Ticker

6/recent/ticker-posts

Ad Code

Responsive Advertisement

Grooming: Mit der Chatkontrolle droht die Alterskontrolle

Ein Personalausweis in einer Chat-Sprechblase mit drei Punkten
Kein Chat mehr ohne Ausweiskontrolle? Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Chatblase: Volodymyr Hryshchenko

Die EU-Kommission hat vergangene Woche einen Gesetzesvorschlag vorgestellt, mit dem sie gegen Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und Grooming vorgehen will. Daraufhin gab es viele Reaktionen: Menschen gingen auf die Straße, starteten eine Petition, Politiker:innen und Verbände lehnten den Vorstoß empört ab. Im Fokus der Sorge: Der Vorschlag könnte eine sogenannte Chatkontrolle bringen. Das heißt, Anbieter müssten auch private Nachrichten durchleuchten. Eine solche massenhafte Überwachung würde vertrauliche Kommunikation im Netz schwächen.

Doch der Vorschlag der Kommission könnte noch andere Folgen haben: Er würde Anbieter dazu verpflichten, verstärkt Alterskontrollen einzuführen. Je nachdem, wie genau Anbieter diese Kontrollen gestalten, könnten Nutzer:innen Dienste dann nicht mehr nutzen, ohne sich zu identifizieren.

Dem EU-Entwurf zufolge sollen Anbieter künftig Einschätzungen vorlegen. Darin sollen sie das Risiko für die „Nutzung des Dienstes zum Zwecke des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Internet“ beschrieben – etwa, ob der Dienst bereits für sexualisierte Gewalt genutzt wurde oder ob Erwachsene auf dem Dienst direkt mit Kindern in Kontakt treten können. Diese Einschätzung spielt eine Rolle dabei, ob Anbieter eine sogenannte Chatkontrolle durchführen müssen. In diesem Fall würden sie eine Anordnung erhalten, um Technologien zur Erkennung sexualisierter Gewalt gegen Minderjährige einzusetzen.

Anreiz für vorauseilende Maßnahmen

Um das Risiko einer Anordnung zur Chatkontrolle zu verringern, können Anbieter ergriffene Gegenmaßnahmen vorzeigen. Als ein Beispiel dafür nennt der Entwurf der EU-Kommission ausdrücklich „Funktionen zur Altersüberprüfung“. Daraus lässt sich ein klarer Anreiz ablesen: Je mehr Gegenmaßnahmen ein Anbieter ergreift, desto eher bleibt er womöglich von behördlichen Anordnungen verschont.

Besonders in die Pflicht nimmt die EU-Kommission Chatdienste, mit denen Nutzer:innen auch Kontakte zu Kindern anbahnen können – sogenanntes Cybergrooming. Das könnte viele Anbieter betreffen, bei denen Erwachsene mit Kindern kommunizieren können. Betroffene Anbieter wären verpflichtet, Maßnahmen „zur Altersverifizierung und -bewertung“ zu ergreifen. Damit sollen sie minderjährige Nutzer:innen identifizieren und Anbahnungsversuche verhindern. Und verhindern, dass sich Erwachsene als Kinder ausgeben.

Welche Maßnahmen das genau sind, beschreibt der Entwurf nicht. Eine Möglichkeit wäre, das Alter von Nutzer:innen zu bestimmen, und Chats zwischen Erwachsenen und Kindern schlicht zu unterbinden. Anbieter könnten auch die Accounts von Kindern schwerer auffindbar machen oder verhindern, dass man ihnen Bilder und andere Medien schicken kann. Denkbar wäre auch, dass Eltern bestätigen müssen, mit welchen Erwachsenen-Accounts ein Kind kommunizieren darf.

Kurzer Weg von Alterskontrolle zur Ausweiskontrolle

Bereits heute erschweren manche Anbieter das Anchatten von Kindern. Das Videoportal TikTok etwa hatte nach politischem Druck eine Reihe von Schutzmaßnahmen eingeführt. Profile von 13- bis 15-Jährigen werden auf dem Dienst etwa automatisch auf „privat“ gestellt, der Versand von Direktnachrichten an junge Nutzende ist standardmäßig deaktiviert. Das eigene Alter können Nutzer:innen beim Anlegen eines Accounts jedoch selbst wählen – möglich also, dass sie dabei nicht die Wahrheit sagen.

Eine strengere Alterskontrolle könnte dazu führen, dass sich Online-Dienste nicht mehr ohnes vorheriges Ausweisen nutzen lassen. Häufig gehen Alterskontrollen mit einer Identifikation der Nutzer:innen einher. Eine schlichte Checkbox mit der Auswahl „Ja, ich bin über 18“ dürfte für die EU-Kommission kaum ausreichen.

Einer der datenschutzfreundlichsten Vorschläge ist dabei noch die Alterskontrolle mit dem elektronischem Personalausweis. Die offizielle Ausweis-App soll es möglich machen, dass nur die Information übertragen wird, ob eine Person volljährig ist – ohne sonstige Daten wie Namen oder Adresse zu offenbaren. Es gibt aber auch deutlich weniger datensparsame Methoden: Etwa, dass Nutzer:innen für eine Alterskontrolle ihre Webcam einschalten und dann Gesicht und Ausweis vorzeigen.

Schärfere Alterskontrollen zum Schutz von Minderjährigen könnten dazu führen, dass Millionen Nutzer:innen sensible Daten preisgeben müssen. Hacks und Leaks der Vergangenheit zeigen, dass solche Daten immer wieder trotz Schutzmaßnahmen an die Öffentlichkeit gelangen und von Kriminellen missbraucht werden können.

Unklare Lage für datensparsame Appstores

Alterskontrollen könnten nicht nur auf die Anbieter von Chatdiensten zukommen. Geht es nach der EU-Kommission, setzen die Regulierungen noch einen Schritt vorher an. Auch die Anbieter von Appstores nimmt der Entwurf in die Pflicht. Sie sollen verlässlich das Alter der Nutzer:innen einschätzen und überprüfen. Damit sollen sie verhindern, dass Kinder Zugang zu Software bekommen, bei denen das Risiko von Grooming besteht.

Das könnte zunächst dazu führen, dass Kinder als riskant eingestufte Chatapps nicht mehr installieren können. Aber auch alternative, datensparsame Appstores könnte das in Bedrängnis bringen, etwa F-Droid. Das ist ein Marktplatz für quelloffene Android-Apps, für den Nutzer:innen keinen Google-Account oder eine sonstige Registrierung benötigen.

Um solche und weitere Fragen wird es wohl in den kommenden EU-Verhandlungen mit Rat und Parlament gehen. Auch wenn es bereits in der Ampel scharfe Kritik am EU-Vorstoß gibt, ist der Ausgang der Verhandlungen offen.


Hilf mit! Mit Deiner finanziellen Hilfe unterstützt Du unabhängigen Journalismus.

Enregistrer un commentaire

0 Commentaires