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Anlasslose Fluggastüberwachung : 62 Millionen Menschen unter Generalverdacht

Millionen von Menschen werden jedes Jahr durch die anlasslose Fluggastdatenüberwachung erfasst, in Datenbanken abgeglichen und durch die Mustererkennung beim Bundeskriminalamt gejagt. Dabei ist die Überwachung der Flugreisen in dieser Form illegal, hat der Europäische Gerichtshof entschieden. Eine kleine Anfrage zeigt nun die Ausmaße dieser riesigen Datensammlung.

Polizei am Flughafen Köln
Polizist:innen am Flughafen in Köln. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Panama Pictures

Mehr als 500 Millionen Datensätze werden in Deutschland im Rahmen der anlasslosen Fluggastüberwachung gespeichert. Allein im letzten Jahr waren mehr als 62 Millionen Menschen von der Speicherung betroffen. Die Datensätze gleicht das Bundeskriminalamt nicht nur mit den Datenbanken INPOL-Z und dem Schengener Informationssystem SIS ab, sondern lässt auch eine Mustererkennung darüber laufen. Das geht aus der Antwort des Bundesinnenministeriums (PDF) auf eine kleine Anfrage der linken Abgeordneten Martina Renner hervor.

Bei der Fluggastdatenspeicherung, technisch Passenger Name Record (PNR) genannt, werden bis zu 20 unterschiedliche Daten pro Person gespeichert. Die Daten enthalten Name, Adresse, Buchungscode und Reiseverlauf, aber auch Informationen über die Bezahlung, den Vielflieger-Status, den Sitzplatz und das Gepäck. Einzig ausgenommen sind heute Flüge von Privatjets.

84 Prozent False-Positives

Im Jahr 2021 haben die Airlines 211 Millionen Datensätze von etwa 62 Millionen Fluggästen übermittelt. Nach dem Abgleich mit den Datenbanken ergaben sich mehr als 300.000 „technische Treffer“, zu denen noch einmal etwa 5.500 Treffer vom „Musterabgleich“ kamen. Aus diesen technischen Treffern ergaben sich im Jahr 2021 nach Bearbeitung durch die „Fluggastdaten-Zentralstelle“, bei der derzeit im Bundesverwaltungsamt und im BKA etwa 185 Menschen arbeiten, etwa 46.000 Vorgänge, die eine Personen- oder Dokumentenfahndung auslösten.

Nur etwa jeder sechste technische Treffer hält also einer menschlichen Überprüfung stand. Das heißt, dass allein auf dieser Stufe etwa 84 Prozent False-Positives entstehen. Auch die hohe Zahl an False-Postives war ein Grund, warum der EuGH in seinem Urteil vom Juni das Vorgehen kritisierte.

Die 46.000 Vorgänge führten dazu, dass knapp 10.000 dieser Menschen bei der Personenfahndung angetroffen wurde. (Woher die große Diskrepanz kommt, geht aus den Antworten auf die kleine Anfrage nicht hervor.) Von diesen 10.000 Menschen wurde sieben die Einreise verweigert, gut 1.000 wurden festgenommen, knapp 1.200 offen kontrolliert, gut 1.500 verdeckt kontrolliert und bei gut 5.000 Menschen wurde im Rahmen der Aufenthaltsermittlung eine ladungsfähige Adresse versucht herauszufinden.

„Rechtfertigung zum Sammeln“

Aus der Anfrage geht auch hervor, dass es sich bei drei Vierteln aller Fälle um (vermutete) Straftaten handelt, die nichts mit Terrorismus zu tun haben. Die Fluggastdatenspeicherung wurde aber mit der Bekämpfung des Terrorismus begründet, lässt jedoch die Fahndung nach anderen Straftaten zu.

Der Straftatenkatalog des Fluggastdatengesetzes diene dem Zweck, eine Rasterfahndung zu ermöglichen, sagt Martina Renner. „Das Verhindern und Aufklären von Straftaten ist doch eher zweitrangig und dient lediglich der allgemeinen Rechtfertigung zum Sammeln dieses riesigen Datenpools.“

Im vergangenen Juni hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einer Grundsatzentscheidung die Fluggastdatenüberwachung als zu weitgehend eingestuft. Das Gericht verlangte wegen der verletzten Grundrechte von Millionen Reisenden eine Beschränkung der Datensammlung und -auswertung auf das „absolut Notwendige“. Die betreffende EU-Richtlinie, die das massenhafte Sammeln, Übermitteln und Verarbeiten von Reisedaten vorschreibt, um Terrorismus und schwere Kriminalität vorzubeugen, solle mit dieser Entscheidung in Einklang mit EU-Rechten gebracht werden.

Bundesregierung prüft

In der Antwort auf die kleine Anfrage heißt es, dass die „Bundesregierung unter Einbindung der betroffenen Behörden die Auswirkungen der Entscheidung auf die deutsche Rechtslage und Verarbeitungspraxis“ analysiere, diese „komplexe Prüfung“ sei noch nicht abgeschlossen. Schon jetzt zeichne sich aber ab, dass das Urteil zu „Beschränkungen für die Verarbeitung von Fluggastdaten“ führen werde.

Das fordert auch das Gericht, dass beispielsweise eine innereuropäische Speicherung beendet werden muss. Sie sei nicht zulässig, wenn keine „reale und aktuelle oder vorhersehbare“ terroristische Bedrohung bestehe.

Martina Renner sagt: „Die Umsetzung der EU-Richtlinie durch das Fluggastdatengesetzes muss revidiert werden.“ Eine massenhafte Speicherung von Daten der reisenden Bürgerinnen und Bürger zum einen und eine Rasterung dieser Daten zum anderen sei offensichtlich rechtswidrig und ungeeignet. „Denn die polizeilichen Ergebnisse, also die Treffer, liegen im Promillebereich und damit auf dem Niveau von zufälligen Grenzkontrollen. Dieses Instrument ist gescheitert und verschlingt Unmengen Geld sowie Ressourcen“, so Renner weiter.


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