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Linksklick: Der Zweite Weltkrieg ist kein Spielplatz

Es dauert nicht lange, bis mich Sniper Elite 5 zum Staunen bringt: Nicht wegen der Zeitlupen, für die das Spielefranchise berühmt ist und die meine Kopfschüsse in Szene setzen, kurz nachdem eine Kugel mein Scharfschützengewehr verlassen hat. Auch nicht wegen der beeindruckend großen Level, in denen ich inmitten des Zweiten Weltkriegs den Nazis möglichst unentdeckt das Leben zur Hölle machen soll. Nein, ich staune wegen einer Kleinigkeit: ein Poster, aufgehängt im Büro eines fiktiven Nazi-Generals.

Das Poster zeigt eine Krake, die eine stilisierte Hakenkreuz-Weltkugel mit ihren Tentakeln umschlungen hat und mir böse entgegenfunkelt. Das Spiel erklärt mir, dass ich hier das Logo des bösen Geheimplans vor Augen habe, mit dem die Nazis den Zweiten Weltkrieg gewinnen wollen: Operation Kraken. Was das Spiel mir nicht sagt: Es zitiert mit diesem Logo eine antisemitische NS-Karikatur aus den 1930er Jahren, die zu den meistgezeigten Propaganda-Bildern des Dritten Reichs gehört.

Was ist hier los?

Kreative Freiheit schlägt historische Recherche

Eine Krake auf einer Weltkugel. Damit sollte die angebliche „Weltverschwörung der Juden“ symbolisiert werden, die die gesamte Welt fest in ihrem Griff habe. Die bildsprachlichen Parallelen zu Sniper Elite 5 sind offensichtlich. Das Spiel verwendet die Vorlage nun aber im genau gegenteiligen Kontext: als pro-nationalsozialistisches Logo statt als hetzerische Karikatur.

Das Kraken-Poster könnte eine „ironisch-politische Stellungnahme des Spiels” sein, “die auf die absurde Rhetorik des NS-Regimes verweist“ – so deutet es die Kulturwissenschaftlerin Tabea Widmann, der ich das Bild im Spiel zeige: „Denn während man eine jüdische Weltverschwörung propagierte, waren es die faschistischen Regime, die tatsächliche Dominanz anstrebten.“ Sniper Elite 5 also, ein eigentlich sehr plattes, geradliniges Action-Spiel mit politischem Kommentar zwischen den Zeilen?

Leider nein, im Gegenteil.

Ich frage beim Entwicklerteam nach, was es mit dem Poster auf sich hat. Per Mail bekomme ich Antwort: „Das Logo von Operation Kraken ist komplett frei erfunden und entstand ohne historische Recherche.“ Das schreibt mir Saija Wintersun, hauptverantwortlich für das Design der Spielwelt. „Ich hatte nur den Namen ‚Kraken‘ und dass es irgendwas mit U-Booten zu tun haben soll. Ziemlich vage, aber erlaubte mir viel kreativen Spielraum.“

Die frappierende Ähnlichkeit zum NS-Original ist also wohl nur ein Zufall, eine unglückliche Überschneidung mit der Realgeschichte, die allerdings niemandem aus dem Entwicklerteam aufgefallen ist, geschweige denn geprüft wurde. Autsch.

Diese Nachlässigkeit, dieses Desinteresse an der Geschichte, die man sich selbst zum Schauplatz für das eigene Spiel wählt, ist kein Einzelfall. Vielmehr liegt Sniper Elite 5 damit voll im Trend. Und es ist ein Trend mit weitreichenden Konsequenzen für unsere Erinnerungskultur.

Zweiter Weltwer?

Seit den kommerziellen Anfangsjahren des Mediums in den 1980er Jahren wählen EntwicklerInnen gerne historische Kapitel der Menschheitsgeschichte als Rahmen ihrer Spiele. Die sogenannten „History Games“, also Spiele mit klar erkennbar historischem Schauplatz, sind damals wie heute beliebt: Einige der erfolgreichsten Franchises überhaupt spielen in der Antike, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit. Kaum ein Schauplatz aber schlägt die Popularität des Zweiten Weltkriegs: Neben vielen Ablegern der größten Shooter-Franchises, Call of Duty und Battlefield, machen jedes Jahr dutzende mittelgroße und kleine Entwicklerteams die Schlachtfelder der Normandie und Co. zum digitalen Spielplatz – und das quer über alle Genres hinweg.

Während jahrzehntelang die Popularität des Zweiten Weltkriegs unverändert hoch geblieben ist, beginnt sich in den letzten Jahren im Detail etwas bei diesen Spielen zu verändern. Ein schleichender Prozess, der mehr Aufmerksamkeit verlangt: Der Zweite Weltkrieg wird mehr und mehr entpolitisiert. Gleichzeitig nimmt kaum eines der teils riesigen Entwicklerteams historische Recherche ernst – trotz der vielen sensiblen „Hot Topics“ und der immer weiter wachsenden Zielgruppe.

Wer im Mehrspielermodus des ersten Call of Duty (2010) als Nazi-Soldat spielte, war im Team der „Achsenmächte“, das gegen die „Alliierten“ kämpft. Call of Duty: Vanguard (2021) unterscheidet hingegen nur noch zwischen „Mein Team“ und „gegnerisches Team“.

Im sich als ultrarealistisch rühmenden Shooter „Hell Let Loose“ schallt beim Sieg der Nazis nach einer Mehrspielerpartie das volkstümliche Lied „Erika“ durch die Lautsprecher, ursprünglich ein Marschlied der Wehrmacht.

Im Strategiespiel Hearts of Iron (2016) können SpielerInnen als Nazi-Deutschland um den Weltkriegssieg ringen. Das Spiel simuliert viele historische Details, Konzentrationslager und andere Kriegsverbrechen werden jedoch ausgeblendet.

In Battlefield V (2018) durften Spieler als fiktiver Nazi-General Wilhelm Franke in die Schlacht ziehen, der im Ingame-Shop für ein paar Euro zum Verkauf stand. Nur: Wilhelm Franke hieß auch ein antifaschistischer Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg, der tatsächlich existiert hat. Ein heikles Fettnäpfchen, welches das Entwicklerteam mit einer zehnsekündigen Google-Kontrolle hätte vermeiden können. Und in Sniper Elite 5 stolpern wir nun also über ein Poster, dessen Ähnlichkeit zu antisemitischer NS-Propaganda niemandem aufgefallen ist.

Die Kulturwissenschaftlerin Tabea Widmann nennt diesen Trend „eine problematische Dekontextualisierung von Erinnerungsnarrativen und Symbolen“. Anders gesagt: Historische Symbole und die Ästhetik, die fest mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Zeitzeugen verbunden sind, werden in Spielen zwar zitiert – aber ohne ihren ursprünglichen Kontext oder sogar befreit von jeglichem historischen Ballast.

Es war nie einfacher, im digitalen Spiel ins Nazi-Kostüm zu schlüpfen. Und, absurderweise, war es auch noch nie so „cool“ wie heute: Nazis tragen die hübschen Uniformen und die gefährlich aussehenden Gesichtsmasken, sie haben kernig-deutsche Namen und spielen kernig-deutsche Musik, die in Teilen des Internets als Memes längst salonfähig gemacht wurde.

Und nun?

Wo Kunstfreiheit endet und Verantwortung beginnt

Natürlich ist klar: EntwicklerInnen sind auch KünstlerInnen und können mit dem Medium erst einmal machen, was sie wollen. Darin liegt ein großer Wert: Videospiele können als interaktives Kunstmedium neue Akzente setzen, wo die alten Medien – Bücher, Filme, Bilder – an die Grenzen ihrer Darstellungskraft gelangen.

Das ist schön und gut. Und doch kann auch Kunst einen Punkt erreichen, an dem sie Verantwortung übernehmen muss: Für die Themen, die sie sich erwählt, und vor allem auch für die Art und Weise, wie sie mit diesen Themen umgeht. Ansonsten verdient sie Kritik, die im deutschsprachigen Fachjournalismus allerdings seit Jahren schlichtweg fehlt. Die Folge: Möglicherweise die Desensibilisierung von SpielerInnen für das, was der Nationalsozialismus und die Wehrmacht tatsächlich einmal gewesen sind: Kein Meme-Hans mit Flammenwerfer und Designer-Uniform, sondern Kriegsverbrecher, Rassisten und Mörder.

Und gerade im Kontext der Geschichtsvermittlung wird eben dieses Potenzial des digitalen Spiels immer mehr erkannt: Im international organisierten „Arbeitskreis für Geschichtswissenschaft und digitale Spiele“ forschen HistorikerInnen und KulturwissenschaftlerInnen seit Jahren zum Potenzial von Games, mehr als „nur“ Spaß zu machen. An der Ludwig-Maximilian-Universität in München analysieren Studierende der Archäologie, wie Videospiele antike Gebäude rekonstruieren. Und Through The Darkest Of Times, ein Spiel über den zivilen Widerstand in Nazi-Deutschland, wurde in Geschichtsstunden ergänzend zum klassischen Lehrbuch besprochen und diskutiert.

Die Feldgrau-Uniform darf nicht zur weißen Weste werden

Auch der (Spiele-)Journalismus trägt hier eine Verantwortung. Er muss einordnen, was uns Spiele zeigen und den Kontext wiederherstellen, den Entwicklerteams – aus welchem Grund auch immer – unterschlagen oder übersehen. Das ist kein Appell für einen erhobenen journalistischen Zeigefinger, sondern ein Wunsch für mehr Tiefe und Sinn bei der Besprechung von Spielen.

Der Zweite Weltkrieg ist kein Spielplatz – sehr wohl aber ein Platz für Spiele. Titel wie Through the Darkest of Time oder My Memory Of Us zeigen, wie ein reflektierter Umgang mit diesem historischen Kapitel aussehen kann. Natürlich hat auch ein Sniper Elite oder Call of Duty seinen Platz im Weltkrieg-Spielregal verdient, doch muss dann eine Frage erlaubt sein: Nur weil sich Spiele als Kunstmedium an keine Grenzen halten müssen – gibt es nicht doch Grenzen, die es wert sind, respektiert zu werden?


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