In den USA wird über die Risiken von TikTok diskutiert. Aus europäischer Perspektive wirkt das putzig, weil wir jedes gegen TikTok vorgebrachte Argument auch gegen Facebook und Co. verwenden können. Und doch lassen sich aus der Debatte in den Vereinigten Staaten wichtige Lehren ziehen.
Die chinesische Plattform TikTok ist in den USA sehr umstritten. Gerade hat der US-Kongress seinen Abgeordneten und Mitarbeiter:innen verboten, die Videoplattform auf Dienstgeräten zu nutzen. Das Verbot gilt auch für Angehörige des US-Militärs und ist bislang auf einige Staaten beschränkt. Später soll es auf alle Beamte der Bundesebene ausgeweitet werden.
Drei Argumente gegen TikTok
Es gibt drei zentrale Argumente, die gegen TikTok sprechen:
Mögliche Desinformation: Hinter der Plattform steht der chinesische Konzern ByteDance. Dieser ist nicht unabhängig vom chinesischen Staat zu sehen, und es gibt Befürchtungen, dass ByteDance seine intransparenten algorithmischen Entscheidungssysteme dazu nutzen könnte, um Desinformation zu streuen.
Wer hat Zugriff auf welche Daten: Bereits als Donald Trump US-Präsident war, stand ein Verbot von TikTok in den USA im Raum. Grund war die Befürchtung, dass chinesische Sicherheitsbehörden mit Hilfe von ByteDance auf die Daten aller US-Nutzer:innen zugreifen könnte. Solche Daten lassen detaillierte Rückschlüsse zu, wie aktuelle Vorwürfe verschiedener US-Medien belegen: Demnach soll TikTok gezielt die Metadaten von US-Journalist:innen ausgewertet haben. Mit Hilfe von IP-Adressen und Standortdaten habe das Unternehmen so mögliche Treffen mit Whistleblower:innen ausmachen wollen. Der Konzern fürchtet offenbar interne Leaks und nutzt seine Form einer privaten Vorratsdatenspeicherung.
TikTok ist eine Kooperation mit dem US-Konzern Oracle eingegangen und will seine Angebote so mittelfristig auch auf US-Servern betreiben. Damit will es den Anschein erwecken, dass die Daten seiner amerikanischen Nutzer:innen in Sicherheit sind.
Geopolitische Dominanz: Die vergangenen 15 Jahre haben US-Plattformen die Social-Media-Welt dominiert. TikTok ist der erste Konkurrent, der Instagram, Facebook und YouTube auf Augenhöhe begegnet – und diese bald hinsichtlich Nutzungszahlen und Relevanz überholen könnte. Das hat auch außenpolitische Konsequenzen.
Wir können davon ausgehen, dass die US-Regierung – nicht nur in Krisensituationen – durch den Zugriff auf die Plattformen sehr genau analysieren kann, wer was wo und wie kommuniziert und damit einen globalen Informationsvorsprung hat. Im Kern aber geht es darum, die Dominanz der eigenen Plattformen gegenüber einem Konkurrenten aus China zu sichern.
Der Konflikt aus europäischer Sicht
Aus europäischer Perspektive ist die US-amerikanische Debatte sehr interessant – und sie wirkt zugleich scheinheilig. Denn die USA setzen Maßstäbe an TikTok, die wir auch an Facebook und Co. stellen sollten – ja, stellen müssen.
Die Debatte um Desinformation auf Facebook und Co. ist weit älter als jene um Cambridge Analytica. Der Fall im Frühjahr 2018 zeigte allerdings, wie einfach es die Plattformen Akteuren machten, ihre aktiven Nutzer:innen zu manipulieren. Die Mechanismen, die der Profilbildung und letztlich der Anzeige personalisierter Werbung dienen – dem eigentlichen Geschäftsmodell sozialer Netzwerke –, laden geradezu zu dieser Manipulation ein. Die Intransparenz ist in dieser Hinsicht das eine Problem, mangelnde demokratische Kontrollmöglichkeiten das andere. Und das größte Problem ist das Geschäftsmodell selbst.
Wie relevant die Frage ist, wer Zugriff auf welche Daten hat, wissen wir spätestens seit den Snowden-Enthüllungen sowie der Debatte um den FISA-Court und PRISM. US-Unternehmen bemühen sich seitdem, Daten DSGVO-konform auf Servern ihrer Tochterfirmen in der EU zu speichern. Allerdings hat die US-Regierung eine andere Rechtsauffassung und geht mit dem Cloud Act immer noch davon aus, dass auch bei diesen europäischen Tochterfirmen US-Recht Vorrang habe.
Die entscheidende Frage ist also nicht, in welchen Rechenzentren auf der Welt die Daten liegen, sondern wer auf diese Zugriff hat. Und aus europäischer Sicht bedeutet dies, den Blick in die USA oder nach China zu richten. Und im Zweifelsfall haben dort die jeweiligen Geheimdienste ebenfalls Zugriff auf unser aller Daten – denn unsere Daten sind aus deren Sicht vogelfrei. Das sieht der Europäische Gerichtshof genauso und ist der Grund, warum Max Schrems immer wieder gegen die Datentransfer-Abkommen zwischen den USA und der EU gewinnt.
Die Plattformen müssen streng kontrolliert werden
Gewiss, ByteDances Umgang mit Daten ist kein Einzelfall. Auch US-Konzerne nutzen Nutzer:innen-Daten dazu, um mögliche Whisteblower:innen im eigenen Unternehmen zu identifizieren oder um eigene (Des-)Informationskampagnen zu führen. Aber die aktuelle Debatte in den USA veranschaulicht, wie wir über die Macht der Plattformen diskutieren sollten.
Ich nutze übrigens kein TikTok, obwohl ich die App wegen ihres Beitrags zur Remixkultur überaus interessant finde. Allerdings kann ich die meisten Argumente, die gegen TikTok vorgebracht werden, durchaus nachvollziehen. Und unsere Berichterstattung auf netzpolitik.org hat mich darin bestätigt, nicht jeden Trend mitmachen zu müssen. Ich bin mir bewusst, dass dies etwas indifferent klingt, da ich zugleich als öffentliche Person die Angebote einiger US-Plattformen nutze. Aber ich hoffe auch, dass es uns gemeinsam gelingt, gemeinwohlorientierte Alternativen stärker zu machen.
Umso wichtiger aber ist aus meiner Sicht eine starke Regulierung und Kontrolle dieser Unternehmen. In diesem Jahr kommen erstmals die neuen Regeln zur Plattformregulierung auf EU-Ebene zur Anwendung. TikTok erfüllt eindeutig die Kriterien eines „Gatekeepers“ im Digital Markets Act (DMA) sowie die Kriterien einer Very Large Platform (VLOP) im Digital Services Act.
Es wird also spannend sein zu beobachten, ob die Europäische Kommission in den kommenden Jahren eine gut funktionierende Aufsicht aufbauen und betreiben kann. Diese gilt dann sowohl für Facebook und Co. als auch für ByteDance.
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