Mittlerweile sollte allen klar sein: Wer Hass und Hetze im Internet verbreitet, macht sich womöglich strafbar. Allein bei deutschen Polizeien scheint die Botschaft nicht ganz angekommen zu sein. Das ZDF Magazin Royale hatte dazu ein Experiment durchgeführt und in allen 16 Bundesländern Anzeige wegen mutmaßlich strafbarer Inhalte im Netz gestellt. Nur von elf der 16 Behörden kam die Rückmeldung, dass Ermittlungen eingeleitet wurden. In drei Ländern wurden die Anzeigen laut dem Satiremagazin gar nicht erst aufgenommen.
Anonymität oft nicht erwünscht
Die Ergebnisse des Experiments zeigen vielerorts mangelndes Problembewusstsein für Hassrede im Internet. In Sachsen-Anhalt etwa verweigerte ein Polizist die Aufnahme einer Anzeige und fragte, ob die anzeigende Person „keine anderen Sorgen“ habe. Stattdessen solle sie die Inhalte bei den jeweiligen sozialen Netzen melden. In Bremen wiederum ließ sich keine Anzeige erstatten, da das Computersystem ausgefallen war. Erst nach einer Nachfrage zwei Monate später wurden offenbar Ermittlungen aufgenommen.
Auch das Aufgeben anonymer Anzeigen war laut dem Magazin oft nicht möglich. In Brandenburg etwa sei die Beamtin in der Polizeiwache schockiert gewesen über den Inhalt der Hasspostings, hätte aber keine anonyme Anzeige aufnehmen wollen. Auch in Schleswig-Holstein blieb laut Böhmermanns Sendung der Wunsch nach anonymer Anzeige unerfüllt. Der dortige Polizist habe behauptet, die Adresse könne man sich „eh vom Einwohnermeldeamt geben“ lassen. Mittlerweile wird in mehreren Ländern wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt.
Redakteur:innen des ZDF Magazin Royale hatten in allen Bundesländern mutmaßlich strafrechtlich strafbare Inhalte der jeweiligen Landespolizei vorgelegt und versucht, diese zur Anzeige zu bringen. Die Personen zeigten den Behörden Screenshots, etwa von Hakenkreuzbildern, Morddrohungen oder antisemitischen Inhalten in sozialen Netzwerken. Der weitere Verlauf wurde anschließend dokumentiert. Bislang scheinen nahezu alle Fälle eingestellt oder versandet zu sein, in lediglich einem Fall kam es zu einer Verurteilung des Täters.
Faeser: „Noch mehr Aufklärung“
Die Reaktionen aus Politik und Gesellschaft auf die Mängel in der Strafverfolgung ließen nicht lange auf sich warten. So kommentierte Irene Mihalic, grüne Bundestagsabgeordnete und parlamentarische Geschäftsführerin ihrer Fraktion: „Wenn wir bei der Strafverfolgung in der analogen Welt die gleichen Zustände hätten wie im Netz, müssten Innenminister reihenweise zurücktreten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser sagte der ARD, sie habe die Recherche „mit großem Interesse gesehen“. Ermittlungsbehörden vor Ort müssten „geschult werden“. Dafür will die SPD-Politikerin „noch mehr Aufklärung“.
Personen des öffentlichen Lebens teilten vielfach die Erfahrungen, die in dem Experiment geschildert wurden. Der Comedian Shahak Shapira etwa habe angesichts von Morddrohungen gegen seine Mutter von einer Staatsanwältin den Rat bekommen, sich nicht „so prominent in den Medien“ zu äußern. Der Satiriker positioniert sich im Netz offen gegen Rechtsextremismus.
Expert:innen kritisieren immer wieder mangelnde Aufklärung über digitale Hassrede und Gewalt und gehen von einem weiteren Anstieg der Fälle aus. Sie fordern unter anderem eine funktionierende Strafverfolgung. Immer wieder führt Hass im Netz zu realer Gewalt, etwa im Fall Walter Lübcke. Der Kasseler Regierungspräsident wurde massiv im Internet angefeindet und 2019 von einem Rechtsextremen ermordet. Besonders von digitalem Hass betroffen sind laut Studien Migrant:innen und Politiker:innen.
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