeinsam mit ihnen Spiele zu entwickeln, die Ausstellungen entweder ergänzen – oder sogar ersetzen können. Die Speerspitze dieser neuen Zusammenarbeit, die noch bis vor einigen Jahren undenkbar erscheint, bildet hierzulande das Berliner Entwicklerteam Playing History, das sich auf Spiele dieser Art spezialisiert hat.

Das Team aus Game Designer*innen, Pädagog*innen und Entwickler*innen hat ein Spiele-Portfolio aufgebaut, das den Chefredakteur vor zehn Jahren direkt ein zweites Mal vom Stuhl fallen ließe: „Spuren auf Papier“ zum Beispiel, ein Game über die Krankenmorde im Nationalsozialismus, das uns die Geschichte einer Patientin erzählt, die an einer manisch-depressiven Erkrankung leidet und in die Zielscheibe der Nazis geraten ist. Oder „Stasi raus, es ist aus!“, ein Kartenspiel, das uns selbst zu Stasi-Agent*innen in der ausgehenden DDR macht. Oder „Chat mit Esther“, eine Gesprächssimulation mit einer KI, die als Esther Zimmermann und ihre Tochter Michelle zum Guide durch Berlins jüdische Geschichte wird.

All diese Spiele greifen Themen auf, die es in den Jahren zuvor nicht spielbar gegeben hat – und sie sind so gestaltet, dass sie nicht nur in Museen, sondern auch im Schulunterricht eingesetzt werden können. Nicht, um das klassische Geschichtsbuch zu ersetzen, sondern um es zu ergänzen.

Ein neues Themenfeld mit neuer Verantwortung

Auch abseits des Spielregals von Playing History gibt es viele weitere Titel, die Licht ins dunkelste Kapitel deutscher Geschichte bringen: „Through the Darkest of Times“ beispielsweise, ein Spiel über den zivilen Widerstand im Nationalsozialismus, oder „Forced Abroad“, das die Geschichte eines Zwangsarbeiters im Dritten Reich erzählt – beides Spiele des Berliner Studios Paintbucket Games. Oder auch „My Child: Lebensborn“, das uns zu Adoptiveltern eines Kindes macht, das zum Jungnazi erzogen werden muss. Die Liste dieser Spiele geht noch lange weiter – und hat neben den Themen einen weiteren, roten Faden: Sie alle stammen von recht kleinen Entwicklerteams, die mit weniger Budget als die große Konkurrenz auskommen, dafür aber auch kleinere finanzielle Risiken tragen müssen.

Aber auch die großen Player der Spielebranche wagen sich an eine Aufarbeitung deutscher Kriegsschuldgeschichte – beziehungsweise haben eingesehen, dass es nicht hilft, einfach wegzusehen. Leider aber genügt dieses neuentdeckte Pflichtbewusstsein nicht immer, um die besonders schweren Themen der Vergangenheit auch angemessen gründlich und konsequent zu bearbeiten.

Das führt zu unsauberen Recherchen, wie der versehentlichen Bennenung eines fiktiven Nazi-Generals nach einem antifaschistischen Widerstandskämpfer aus Deutschland. bis hin zu einem unschönen Balance-Akt, der mal die Geschichtsbücher, mal die Spielerschaft zufriedenstellen will: So lassen Spiele mit historischen Schauplätzen gerne größere, besonders dunkle Kapitel der Geschichte aus, um sich dafür aber mit der Ästhetik der jeweiligen historischen Epoche zu schmücken. Aber dieser Balance-Akt kann sogar noch weiter reichen, wie der Arbeitskreis für Geschichtswissenschaft und digitale Spiele am Beispiel des AAA-Strategiespiels „Company of Heroes 3“ zuletzt herausgestellt hat – ein Echtzeitstrategiespiel im Zweiten Weltkrieg, in dem wir als „die Deutschen“ auch SS-Soldaten und Wehrmachtspanzer in die Schlacht schicken können.

Das Vorgängerspiel blendete Kriegsverbrechen an seinem Schauplatz noch aus, um Kontroversen zu vermeiden. Der neueste Ableger hingegen bemüht sich darum, der Geschichte verfolgter Jüd*innen in Nordafrika – dem neuen Schauplatz – gerecht zu werden. Dazu schreibt der Historiker Florian Fischer: „Das Studio scheint eingesehen zu haben, dass es sich solche Aussparungen nicht mehr leisten kann. Es bleibt optimistisch zu hoffen, dass diese Erkenntnis übergreift und das konsequente Stillschweigen über Verbrechen des Nationalsozialismus in Spielen über den Zweiten Weltkrieg irgendwann der Vergangenheit angehören könnte.“

Diesem Optimismus schließe ich mich an. Ich glaube, das Stillschweigen der Spielebranche über das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte ist gebrochen. Spannend bleibt aber, welche Worte in diese Stille drängen, wie Entwicklerteams in Zukunft über die Vergangenheit sprechen und ob Spiele tatsächlich ihren Platz im Schulunterricht und Museum nicht nur erobern, sondern auch auf Dauer halten können.


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