Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen stellen sich gegen die Chatkontrolle – unter ihnen auch Fußballfans. Sie wollen, dass die Bundesregierung die umstrittene Verordnung in Brüssel verhindert.
Seit Monaten protestieren Fußballfans in den Stadien mit Spruchbändern gegen die Chatkontrolle. Nun hat der Dachverband der Fanhilfen, der hierzulande mehr als 10.000 Mitglieder vertritt, einen Protestbrief (PDF) an die Sprecher:innen für Digitales und Inneres bei SPD, Grünen und FDP versandt.
Der Verband fordert die Abgeordneten dazu auf, sich gegen die geplante Verordnung einzusetzen. Die Chatkontrolle-Verordnung richtet sich eigentlich gegen sexualisierte Gewalt gegen Kinder. In seiner derzeitigen Fassung würde er jedoch eine neue Form anlassloser Massenüberwachung schaffen, bei der die Inhalte auf den Geräten unbescholtener Menschen durchleuchtet werden.
Konkret fordern die Fußballfans, dass der Bundestag eine Stellungnahme nach Artikel 23 Abs. 3 des Grundgesetzes verabschieden soll. Demnach kann auch der Deutsche Bundestag europapolitische Stellungnahmen beschließen. Die Bundesregierung muss diese in Verhandlungen auf EU-Ebene berücksichtigen. In der Vergangenheit hatten Abgeordnete von FDP und Grünen bereits eine solche Stellungnahme vorangetrieben. Sie scheiterten aber offenkundig am Widerstand von SPD-Innenpolitiker:innen.
In dem Brief heißt es, dass es das Vertrauen in die Online-Kommunikation massiv untergrabe, wenn private Chats ohne konkreten Verdacht durchsucht würden. „Dies würde auch die Verschlüsselung grundlegend beschädigen – eine Technologie, die Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Unternehmen und Regierungsbeamte benötigen, um ihre Kommunikation sicher zu halten.“
Sorge vor ausgeweiteter Überwachung
Linda Röttig vom Dachverband der Fanhilfen sagt: „Der Verordnungsvorschlag schadet allen, auch denen, die er eigentlich schützen will, indem er das Internet unsicherer machen würde. Unter dem Vorwand von Kinderschutz soll eine Überwachungsinfrastruktur etabliert werden, deren Einsatz mittelfristig auch zur zielgenauen Überwachung von Fußballfans genutzt werden könnte.“
Um auf die drohenden Gefahren hinzuweisen, hat sich der Dachverband der Fanhilfen der Kampagne „Chatkontrolle stoppen!“ angeschlossen. Fußballfans seien bereits heute enormen Überwachungsmaßnahmen und Grundrechtseinschränkungen durch die Polizei ausgesetzt. Mit der Chatkontrolle könnten die Ermittlungsbehörden noch tiefer als ohnehin schon in das Alltagsleben von Fans eindringen, so der Verband.
Im EU-Rat falle Deutschland als bevölkerungsreichstem Land der Union eine entscheidende Rolle zu, an der sich viele andere Länder orientierten. Die Bundesregierung müsse daher ein klares Stoppzeichen gegen die Chatkontrolle setzen, so der Verband. Doch zu genau diesem Schritt ist das Bundesinnenministerium von Nacny Faeser, das bei den Verhandlungen in Brüssel federführend ist, nicht bereit.
Gegensätzliche Positionen in Rat und Parlament
Im EU-Rat positioniert sich die Mehrheit der Staaten für die Chatkontrolle. Laut dem Protokoll einer Sitzung, das netzpolitik.org veröffentlicht hat, befürworten es 19 EU-Staaten, Anbieter „interpersoneller“ Kommunikation wie Messenger-Apps dazu zu verpflichten, per Anordnung die Inhalte ihrer Nutzer:innen zu durchsuchen und verdächtige Inhalte an ein EU-Zentrum zu übermitteln. Nur Österreich ist dagegen. Deutschland will nur verschlüsselte Kommunikation von der Überwachung ausnehmen, über unverschlüsselte Kommunikation streitet die Bundesregierung noch.
Im Gegensatz dazu möchte der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) des EU-Parlaments das Gesetz an einigen Stellen verändern. So solle es keine Schwächung von Ende-zu-Ende-verschlüsselter Kommunikation geben. Ebenso lehnt der Ausschuss andere kritische Punkte ab, wie etwa die Suche nach Grooming und unbekannten Bildern sowie eine verpflichtende Alterskontrolle in App-Stores.
Etliche zivilgesellschaftliche Organisationen, unter ihnen auch Kinderschutzverbände, sowie zahlreiche Wissenschaftler:innen lehnen die Chatkontrolle ab. Auch Verbände wie der Deutsche Anwaltverein und der Juristische Dienst des EU-Rats sowie Internet-Ermittler positionieren sich gegen die Chatkontrolle.
Und auch politisch Interessierte können sich weiter gegen das Überwachungsprojekt engagieren. Sie können unter anderem bei EU- und Bundestagsabgeordneten anrufen und ihre Position deutlich machen.
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