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Nach Microtargeting-Skandal: Neue Werberichtlinien halten nicht, was sie versprechen

Das Klimaschutzministerium Rheinland-Pfalz stand wegen mutmaßlich verfassungswidriger Werbung auf Facebook in der Kritik. Ein Rechtsgutachten und neue Social-Media-Richtlinien sollen helfen. Doch die tiefgreifenden Probleme des politischen Microtargetings werden gar nicht erst angegangen.

Jan Böhmermann in seiner Sendung zu Microtargeting neben der Facebook-Werbeanzeige des rheinlandpfälzischen Klimaschutzministeriums
Verbotene Wahlwerbung einer staatlichen Behörde – Jan Böhmermann kritisiert Facebook-Anzeige des rheinlandpfälzischen Klimaschutzministeriums – Alle Rechte vorbehalten Screenshot / ZDF Magazin Royale

Es war mehr als nur ein peinlicher Fehler: Als das ZDF Magazin Royale kurz vor der Bundestagswahl 2021 aufdeckte, dass das rheinland-pfälzische Klimaschutzministerium die Zielgruppen seiner Facebook-Werbung nach Parteipräferenz sortierte, war von Verfassungswidrigkeit die Rede. Über Jahre hatte das von den Grünen geführte Ministerium versucht, mit den aus Steuergeldern finanzierten Werbeanzeigen gezielt Fans der Grünen zu erreichen und Nutzer:innen mit linker politischer Orientierung auszuschließen – auch in Wahlkampfzeiten.

Rasch gelobte das Ministerium nach der Veröffentlichung der Recherche Besserung und gestand „Fehler bei der Zielgruppenauswahl“ ein. Man wolle die Aktivitäten in sozialen Netzwerken „gänzlich auf den Prüfstand“ stellen, erklärte Umwelt-Staatssekretär Erwin Manz. Nachdem das Haus Facebook-Werbung für eine kurze Zeit ganz einstellte, ließ es ein Rechtsgutachten zum Thema Microtargeting auf Facebook erstellen und veröffentlichte im Juni 2022 ein überarbeitetes Konzept für die Social-Media-Arbeit.

Auf dieser Grundlage will das Ministerium mit dem umstrittenen Microtargeting, also einer Werbemethode, bei der Menschen aus Basis ihres Datenprofils sehr gezielt angesprochen oder ausgeschlossen werden, bis auf ein paar Einschränkungen weitermachen. Wir haben uns die Dokumente deshalb angeschaut und Experten dazu befragt, was sie von den Maßnahmen halten. Ihr Fazit: Die explizite Auseinandersetzung mit dem Thema ist für ein Ministerium in Deutschland zwar einzigartig, doch die Nutzung von politischem Targeting auf Facebook bleibt weiter hochgradig problematisch.

Keine Klimaschutz-Werbung für Linke

Grundsätzlich kann das Auftragsgutachten über weite Strecken zunächst als Entlastung des Ministeriums gelesen werden. Die Rechtsanwälte Gernot Lehr, Christian Johann und Tobias Gafus der Anwaltssozietät Redeker Sellner Dahs kommen zu dem Schluss, dass die Werbe-Praxis des Ministeriums auf Facebook „zu weit überwiegenden Teilen rechtlich unbedenklich“ gewesen sei.

Zwar habe das Ministerium Microtargeting in der Vergangenheit auch in illegitimer Weise eingesetzt, grundsätzlich sei es nach den „Haushaltsgrundsätzen der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit“ jedoch sogar „geboten“. Denn die Wirksamkeit von Öffentlichkeitsarbeit auf Facebook sei „ohne die Nutzung von Microtargeting stark eingeschränkt“. Als problematisch sehen die Gutachter lediglich bestimmte Ein- und Ausschlusskriterien für Werbezielgruppen, die mit politischen Parteien in Zusammenhang stehen.

So sei es unzulässig gewesen die Zielguppenkriterien „Grüne Politik“ und „Bündnis 90/Die Grünen“ zu verwenden. Letzteres adressiere deutlich Wähler:innen einer bestimmten Partei. Bei „Grüne Politik“ lasse sich nicht erkennen, inwieweit Facebook diese Kategorie von „Bündnis90/Die Grünen“ unterscheidet. Auch Werbeanzeigen, die die Grüne Klimaschutzministerin Anne Spiegel auf dem Fahrrad zeigen, waren vom Ministerium gezielt an diese Gruppe ausgespielt worden.

Auch dass das Ministerium verhindert hat, dass solche Menschen die Werbeanzeigen zu sehen bekommen, denen Facebook das Label „Politische Linke“ zuordnet, sei nicht in Ordnung gewesen. Das sei deshalb unzulässig, da davon auszugehen sei, dass „durch dieses Kriterium Anhänger bestimmter Parteien überproportional häufig betroffen sind“, so die Gutachter. Auswahlkriterien wie „Klima“ oder „Erneuerbare Energie“ halten sie jedoch für legitim.

Ein Ministerium muss alle ansprechen

Während die Angelegenheit für das Ministerium damit erledigt zu sein scheint, kritisieren Experten im Gespräch mit netzpolitik.org die Oberflächlichkeit der Auseinandersetzung mit den Problemen des politischen Microtargetings.

So etwa Simon Kruschinski, der gerade seine Promotion zum Thema des politischen Microtargetings an der Universität Mainz abgeschlossen hat. Dass die Gutachter die Nutzung von Ausschlusskriterien für grundsätzlich problemlos halten, sofern diese nicht gezielt eingesetzt werden, um „einen kritischen Diskurs über die Information zu verhindern“, findet er bedenklich.

Staatliche Einrichtungen hätten eine Integrationsfunktion, die sie dadurch wahrnehmen, dass „sie die gesellschaftlichen Gruppen in ihrer Vielfalt in die politischen Mitwirkungsmöglichkeiten aktiv einbinden“. Anders als vom Gutachten behauptet, führe Microtargeting nicht dazu, „mit möglichst wenigen Ressourcen möglichst viele an einer Botschaft interessierte Empfänger zu erreichen“. Es bewirke vielmehr, dass Teile der Bevölkerung selektiv von Informationen über bestimmte Sachverhalte ausgeschlossen werden, so Kruschinski.

Immerhin: Das rheinland-pfälzische Klimaschutzministerium hat sich vorgenommen, in Zukunft keine Personengruppen mehr gezielt davon abzuhalten, ihre Werbung zu sehen. Neben Nutzer:innen aus der Kategorie „politische Linke“ hatte es in der Vergangenheit teils auch solche mit den Interessen „Agrarwirtschaft“ oder „Landwirtschaft-Simulator“ ausgeschlossen. Die Liste der Targeting-Kriterien soll zudem regelmäßig händisch überprüft werden.

Probleme bei der Transparenz

An anderer Stelle bleibt das Ministerium hinter den Empfehlungen des Gutachtens zurück. So etwa beim Thema Transparenz. Die Gutachter regen hier an, dass das Ministerium eine eigene, öffentlich einsehbare Bibliothek mit Informationen zur geschalteten Werbung anlegt, wo auch Sekundärinformationen wie die Zielgruppenkriterien gespeichert werden. Das würde „eine öffentliche Kontrolle des Microtargeting erheblich vereinfachen“.

Das Ministerium aber will weiter nur auf das von Facebook zur Verfügung gestellte Werbearchiv setzen, obwohl man keinen Einfluss darauf habe, was und wie Facebook dort archiviere. Genau aus dem Grund stehen die Werbebibliotheken seit langem heftig in der Kritik.

Offenbar arbeiteten auch die Gutachter lediglich mit dem öffentlichen Facebook-Archiv. In ihrem Text taucht acht Mal die einschränkende Formulierung „soweit nachvollziehbar“ auf. Dabei hätte man ihnen Zugriff auf Facebook-Insight-Daten und damit detaillierten und präzisen Informationen geben können, so Kruschinski. Die empirische Basis des Gutachtens bleibe so „absolut im Dunkeln“.

Abhängig von der Blackbox

Mit diesem Bild des im-Dunkeln-Tappens lässt sich auch umschreiben, wo Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung das Grundproblem von Gutachten und Guidelines ausmacht. Sowohl die Datenanalysen als auch die für die Ausspielung der Werbung verantwortlichen Algorithmen seien Blackboxes. Politische Akteure, die sich der Targeting-Werkzeuge des umstrittenen Konzerns bedienen, hätten weder Einblick in noch Einfluss auf die Funktionsweise.

Wenn eine politische Insitution Ausgrenzung und Biases in ihrer politischen Werbung auf der Plattform vermeiden wolle, müsse sie dies eigentlich zunächst bei sich prüfen, dann jedoch auch aufseiten der Plattform. Genau dieser zweite Schritt sei jedoch nicht möglich. Die Gutachter des Ministeriums geben unterdessen nur zu, dass unklar bleibe, welchen Nutzer:innen Facebook ein bestimmtes Kiterium zuschreibe.

Wie tiefgreifend die Abhängigkeit von den Plattformen ist, bringt Überwachungsforscher Wolfie Christl in einem Aufsatz auf den Punkt: „Auch wenn eine Partei nur rudimentäre Targeting-Kategorien wählt, um etwa schlicht möglichst viele Nutzer:innen in einem Land zu erreichen, nutzt sie die geballte Datenmacht der Plattform in ihrer ganzen Tiefe. Denn die Facebook-Algorithmen sind daraufhin optimiert, auch in diesem Fall unter allen Nutzer:innen im Land diejenigen zu finden, für die die Inhalte „relevant“ sind und die wahrscheinlich reagieren.“

Outsourcing der politischen Verantwortung

Auch Simon Kruschinski sieht hier das Grundproblem: „Die Plattform hat die Macht darüber, wie politische Kommunikation stattfindet und alle müssen sich danach richten.“ Dabei würden Parteien oder Ministerien „ihre kommunikative Macht zur Erfüllung ihrer demokratisch festgeschriebenen Aufgaben“ an Facebook abtreten. Die Plattform entscheide darüber, wer Zugang bekommt, definiere, was wo abgespeichert wird und was als Werbung zulässig ist oder nicht.

Bei Facebooks Datenanalysen würden darüber hinaus auch Werbeauktionen und Datensätze eine Rolle spielen, die sich aus verschiedenen Quellen speisen, über die sich Nutzer:innen nicht bewusst seien, so Kurschinski.

Am Ende sei dies auch Auslagerung der politischen Verantwortung. Die politischen Akteure würden bewusst die Datensammlung, die Analysen und die Durchsetzung der Regeln Facebook überlassen. Bei den eigenen Datensätzen, etwa für den Haustürwahlkampf, halte man sich überwiegend an die gesetzlichen Vorgaben, während man (un)wissentlich in Kauf nehme, dass die Plattform in der rechtlichen Grauzone arbeite.

Hoffen auf die Europäische Union

So bemerkenswert die Schritte des rheinland-pfälzischen Klimaschutzministeriums nach dem Skandal also sind, so wenig lösen sie am Ende die Probleme, die seit Jahren im Zusammenhang mit politischem Microtargeting diskutiert werden. Wer hier auf Fortschritte hofft, sollte den Blick stattdessen nach Brüssel werfen. Denn hier arbeiten die Institutionen der EU derzeit an neuen Regeln für die politische Werbung im Netz.

Die EU-Kommission wolle verbindliche Regeln zur Transparenz aufstellen, die nicht nur für die Werbetreibenden gelten, sondern auch für die, die Werbung ausspielen, erklärt Julian Jaursch. Es brauche etwa Transparenz darüber, wer wie mit wieviel Geld angesprochen wird, sagt die EU.

Bislang allerdings sei der Vorschlag der EU-Kommission „noch ziemlich weich“. Sie will Targeting für politische Werbung zwar unter einen Erlaubnisvorbehalt stellen, Nutzer:innen müssten dann einwilligen. Doch ein Unternehmen wie Facebook könne mit Design-Tricks und Marktmacht im Zweifel immer irgendwie die Einwilligung einholen, so Jaursch. Daher sei das kein starkes Instrument.

Deshalb ist es nun am Parlament, stärker durchzugreifen. Diskutiert werde hier, so Jaursch, die Nutzung sensibler Daten komplett zu verbieten oder einzuschränken. Denkbar sei, dass Werbung dann komplett zufällig ausgespielt wird. Für das Klimaschutzministerium in Rheinland-Pfalz würde das wohl eine Arbeitsersparnis bringen: Es müsste nicht mehr aufwendig überlegen, nach welchen Kriterien es seine Werbezielgruppen zuschneiden will. Die neu eingeführte regelmäßige Überprüfung der Targeting-Kriterien könnte es sich dann schließlich sparen.


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