Es sind Bilder, die um die Welt gehen. Erschossene Zivilist:innen auf der Straße, in Massengräbern verscharrt. Nach dem Rückzug russischer Truppen aus Teilen der Ukraine zeigen sich in Butscha nun Gräueltaten, die die russischen Besatzer in den vergangenen Wochen verübt haben.
Ganz anders der Blick aus Russland: In der Bildersuche der größten russischen Suchmaschine, Yandex, sieht das nördlich von Kiew liegende Butscha aus wie eine idyllische Bilderbuchstadt. Erst die Suche nach dem deutschen oder englischen Namen des Vororts offenbart dessen Verwüstung. Für andere Orte, etwa das nahegelegene Irpin, muss man schon zu Google oder DuckDuckGo wechseln um zu erahnen, dass auch dort wohl Kriegsverbrechen von russischen Truppen begangen wurden.
Seit dem Beginn seines Angriffskriegs verfolgt der Kreml eine aggressive Informationspolitik. Der Krieg wird als „militärische Spezialoperation“ verkauft, wer sich nicht an diese Sprachregelung hält, muss mit Gefängnis rechnen. Unabhängige Medien wurden geschlossen, Online-Dienste wie Facebook als „extremistische Organisationen“ gesperrt, während staatliche Nachrichtenagenturen oder Regierungs-Accounts in sozialen Netzen die übliche Propaganda verteilen.
Kaum Krieg auf dem Nachrichtenportal
Yandex, das größte IT-Unternehmen Russlands, spielt offensichtlich mit. Die russisch-sprachige Startseite der Suchmaschine, aus Deutschland aufgerufen, birgt kaum Hinweise darauf, dass sich das Land im Krieg befindet. Einen Klick weiter stellt das zugehörige Nachrichtenportal eher positive Meldungen in den Vordergrund: „Rosgvardia-Spezialeinheiten liquidierten Saboteure und ein Lager mit Munition in der Nähe von Kiew“, heißt es dort etwa. Oder: „Putin unterzeichnete ein Dekret über Visa-Vergeltungsmaßnahmen aufgrund der Aktionen unfreundlicher Staaten“.
Offiziell ist Yandex in den Niederlanden angesiedelt, bedient aber fast ausschließlich den russischen Markt. Dort dominiert das Unternehmen weite Teile des Tech-Sektors. Wie Golem berichtet, gilt es nicht nur als das russische Google, sondern auch als russisches Amazon, Spotify und Uber. Eine internationale Expansion dürfte jedoch vorerst auf Eis liegen: Der Handel mit Yandex-Aktien an der US-Börse Nasdaq wurde Ende Februar eingestellt, bisherige Geschäftspartner wie Uber oder Grubhub sind inzwischen abgesprungen.
Führungsspitze tritt zurück
Sanktioniert wurde das Unternehmen bislang nicht, der Yandex-Exekutivdirektor Tigran Khudaverdyan allerdings schon. Mitte März setzte die EU-Kommission den stellvertretenden CEO auf eine Sanktionsliste, als direkte Reaktion auf die Vorwürfe des ehemaligen Leiters der Nachrichtendivision bei Yandex, Lev Gershenzon: „Heute ist der sechste Tag, an dem auf der Startseite von Yandex mindestens 30 Millionen russische Benutzer sehen, dass es keinen Krieg gibt, dass es nicht tausende tote russische Soldaten gibt, dass es nicht dutzende bei russischen Bombardements getötete Zivilist:innen gibt“, schrieb Gershenzon kurz nach Kriegsbeginn auf Facebook.
Yandex sei ein Schlüsselelement beim Verbergen von Informationen über den Krieg in der Ukraine, schrieb Gershenzon. Jeder Tag und jede Stunde solcher „Nachrichten“ würde Menschenleben kosten. Wer dabei mitmache, so Gershenzon, würde sich mitschuldig machen, ein Rücktritt sei das mindeste. Zunächst verteidigte sich Khudaverdyan noch und verwies darauf, dass Russ:innen auf die Online-Dienste angewiesen wären wie auf Strom und Wasser, berichtet die russische Nachrichtenseite RTVI.
Mittlerweile hat sich Khudaverdyan jedoch von seinen Führungposten zurückgezogen, über die genauen Gründe ist nichts bekannt. Die Yandex-Chefin Elena Bunina trat ebenfalls vorzeitig zurück, hier reichte es nicht einmal für eine Pressemitteilung. Andere hielten sich weniger bedeckt: So verließ etwa die ehemalige Journalistin Tonia Samsonova Yandex unter Protest – und floh ins Ausland.
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