Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz müssen auch andere Länder und der Bund ihre Geheimdienstgesetze überprüfen. Wir haben bei den zuständigen Ministerien nachgefragt, was sie bereits planen.
Im April hatte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil Teile des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für teilweise verfassungswidrig erklärt. Damit ist klar: Bayern muss die Befugnisse für seinen Landesgeheimdienst überarbeiten.
Viele der beanstandeten Vorschriften ähneln denen in anderen Bundesländern. Daher haben wir bei den restlichen 15 Landesinnenministerien und dem Bundesinnenministerium nachgefragt, ob und welche Änderungen sie wegen des Urteils in ihren eigenen Verfassungsschutzgesetzen planen.
Vorratsdaten, Geräte-Ortung und Online-Durchsuchung
2016 hat Bayern die Befugnisse seines Verfassungsschutzes mit der Novellierung des entsprechenden Gesetzes stark ausgeweitet. Der Landesgeheimdienst durfte unter anderem Vorratsdaten nutzen und Mobilfunkgeräte orten. Außerdem hat er die Erlaubnis zur Online-Durchsuchung mit Staatstrojanern.
Das Gericht kritisierte fehlende Kontrollmechanismen und zu niedrige Einsatzhürden. Außerdem haben die Richter:innen das Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdiensten hervorgehoben. „In der jüngeren Vergangenheit hatten liberale Rechtspolitiker und Wissenschaftlerinnen regelmäßig vor einer Verpolizeilichung der Nachrichtendienste und einer Vernachrichtendienstlichung der Polizei gewarnt, also einer zunehmenden Verwischung der Grenzen“, schreibt Legal Tribune Online dazu.
Das Bundesverfassungsgericht erklärte den Vorratsdatenzugriff als nichtig, bei anderen beanstandeten Regelungen hat Bayern Zeit bis Juli 2023 Zeit nachzubessern. Und obwohl das Urteil grundsätzlich nur für Bayern gilt, sind wahrscheinlich auch Änderungen in anderen Bundesländern nötig. Denn ihre Verfassungsschutzgesetze enthalten ähnliche Passagen. Dies hat auch der bayrische Innenminister Joachim Herrmann nach der Urteilsverkündung betont. „Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern. Denn es gibt nach meiner Kenntnis kein einziges Gesetz, das all diesen Vorgaben, die heute formuliert worden sind, entspricht.“
Ministerien prüfen Änderungsbedarf
Alle 15 Länderministerien sowie das Bundesinnenministerium haben auf unsere Anfrage angegeben, das Urteil zu prüfen und danach gegebenenfalls Änderungen vorzunehmen. Details nannten die meisten Ministerien nicht. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums teilte mit, dass man etwaige Auswirkungen „im Rahmen der im Koalitionsvertrag vorgesehenen Reform des Bundesverfassungsschutzgesetzes berücksichtigen“ wolle. Die Prüfung dazu sei jedoch noch nicht abgeschlossen.
Bremen konnte uns, wie viele andere Bundesländer, auch noch nichts Genaueres zu Änderungen mitteilen. „Die Auswertung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes und ihre Auswirkungen dauern derzeit noch an, der mögliche Novellierungsbedarf der Verfassungsschutzgesetze ist derzeit Gegenstand der Beratung in Bund und Ländern. Bitte haben Sie daher Verständnis, dass wir uns in der Sache noch nicht weiter äußern können“, hieß es aus dem Ministerium.
Das Bundesland Berlin überprüft ebenfalls sein Verfassungsschutzgesetz, geht aber davon aus, dass keine weitreichenden Änderungen vonnöten sind. „So sind bestimmte Maßnahmen wie etwa die Ortung von Mobilfunkendgeräten im Verfassungsschutzgesetz Berlin gar nicht enthalten.“ Für andere würden strengere gesetzliche Voraussetzungen gelten, schreibt der Innensenat. „Etwa bei der Wohnraumüberwachung oder beim Einsatz von verdeckt arbeitenden Personen.“
Ähnlich ist auch die Auffassung des niedersächsischen Innenministeriums. „Grundsätzlich ist festzustellen, dass sich der Änderungsbedarf im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz in Grenzen halten wird, da wir mit Forderungen nach weitreichenderen nachrichtendienstlichen Eingriffsbefugnissen zurückhaltend umgegangen sind.“ Niedersachsen habe etwa „bewusst auf die Wohnraumüberwachung und den Einsatz von Trojanern auf Computern verzichtet.“
NRW, Hessen und Sachsen-Anhalt sehen Änderungsbedarf
Das Innenministerium von Hessen erkennt hingegen einen gewissen Änderungsbedarf in seinem Verfassungsschutzgesetz (HVSG). In manchen Bereichen existierten „Parallelvorschriften im HVSG, die teilweise in der Ausgestaltung von den bayerischen Normen abweichen, aber im Ergebnis ebenfalls in unterschiedlichem Umfang durch die Entscheidung vom 26. April 2022 betroffen sind.“ Diese seien an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen.
NRW bestätigt konkrete Änderungsvorhaben an manchen Artikeln ihres Verfassungsschutzgesetzes, wobei auch hier auf Unterschiede zwischen dem eigenen und dem bayrischen Gesetz hingewiesen wird. „Dennoch zeichnet sich ab, dass auch in NRW Anpassungsbedarfe bestehen, beispielsweise bei der unabhängigen Vorabkontrolle beim Einsatz von V-Leuten und längerfristigen Observationen sowie im Bereich der Übermittlungsvorschriften.“
Sachsen-Anhalt kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. „So betrifft der Änderungsbedarf nach derzeitigem Stand insbesondere Regelungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und Regelungen zur Übermittlung personenbezogener Daten.“ Beide Bundesländer haben bereits einen Zeitplan, wann die Gesetzesänderung in den jeweiligen Landtag eingebracht werden soll: NRW will das bis zum Sommer 2023 schaffen, Sachsen-Anhalt nennt dafür das erste Halbjahr 2023 als Ziel.
Ob Änderungen nötig sind, diskutieren die Länder nicht nur für sich allein. Nach dem Urteil habe eine Arbeitsgruppe der Innenministerien von Bund und Ländern erste Reformvorschläge erarbeitet, berichtet etwa die SZ. Und die sind offenbar weitreichend. Vor allem die Datenweitergabe an andere Behörden müsse wohl eingeschränkt werden, schreibt der WDR.
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