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Degitalisierung: Was von Digitalisierungsversuchen übrig blieb

„Was machst du eigentlich beruflich?“

„Ich arbeite an der Digitalisierung des öffentlichen Gesundheitswesens.“

„Oh, Fuck.“

Diese Reaktion bekomme ich durchaus häufiger, wenn ich Menschen privat erzähle, was ich beruflich mache. Digitalisierung und öffentliches Gesundheitswesen, das ist doch das mit den Faxgeräten. Und den endlosen Witzen dazu. Glaubt mir: Ich kenne die Faxwitze inzwischen alle.

Eigentlich ist dieser traurig-komische Zustand der Digitalisierung aber die ideale Ausgangslage für eine Kolumne. Dafür, meine rein private Meinung niederzuschreiben, was so mit der Digitalisierung in der Verwaltung „geht“. Oder eben auch nicht.

Um die Ausgangslage noch spannender zu machen, muss ich vorwegschicken, dass ich sogar in einem Grenzgebiet arbeite: Verwaltung und Gesundheitswesen. Das sind jetzt beides nicht unbedingt die Felder, deren Stand der Digitalisierung in Deutschland als gemeinhin besonders gut bewertet werden würde.

Inzwischen überrascht mich die gemischte Reaktion aus teils Bewunderung, teils Erschrecken auf meinen Job gar nicht mehr. Sie ist durchaus nachvollziehbar. Vieles steht – gelinde gesagt – nicht gut im Digitalen in der Verwaltung und im Gesundheitswesen. Wahrscheinlich ist es einfacher, nur die Anwendungen aufzuzählen, die wirklich funktionieren und den Rest zu verschweigen. Aber selbst das ist in der Betrachtung des Gesamtsystems nicht einfach.

Probleme schaffen statt lösen

Der Witz am oftmals desolaten Zustand der Digitalisierung in Verwaltung und Gesundheitswesen ist eigentlich: Vieles davon ist – in Theorie – „digitalisiert“.

An vielen Stellen sind wir längst hinaus über das Stadium von Akten, die hin und her geschoben werden, oder endloser Faxe, die sich wegen Corona-Fällen ansammeln. Für viele Aufgaben gibt es keine Aktenschränke oder Papierfaxe mehr, sondern unzählige Fachwendungen und unterschiedliche elektronische Kommunikationswege. Zettelwirtschaft war mal.

Aber irgendwie reichen diese Digitalisierungsversuche an vielen Stellen nicht. In Konsequenz erreichen sie oftmals sogar das Gegenteil. Das Problem wird nicht gelöst, sondern es werden zusätzlich neue digitale Probleme erzeugt.

Statt zu Digitalisierung kommt es zu Degitalisierung: dem Gegenteil dessen, was Digitalisierung erreichen könnte.

Hätte, hätte, Meldekette

Beispiele für Degitalisierung gefällig? Es sind leider ein paar viele, die mir in den Sinn kommen.

Wenn ich Menschen erzähle, dass ich in einem Gesundheitsamt arbeite, entsteht oft der Eindruck, das „mit der Datenlage“ funktioniere ja deswegen nicht, weil jeder einzelne Datensatz per Hand ins Fax gelegt wird.

Die Realität ist leider, dass diese Daten größtenteils schon digital ausgetauscht werden, seien es Labormeldungen, Intensivbelegungen oder Hospitalisierungen. Nur war und ist die Vernetzung und Automatisierung dieser Daten ein großes Problem.

Allein an der sogenannten Meldekette für Coronafälle, also dem digitalen Bürokratie-Akt, an dessen Ende beim Robert-Koch-Institut Werte für die 7-Tage-Inzidenz rauskommen, sind drei verschiedene digitale Systeme beteiligt: eins für Labormeldungen, eine Fachanwendung für das Amt und eine Meldesoftware namens SurvNet. Drei ganz unterschiedliche Systeme, was Stand der Technik, Alter und Möglichkeiten zur Automatisierung angeht.

Alles digital. Aber zwischen diesen drei Systemen braucht es viel händische Arbeit, um Meldungen und Daten zu sortieren und händisch, wenn auch digital, weiterzuleiten. Ein eigentlich vollständig in digitalen Systemen stattfindender Prozess zwar, aus dem am Ende aber trotz viel Personalaufwand kein digitales Echtzeitlagebild rauskommt. Auch nach mehr als zwei Jahren Pandemie nicht.

Das Wort Meldeverzögerung musste ich in dem Kontext als digital denkende Person erst noch lernen und verstehen.

Die Folge? Am Wochenende gibt es aktuell keine Zahlen mehr vom RKI – trotz einiger Labore, die auch am Wochenende testen. „Da am Wochenende nur noch wenige Gesundheitsämter und Landesbehörden Daten an das RKI übermitteln, werden keine Daten am RKI eingelesen, sodass es bei den absoluten Fallzahlen keine Veränderung zum Vortag gibt.“ So steht es jetzt sonntags auf dem Corona-Dashboard des RKI.

Meldekette erfolgreich degitalisiert – trotz vieler digitaler Systeme keine Vernetzung und Automatisierung.

Glücksritter auf Deutschlandtour

Zur vermeintlichen Ehrenrettung des Zustands der Digitalisierung machen sich in digital unerschlossenen Regionen wie Verwaltung und Gesundheitswesen immer wieder Glücksritter in Form von Start-ups auf.

Nur muss das nicht immer gut sein, wie das unrühmliche Beispiel der Luca-App gezeigt hat. Zettelwirtschaft nach Aussage des Herstellers abgeschafft, App für viel Geld an 13 Bundesländer verkauft.

Am Ende war die Wirkung zur Eindämmung der Pandemie eher gering. Wie auch? Die unstrukturierten Check-in-Daten, die Luca Gesundheitsämtern digital zur Verfügung stellte, sind nur ein kleiner Teil dessen, was zum Brechen von Infektionsketten notwendig ist. Von den diversen Problemen und Problemchen in der Umsetzung ganz zu schweigen.

Und jetzt wird aus dieser Luca-App eben eine Gastro-App mit üppiger staatlicher Gründungshilfe.

Kontaktnachverfolgung erfolgreich degitalisiert – trotz umfangreicher Datenverarbeitung keine Lösung des eigentlichen Problems.

Sichere Netze mit wackeliger Hardware

Kommen wir zur Digitalisierung des Gesundheitswesens, Spotlight nun auf ärztliche Praxen und Krankenhäuser. Eine Vernetzungsdauerbaustelle. Stichwort Telematikinfrastruktur. Irgendwie schon digital, vernetzt auch, aber flüssig läuft das nicht.

„Dieses ganze Zeug gehört schlichtweg auf den Elektro-Schrott. Digitalisierung: Ja! Aber dann richtig gemacht. Mein guter Wille ist aufgebraucht.“ Dieses Zitat stammt von Marc Hanefeld, einem Hausarzt, der alltäglich mit der Degitalisierung des Gesundheitswesens zu kämpfen hat. Nun ja, leider wird er wohl noch eine weitere Generation von Routern zur Telematikinfrastruktur, sogenannte Konnektoren, brauchen. Die laufen nämlich im Herbst aus und müssen ersetzt werden. So wirklich Lust auf die Telematikinfrastruktur haben viele Ärzt*innen gerade nicht.

Digitales Gesundheitswesen erfolgreich degitalisiert – trotz viel Hardware und scheinbar sicherer Vernetzung.

Desillusioniertes digitales Ehrenamt

Degitalisierung muss aber nicht nur im digitalen Raum stattfinden. Es gibt auch Fälle von Degitalisierung in der physikalischen Welt. Manchen Verwaltungen gelingt das Kunststück, durch eigenes Handeln aktiv zur Degitalisierung beizutragen, wie gerade das Beispiel des Verschwörhauses in Ulm zeigt.

Aus einem eigentlich erfolgreichen Ort zum Austausch von digitaler Zivilgesellschaft mit Verwaltung wird von heute auf morgen genau das Gegenteil. Menschen, die sich für die digitale Transformation der Verwaltung, für Open Data und eine neue Zusammenarbeit zwischen Staat und Zivilgesellschaft engagieren, stehen plötzlich vor verschlossenen Türen – im wahrsten Sinne des Wortes.

Digitales Ehrenamt erfolgreich degitalisiert und desillusioniert – trotz bester Ausgangslage keine weitere Kooperation möglich.

Einfach wird das nicht

An all diesen Beispielen zeigt sich, wie viel in eine Form von Digitalisierung jeweils investiert wurde, sei es Budget oder Arbeitsaufwand oder Herzblut. Das Resultat war aber keine Verbesserung, sondern leider eine Degitalisierung.

Dabei bin ich immer noch überzeugt, dass das funktionieren kann. Das mit der echten Digitalisierung. Auch in Verwaltung und Gesundheitswesen. Wenn wir uns nicht in Strukturen verheddern und stattdessen Leute zusammenbringen, die nach wie vor Bock auf das Lösen von Problemen mit digitalen Hilfsmitteln haben. Einfach wird das nicht, das mit der guten Digitalisierung. Dranbleiben müssen wir aber trotzdem.

Wie das mit der Digitalisierung gut gehen kann, davon lest ihr an dieser Stelle bald mehr. Also hoffentlich.

Stay safe.


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