Bei einem Projekt zur Beobachtung feindlicher Propaganda überwachte die Bundeswehr offenbar Aktionskünstler:innen aus Deutschland. Der „digitale Einsatz im Innern“ war dabei auch intern umstritten.
Mit der Aktion „Wo sind unsere Waffen“ wollten die Aktionskünstler:innen vom Zentrum für Politische Schönheit (ZPS) auf ein Problem mit Rechtsradikalen bei der Bundeswehr aufmerksam machen. Im Herbst 2020 starteten sie eine offenkundig satiregetränkte Rückgabeaktion für vermisste Waffen der Truppe. Dabei stellten sie einen Sammelcontainer auf, schrieben aber auch Dienststellen der Bundeswehr an und gaben sich als Militärischer Abschirmdienst aus.
Die Bundeswehr wertete das als „Guerilla-Marketingaktion mit Elementen einer Informationsoperation“, das ZPS geriet ins Visier der Abteilung Operative Kommunikation. Das berichtet Business Insider und beruft sich dabei auf eingestufte Dokumente. In der Abteilung existiere demnach seit 2019 ein Projekt namens „Propaganda Awareness“, in dem feindliche Propaganda beobachtet werden soll. Business Insider zitiert aus dem Leistungskatalog für das Projekt „IT-gestütztes Erfassen von Akteurs- und Quellenlisten propagandistischer Aktivitäten“.
Die Bundeswehr habe die Aktionskünstler:innen systematisch beobachtet „und jeden Schritt der Gruppe im Internet analysiert“. Dabei sollen auch Gegenmaßnahmen geplant worden sein. Die Aktionskünstler:innen finden das skandalös. „Die Bundeswehr betreibt mit viel Aufwand die Ausspähung einer Künstlertruppe, während sie die Dachluken ihrer eigenen Panzer nicht dicht bekommt“, so Stefan Pelzer, „Eskalationsbeauftragter“ des ZPS, gegenüber netzpolitik.org. „Und das, obwohl wir der Truppe dabei behilflich waren, die von rechtsextremen Soldaten gestohlenen Kriegswaffen zurück zu beschaffen!“
„Digitaler Einsatz im Innern“
Ob die Bundeswehr im Inland solche Operationen überhaupt durchführen darf, ist zweifelhaft. Business Insider zitiert dazu dem ehemaligen Präsidenten des
Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier. Dieser stellt in Frage, dass der mit der Operation verbundene Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung rechtlich gedeckt war. Doch nicht nur der Jurist Papier ist skeptisch, es soll auch Warnungen innerhalb der Truppe gegeben haben. Sogar einen fiktiven Medienbericht habe ein Bundeswehrangehöriger verfasst. Darin wird der „digitale Einsatz im Innern“ enthüllt.
Laut Business Insider sei das Projekt bis Ende vergangenen Jahres weitergelaufen. Dabei standen auch andere Themen im Visier. Eines seien russische Falschinformationen zur Corona-Pandemie gewesen, die die Bundeswehr als Bedrohung für Soldat:innen wahrnahm. Außerdem habe die Software des Projekts nach Propaganda zu Heizkosten gesucht.
Die aktuelle Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) sei über das Projekt informiert gewesen, ebenso wie die deutschen Geheimdienste BND, Verfassungsschutz und MAD. Der Militärische Abschirmdienst sei jedoch laut einem Bundeswehr-Sprecher personell nicht selbst daran beteiligt gewesen, sondern habe sich unregelmäßig über Fortschritte informiert.
Es ist nicht das erste Mal, dass das ZPS ins Visier staatlicher Stellen gerät. 2019 ermittelte die Thüringer Staatsanwaltschaft gegen die Aktionskunst-Gruppe, stellte die Ermittlungen jedoch nach ihrem Bekanntwerden wieder ein. 2022 kam es zu Hausdurchsuchungen im Zusammenhang mit der Aktion „Flyerservice Hahn“.
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