Die Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes verläuft schleppend. Fachleute kritisieren indessen nicht nur das langsame Tempo, sondern vor allem das Fehlen von Schnittstellen und Standards.
Während sich die Bundesregierung für ihre neue Digitalstrategie feiert und Innenministerin Nancy Faeser bürgernah erklärt, dass „Digitalisierung den Menschen dienen und ihnen den Alltag in der Verwaltung erleichtern“ solle, kritisieren Fachleute die lahmende Umsetzung eines Gesetzes, das genau das tun sollte – das Onlinezugangsgesetz (OZG).
Es verpflichtet die Regierung, bis Ende 2022 Bürger:innen über 6.000 Verwaltungsleistungen online zur Verfügung zu stellen, darunter die Beantragung eines Personalausweiseses oder die Ummeldung des Wohnortes. Doch schon länger ist absehbar, dass sich der Zeitplan nicht halten lässt.
Im Mai priorisierte schließlich der IT-Planungsrat, der die Digitalisierung der Verwaltung zentral steuern soll, ganze 35 Leistungen. Immerhin diese sollen bis Jahresende flächendeckend ausgerollt sein. Laut Markus Richter, dem IT-Beauftragten der Bundesregierung und Staatssekretär im Bundesinnenministerium, gebe es Probleme bei der Implementation und bei der Vernetzung, er warnt vor „kommunaler Selbstzerstörung“.
Oben ist unten
Die Hoffnung ruht auf einem weiterentwickelten OZG 2.0. Derzeit würden dazu „vorbereitende Gespräche stattfinden, in denen der Rechtsänderungsbedarf am OZG besprochen“ werde, heißt es in der Antwort der Bundesregierung zu einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion.
In der Digitalstrategie gibt sich die Bundesregierung bis 2025 Zeit, aus den Erfahrungen zur Umsetzung des OZG zu lernen. Sie will sich aber 2025 auch daran messen lassen, „priorisierte Leistungen flächendeckend realisiert und die Plattformangebote fortwährend harmonisiert“ zu haben.
Doch schon jetzt messen Fachleute die deutsche Digitalpolitik und den Stand der Digitalisierung etwa an Finnland, Dänemark, Italien oder Großbritannien. Diese Länder konzentrierten sich, wie Peter Kuhn von Fortiss und Moreen Heine von der Universität zu Lübeck im Tagesspiegel Background erläutern, im Gegensatz zu Deutschland auf das Backend.
Das heißt vereinfacht, sie schaffen für die Dateninfrastruktur zuerst einen Plattformkern mit Basisdiensten und verbindlichen Schnittstellenstandards. Dieser Kern diene anschließend als „Fundament für ein Ökosystem aus Online-Diensten“. Letztere könnten die einzelnen Kommunen dezentral entwickeln.
Die Bundesregierung gehe aber umgekehrt vor und lege den Schwerpunkt bei der Umsetzung des OZG auf das Frontend. Damit fehle jedoch eine zentrale Einheit und ein sauberes Fundament, auf dem die Verwaltungsstellen aufbauen könnten.
Verbindliche Schnittstellen fehlen
Auch die IT-Sicherheitsforscherin und Aktivistin Lilith Wittmann findet klare Worte zum Gesetz und der Umsetzung der Verwaltungsdigitalisierung. Auf der Jahrestagung des DBB Beamtenbund und Tarifunion kritisierte sie vor allem, wie die Politik den Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen denkt. So sieht das Gesetz vor, dass es ein Verwaltungsportal gibt, auf dem sich Bürger:innen Konten einrichten und die Verwaltungen Formulare zur Verfügung stellen.
Das Gesetz berücksichtige aber nicht die unterschiedlichen Bedarfe der verschiedenen Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen, so Wittmann. Diese müssten in die Konzeption des Angebots einfließen. Die Bundesregierung müsse diese zuerst klären und daran Standards und Schnittstellen ausrichten. Von Anfang an müsse Verwaltungsdigitalisierung als Produkt verstanden werden, an dem langfristig gearbeitet wird.
Auch Anke Domscheit-Berg, digitalpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, kritisiert in einer Pressemitteilung, dass fünf Jahre nach Verabschiedung des OZG weiterhin Standards und Schnittstellen fehlen würden. Die digitalisierte Leistung eines Bundeslandes könne kaum in einem anderen nachgenutzt werden, da sich Software-Landschaften unterscheiden.
„35 priorisierte Leistungen nicht zu schaffen“
Mit „hoher Wahrscheinlichkeit“ werde es nicht einmal die im Mai neu festgelegten Top 35 priorisierten Dienstleistungen flächendeckend bis zum Jahresende digital geben, vermutet die Bundestagsabgeordnete. „Wenn wir Pech haben, kann man also in ein paar Wochen digital ein Waffe registrieren, muss aber für Ausweiserneuerung, Ummeldung, Wahlhelferanmeldung oder KfZ-Anmeldung weiter zum Amt rennen und eine Nummer ziehen, weil die Verwaltungen überfordert sind und nicht alle 35 Dienste schaffen werden.“
Die fehlenden Standards und Schnittstellen vermissen auch Kuhn und Heine, gehen aber noch weiter: Es reiche nicht aus, eine Dateninfrastruktur mit den notwendigen Standards und Schnittstellen zu schaffen. Es müssten auch die Zuständigkeiten klar zugewiesen sein und an einer Stelle zusammenlaufen. Als Instanz, die alle Zügel in der Hand hält, schlagen die beiden die Föderale IT-Kooperation (FITKO) vor. Die vor zwei Jahren gegründete Koordinierungs- und Vernetzungsstelle für Digitalisierungsvorhaben der öffentlichen Verwaltung soll die Entscheidungen des IT-Planungsrates umsetzen.
Mitziehen müssen aber auch die Länder. Denn das OZG scheitert auch da, wo sie bestimmte Leistungen nicht online anbieten wollen. So weigert sich etwa die CDU-geführte nordrhein-westfälische Landesregierung, die Leistung des Kirchenaustritts zu digitalisieren, obwohl es das OZG vorgibt. Ein Sprecher der Staatskanzlei erklärte gegenüber der F.A.Z., man habe das „Digitalisierungspotential“ der Leistung geprüft und sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein persönliches Erscheinen der Bürger:innen für den Austritt aus der Kirche vorgeschrieben sei.
Vielen Kommunen dürfte die schleppende und ungleichmäßige Digitalisierung jedoch egal sein, kritisiert Domscheit-Berg. Denn für Kommunen habe es keinerlei Folgen, wenn sie die Umsetzung des OZG verweigerten.
Ein Dashboard aus dem Pflichtenheft
Zugleich weiß die Bundesregierung womöglich selbst nur bedingt, wie weit das Vorhaben inzwischen fortgeschritten ist. So soll das OZG-Dashboard transparent machen, wie es um die Verwaltungsdigitalisierung bestellt ist. Doch erst im April hat der Bundesrechnungshof festgestellt, dass die Angaben des BMI auf dem Board „irreführend“ seien. Nur ein Bruchteil der 575 Leistungsbündel sei digital verfügbar.
Wittmann vermutet gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass die Seite bewusst so konzipiert worden sei, dass sie keiner verstehe. Ein Leistungsbündel würde als realisiert angegeben, wenn eine Leistung daraus „in mindestens einer Kommune“ digital verfügbar sei. Damit werde aber nur verschleiert, wie langsam der Digitalisierungsprozess vorangehe.
Auch Domscheit-Berg hält die Daten für „beschönigt und unvollständig“. Für keinen Dienst sei erkennbar, ob er „Ende zu Ende digitalisiert oder in der eigenen Gemeinde verfügbar“ sei. Zwar werde angezeigt, dass es auf Bundesebene 80 Leistungen gibt, die bereits online verfügbar sind. Doch dazu würden keine weiteren Informationen angegeben. „Die Zeit der Lippenbekenntnisse muss endlich vorbei sein“, fordert die Bundestagsabgeordnete.
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