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Digitale-Dienste-Gesetz: Der EU droht die Kraftprobe mit Elon Musks Twitter

Elon Musk kauft Twitter
Schon immer ein fleißiger Zwitscherer: Milliardär Elon Musk – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Revierfoto

Im Abstand von nur ein paar Tagen folgten jüngst zwei Ereignisse aufeinander, die große Auswirkungen auf die Zukunft des Internets haben könnten: Am Freitag einigte sich die Europäische Union auf das Digitale-Dienste-Gesetz, das unter anderem Social-Media-Firmen strenger regulieren soll. Und am Montag übernahm der Milliardär Elon Musk handstreichartig Twitter, das soziale Netzwerk.

Bei beiden Fällen geht es im Kern um die Frage, wie soziale Netzwerke Inhalte moderieren und dabei die Rechte von Nutzer:innen wahren. Was die EU beschlossen hat, dürfte für die Zukunft von Twitter unter Musk eine große Rolle spielen: Denn die neuen EU-Regeln beschränken den Spielraum für große Kurswechsel bei Twitter. Das bekräftigt auch die EU-Kommission. Twitter müsse sich „vollständig an die europäischen Regeln anpassen“, betonte EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton in Brüssel. In Europa gelte eine „neuer Realität“, der sich auch Musk unterordnen müsse.

Musk möchte Twitter zur Plattform für möglichst uneingeschränkte freie Meinungsäußerung machen. Menschen müssten sich innerhalb der Grenzen des Gesetzes frei äußern können, sagte der Tesla-Gründer vor der Übernahme – also soll alles in dem sozialen Netzwerk erlaubt sein, das nicht explizit verboten ist. Angelehnt an die libertäre Ideologie des Silicon Valley fordert Musk, Twitter müsse eine „inklusive Arena der freien Meinungsäußerung sein“.

Was das bedeuten kann, zeigt ein Blick auf jene, die in den vergangenen Jahren von Twitter verbannt wurden: Allen voran Donald Trump, aber auch US-Rechte wie Milo Yiannopoulos, der 2016 wegen rassistischer Äußerungen lebenslang gesperrt wurde. Musks Erklärungen lassen daher fürchten, dass die Plattform bald von rechten Trollen überschwemmt wird, die die Grenzen dieser „freien Meinungsäußerung“ aufs Äußerste ausreizen.

Als persönliche Motivation dürfte für Musk eine Rolle spielen, dass der Milliardär selbst immer wieder Ärger wegen unbedachter Äußerungen auf Twitter hatte. Etwa, als Musk mit der Ankündigung, Tesla von der Börse zu nehmen, die US-Finanzaufsicht auf den Plan rief. Oder als er einen britischen Taucher als „pedo guy“ beschimpfte und damit eine Verleumdungsklage erntete.

Musks Forderungen nach maximaler Meinungsfreiheit sorgen für Stirnrunzeln bei Wissenschaftlerinnen und Experten: Denn viele Dinge, die bei den großen Plattformen klar unerwünscht sind, etwa Spam oder die Propaganda autoritärer Staaten, sind nicht illegal. Selbst rassistische Äußerungen sind oft nicht illegal. Über das vergangene Jahrzehnt haben die großen Social-Media-Dienste deshalb ihre Community Guidelines immer weiter ausdifferenziert und zehntausende Menschen angeheuert, um Inhalte zu moderieren. Dass die Regeln für alle gelten, musste selbst Donald Trump erfahren, als sein Konto nach dem Sturm auf das US-Kapitol im Januar 2021 gesperrt wurde. Will Musk also das Rad der Zeit zurückdrehen?

EU schafft Einspruchsrecht vor unabhängiger Stelle

Mit dem Digitale-Dienste-Gesetz schafft die EU gesetzliche Verpflichtungen für Maßnahmen, die es bei großen Plattformen meist bereits gibt. Künftig schreibt das Gesetz Meldesysteme vor, mit denen Nutzer:innen und sogenannte „Trusted Flagger“ illegale Inhalte melden können. Diese müssen dann zeitnah entfernt werden. Das hat Twitter bereits.

Neu ist hingegen, dass soziale Netzwerke künftig Einsprüche gegen Moderatsionenscheidungen bei einer unabhängigen Stelle erlauben müssen. Damit nimmt die EU sozialen Netzwerken wie Twitter, die bislang vielfach nach Gutsherrenart entscheiden, Spielraum beim Entfernen von Inhalten.

Mehr Offenheit hat Elon Musk bei dem Algorithmus angekündigt, der die Timeline von User:innen auf Twitter sortiert. Musk hat erklärt, dass dieser „open source“ werden könnte – dann könnten etwa Menschen zwischen unterschiedlichen Algorithmen wählen, die Inhalte auf jeweils andere Art reihen. Damit entspräche Twitter einer Anforderung des Digitale-Dienste-Gesetzes, nachdem User:innen über die Verwendung von Algorithmen aufgeklärt werden müssen. Das gilt auch dann, wenn Uploadfilter für das automatisierte Löschen von bestimmten Inhalten eingesetzt werden. Plattformen müssen außerdem regelmäßig Berichte über die Zahl der ungerechtfertigt gelöschten oder gesperrten Inhalte und Konten veröffentlichen.

Eine große Einschränkung für Twitter wäre allerdings, wenn es als „sehr große Online-Plattform“ unter dem Digitale-Dienste-Gesetz eingestuft würde. Denn solche Plattformen unterliegen eigenen, strengeren Vorgaben. Als sehr große Plattform gilt, wer in der EU mehr als 45 Millionen Nutzer:innen oder mehr als 100.000 Geschäftskund:innen hat – ob Twitter diese Grenze überschreitet, ist unklar.

Plattformen müssen der EU Maßnahmen vorlegen

Sehr große Plattformen müssen in der EU künftig Risikoeinschätzungen sowie konkrete Pläne vorlegen, wie sie die Verbreitung illegaler Inhalte und gefährlicher Desinformation bekämpfen sowie Grundrechte schützen wollen. Die EU-Gesetzgebung soll damit sicherstellen, dass eine Plattform wie Twitter eine ausreichende Anzahl an Moderator:innen beschäftigt und aktiv wird, wenn es etwa zu Fällen massiver Hetze gegen Minderheiten kommt.

Damit sollen Entwicklungen wie jene verhindert werden, vor denen Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen kürzlich im EU-Parlament warnte: Dass ein Milliardenkonzern über Hassbotschaften und Aufrufe zur Gewalt gegen muslimische Minderheiten in Indien Bescheid weiß, aber nichts unternimmt. Oder dass er trotz interner Warnungen über die Verbreitung von Verschwörungserzählungen vor der US-Wahl 2020 passiv bleibt.

Als mögliche Gegenmaßnahmen gegen solche Probleme nennt der Kommissionsentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz:

  • Eine Anpassung der Systeme zur Inhaltemoderation und Empfehlungsalgorithmen, der internen Entscheidungsabläufe oder der Geschäftsbedingungen
  • Eine Beschränkung von Werbeeinschaltungen in bestimmten Bereichen
  • Gestärkte interne Aufsicht bei „systematischen Risiken“
  • Zusammenarbeit mit „Trusted Flaggern“, die auf illegale Inhalte hinweisen
  • Zusammenarbeit mit anderen Online-Plattformen

Die EU schreibt in ihrer neuen Verordnung vor, dass unabhängige Stellen überprüfen müssen, ob die selbstgewählten Maßnahmen einer Plattform wirklich ausreichen. Sollte das nicht der Fall sein, erlaubt das Digitale-Dienste-Gesetz den EU-Behörden, den Plattformen eine Stärkung ihrer Maßnahmen anzuordnen und notfalls auch Strafen zu verteilen.

Außerdem dürfen die Regulatoren den Plattformen vorschreiben, dass diese unabhängigen Forscher:innen Zugang zu ihren Daten gewähren müssen. Dadurch will die EU sich ein breiteres Bild über die Problemlage bei den Plattformen verschaffen.

Für Twitter würden diese Verpflichtungen wohl nur wenig Spielraum lassen, seine Inhaltemoderation einfach herunterzufahren. Kämen EU-Behörden und unabhängige Prüfstellen zu dem Schluss, dass Musk mit seiner „Arena für freie Meinungsäußerung“ den Weg etwa für massive Desinformationskampagnen gegen Covid-19-Impfungen bereitet und damit Europäer:innen gefährdet habe, dann könnten sie Korrektivmaßnahmen anordnen – und Milliardenstrafen androhen.

Für die Europäische Union gerät Musks Twitter-Übernahme zur Bewährungsprobe: Kann ein mächtiger Eigentümer Regeln durchsetzen, die den Absichten der EU zur Bekämpfung von Hass, Hetze und Desinformation direkt zuwiderlaufen? An Twitter könnte sich letztlich am deutlichsten zeigen, ob das gehypte Plattformgesetz der EU tatsächlich funktioniert.


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