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Augsburg gegen Demonstrationsfreiheit: „Mit einer liberalen Demokratie nicht zu vereinbaren“

Was ist bloß in Augsburg los? Die Stadt beschränkt bei einer Frauenrechtsdemo per Auflage Musik und sogar die Lautstärke gerufener Parolen. Die Anmelderin der Demo fängt sich deswegen eine saftige Geldstrafe ein. Versammlungsrechtsexperten halten den Fall für einen Skandal, doch ein überhartes Vorgehen gegen demokratischen Protest hat in Augsburg Tradition.

Zwei Frauen stehen auf einer Bühne auf einem Platz, man sieht sie von hinten.
Wieviel Protest ist in Augsburg erlaubt? (Symbolbild) CC-BY-NC 2.0 Anna Fabian / Bearbeitung: netzpolitik.org

Als die Augsburgerin Michaela Strattner im März 2022 eine Frauenrechtsdemonstration anmeldete, verfügte die städtische Versammlungsbehörde strenge Auflagen. Sogar das Spielen von Musik und die Lautstärke von gerufenen Parolen beschränkte die Stadt. Nach Ansicht der Polizei  hielt sich die Demo zum Frauentag nicht an alle Auflagen, die Polizei zeigte Strattner an.

Das Amtsgericht Augsburg verhängte daraufhin einen Strafbefehl in Höhe von 1.200 Euro gegen die Anmelderin. Dagegen wehrt sich Michaela Strattner, am Donnerstag findet die Verhandlung statt. Versammlungsrechtler zeigen sich angesichts des Vorgangs alarmiert. Schon allein die Auflagen für die Demonstration seien fragwürdig, die Vorwürfe gegen die Anmelderin auch.

Laute Parolen rufen verboten

„Das Versammlungsrecht sichert uns zu, öffentlich über Themen wie die Unsichtbarkeit von Sorgearbeit zu sprechen, aber der aktuelle Fall zeigt einmal wieder, dass Bayern davon nicht viel hält“, sagt Demo-Anmelderin Michaela Strattner gegenüber netzpolitik.org. Das Prinzip in Augsburg sei offenbar „Demonstration ja, aber dann doch bitte leise, in den Inhalten beschnitten oder an Orten ohne Öffentlichkeitswirkung“, so die Aktivistin vom Augsburger Frauenstreik-Komitee weiter.

Im Strafbefehl, den netzpolitik.org einsehen konnte, sind die Auflagen der Demonstration aufgeführt. So durften Lautsprecheranlagen und Megafone „nicht für reine Unterhaltungs-/Vergnügungszwecke, sondern nur für direkte Versammlungszwecke“ verwendet werden. Weiterhin verfügte die Versammlungsbehörde, durch das „Rufen von Parolen, Benutzen von Lärm- und ähnlichen Geräten darf es zu keiner unzumutbaren Lärmbelästigung von Passanten und Anwohnern oder Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs kommen“.

Zudem sollten „alle Reden und auch von Ton-/Bildträgern abgespielte Texte, Videos und Musikstücke“ den „öffentlichen Frieden“ wahren. So dürfe nicht zum „Hass gegen Bevölkerungsteile aufgestachelt werden oder zu Gewalt oder Willkürmaßnahmen aufgerufen werden, indem Teile der Bevölkerung beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet werden.“

„Lieder in der Fußgängerzone zu hören“

Der Leiterin der Demo wird nun ein Verstoß gegen diese drei Auflagen vorgeworfen, weil sie die Lieder „Pisse“ der Band Schnipo Schranke und das Lied „Querdenker klatschen“ der Band Kafvka am 5. März 2022 „derart laut“ abgespielt hätte, dass „die Lieder in der Fußgängerzone zu hören waren“. Die Polizei stört sich auch daran, dass das Lied von Kafvka gerade dann abgespielt worden sei, als ein Demonstrationszug von Querdenkern den Rathausplatz passiert habe.

Auf Grundlage der Auflagen und Vorkommnisse sah die Polizei einen Verstoß gegen das Bayerische Versammlungsgesetz, das Amtsgericht der Stadt verhängte einen Strafbefehl von 30 Tagessätzen à 40 Euro. Insgesamt 1200 Euro Strafe für Dinge, die vermutlich woanders in Deutschland vollkommen legal gewesen wären.

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Das sieht auch die Anwältin Martina Sulzberger, welche Strattner vor Gericht vertritt, ähnlich: „Die Demonstration und auch die dort abgespielten Musikstücke sind eindeutig von der Versammlungsfreiheit geschützt. Form und Inhalte der Versammlung sind Sache der Demonstrierenden.“ Es sei ganz unabhängig vom morgigen Gerichtstermin die Frage, ob die von der Versammlungsbehörde verfügten Auflagen überhaupt wirksam seien.

„Bemerkenswert oberflächliche Entscheidung“

Der Strafbefehl sei eine „bemerkenswert oberflächliche, jedem Referendar als ungenügend angekreidete gerichtliche Entscheidung“, sagt auch der Verwaltungsrechtler und Herausgeber von Publikationen zum Versammlungsrecht, Michael Breitbach. Die im Strafbefehl genannten Versammlungsauflagen hält er für juristisch fragwürdig.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Peer Stolle, Anwalt für Versammlungsrecht in Berlin und Vorsitzender des Republikanischen Anwältinnen- und Anwälte Vereins (RAV). Er bezeichnet den Strafbefehl als „absurd“. Gegenüber netzpolitik.org sagt er, dass die Auflagen gegen die Demonstration zu weitreichend und zu unbestimmt gewesen seien – und deswegen die Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt hätten.

Es sei außerdem gängige Praxis auf Demonstrationen, dass dort auch Unterhaltungsmusik gespielt werde, wenn diese nicht mehr Raum einnimmt als der politische Teil. Diese Einschätzung teilt Versammlungsrechtler Breitbach. Er sieht im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte für eine Dominanz von „geselligen Zwecken“. Zudem sei diese Auflage für die Versammlung inhaltsbeschränkend. „Diese die Meinungsfreiheit der Versammlung beschränkende Verfügung wird weder auf eine gesetzliche Beschränkungsnorm noch als ein gefahrenbegründender Verstoß bzw. Störung der öffentlichen Sicherheit gestützt“, moniert Breitbach.

„Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig eingeschränkt“

„Die beiden beanstandeten Lieder haben sogar beide einen inhaltlichen Bezug zur Demonstration“, sagt Rechtsanwalt Stolle. So thematisiere das Lied „Pisse“ die Care-Arbeit in Beziehungen. Ebenso verhalte es sich mit dem Lied „Querdenker klatschen“, das im Songtext einen Bezug zum Klatschen für Pflegekräfte in der Corona-Krise habe. Genau dieses Thema „Care-Arbeit“ sei zudem das angemeldete Motto der Frauentags-Demonstration gewesen. 

Polizei und Versammlungsbehörde müssten zudem „im Zweifel für die Versammlungsfreiheit“ entscheiden, sagt Stolle. Die Auflagen zur Lärmbelästigung seien viel zu weit gefasst gewesen: „Der Sinn einer Demonstration ist, dass sie im öffentlichen Raum in Kommunikation mit der Öffentlichkeit geht. Die Idee ist ja, dass Menschen mitbekommen, was geht. Es geht darum, Menschen zu erreichen“, so Stolle weiter. 

Frau hält ein Plakat mit der Aufschrift "Gleiche Arbeit, gleicher Lohn, alles andere purer Hohn."
Foto am Rande der Demonstration am 5. März 2022 in Augsburg. - CC-BY-NC 2.0 Frauenstreik-Komitee

„Lärmauflage zu unbestimmt“

Auch Verwaltungsrechtler Breitbach hält die Lärmauflage für zu unbestimmt, die Behörde müsste konkretisieren, was auf welcher Rechtsgrundlage als unzumutbar anzusehen sei. Es sei zudem fraglich, ob der tatsächliche „Lärm“ unzumutbar gewesen sei, das würde im Strafbefehl ebenfalls nicht konkretisiert. 

Kritisch sieht Breitbach auch die Auflage, dass abgespielte Musik den „öffentlichen Frieden“ wahren müsse. Dies ziele auf die Unterlassung von volksverhetzenden Verhaltensweisen, sei aber ein „bloßer Hinweis auf die allgemeine Rechtslage, ohne den Einzelfall zu regeln“. Dies stelle keinen rechtsgültigen Verwaltungsakt dar. Ein Straftatbestand der Volksverhetzung dürfte wegen des Abspielens der zwei Lieder „kaum nachgewiesen werden können“, so Breitbachs Einschätzung.

Stolle ist überzeugt, dass der Demonstrationsleitung kein Vorwurf zu machen sei, wenn die vorbeiziehende Querdenker-Demo das Anti-Querdenker-Lied habe hören müssen: „Wer sich mit einer Demonstration in die Öffentlichkeit begibt wie die Querdenker, hat kein Recht vor Widerspruch geschützt zu sein“.

Für den Berliner Rechtsanwalt ist letztlich klar: „Diese Demonstrationsauflagen aus Augsburg konterkarieren den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit und sind letztlich mit einer liberalen Demokratie nicht zu vereinbaren“.

Für den Gerichtstermin am Donnerstag um 10 Uhr haben Menschen eine Solidaritätskundgebung angemeldet. Die Auflagen der Versammlungsbehörde für diese Demonstration erlauben laut den Aktivist:innen das Abspielen des Liedes „Pisse“ – aber nur maximal vier Mal pro Stunde.

Augsburg: Razzien wegen Kreide malen und Zeitungsartikel posten

Screenshot der Medienverlinkung, die zur Hausdurchsuchung führte. - Alle Rechte vorbehalten Verfasser:innen des Blogs Pimmelgate Süd. Bearbeitung: netzpolitk.org

Es ist nicht das erste Mal, dass die Augsburger Polizei unverhältnismäßig hart gegen die Zivilgesellschaft der Stadt vorgeht. So veranlasste sie im Jahr 2019 unter anderem eine Hausdurchsuchung bei einer 15-jährigen Schülerin, weil sie diese im Verdacht hatte, im Rahmen einer Greenpeace-Aktion mit Kreide auf die Straße gemalt zu haben. 

In einem anderen Fall hatte ein Klimaaktivist einen Zeitungsartikel  der Schleswig-Holsteiner-Zeitung unter einem Facebook-Post des Augsburger AfD-Lokalpolitikers Andreas Jurca verlinkt. Dieser fühlte sich davon offenbar von dem Vorschaubild „Du bist so 1 Pimmel“ beleidigt und erstattete Anzeige gegen den Aktivisten.

Für die Augsburger Polizei war die Verlinkung des Medienartikels Anlass genug für eine Razzia in der Wohnung des Aktivisten im April 2022. Die Beamt:innen beschlagnahmten dabei auch private Geräte des Aktivisten, der für das Augsburger Klimacamp aktiv ist. Diese beiden Fälle sind auf einer Webseite dokumentiert.

Wenn Sie auch betroffen sind von ähnlichen Vorgängen in Augsburg, freuen wir uns über Hinweise an die Redaktion über die üblichen Kanäle.


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