Google steckt nicht nur hinter der größten Suchmaschine der Welt, der riesigen Videoplattform YouTube, dem meistverbreiteten mobilen Betriebssystem Android oder dem populären E-Mail-Dienst Gmail. Nein, Google mischt durch umfangreiche Investitionen auch im Nachrichtengeschäft mit. Hunderte Millionen Euro fließen über Fördergelder für Projekte an Verlage und nicht-kommerzielle Medien.
Die Spendierfreudigkeit ist nicht nur Imagepflege. Google wird damit zunehmend zum Teil der Medienlandschaft und untermauert langfristig die eigene Relevanz und Marktmacht. Ein winziger Baustein der Investitionen ist ein Förderprogramm für freie Journalist:innen auf YouTube. Es heißt Creator Program for Independent Journalists. Rund 50 Journalist:innen weltweit erhalten von Google-Schwester YouTube einmalig 20.000 bis 50.000 Dollar plus Workshops. YouTube macht also Geldgeschenke an einzelne Journalist:innen – was hat das zu bedeuten?
Für die Studie „Medienmäzen Google“ der Otto-Brenner-Stiftung haben die Journalisten Ingo Dachwitz und Alexander Fanta im Jahr 2020 den Einfluss von Google auf den Journalismus untersucht. Beide sind auch Redakteure bei netzpolitik.org. Hinweise auf Fälle redaktioneller Einflussnahme durch Google gab es der Studie zufolge nicht. Aber mehrere befragte Journalist:innen hätten die Sorge geäußert, Förderungen und die Nähe zum Konzern könnten zu „Beißhemmung“ und „Selbstzensur“ führen.
Schon heute ist Google ein dominanter Player, an dem kaum eine Redaktion vorbeikommt. Einige beschäftigen ganze Teams für Suchmaschinenoptimierung, um ihre Inhalte Google-gerecht zu gestalten. Je mehr Google seinen Einfluss ausbaut, desto mehr wird der Konzern für Journalismus unverzichtbar.
Google-Sprecher: „keine redaktionelle Kontrolle“
Insgesamt vier der aktuell von YouTube geförderten Journalist:innen kommen aus Deutschland. Drei hatten Anfang April Zeit, ausführlich mit netzpolitik.org zu sprechen. Sie bekommen umgerechnet rund 46.000 Euro von YouTube. Der Betrag orientiert sich an dem Land, in dem die geförderten Journalist:innen wohnen. Die Förderung läuft ein Jahr lang, dazu gehören auch Workshops, etwa zu Videoschnitt und Aufbau eines Kanals. Auch journalistische Seminare gibt es. Die veranstaltet aber nicht YouTube, sondern eine US-Universität.
Ein Google-Sprecher schreibt: „YouTube hat keine redaktionelle Kontrolle über Nachrichteninhalte“. Die Rolle von YouTube bestehe darin, „Best Practices für Dinge wie den Aufbau eines Publikums, die technische Produktion und den Produktsupport bereitzustellen.“ Die Teilnehmenden seien durch „News-Produktteams“ von Google interviewt und geprüft worden. Dabei seien Journalist:innen bevorzugt worden, die sich auf objektive Nachrichtenberichterstattung konzentrieren, nicht auf Meinungen oder Kommentare.
Es wäre „naiv zu glauben, dass Google und sein Geld harmlos sind“, kommentiert netzpolitik.org-Redakteur Fanta im Jahr 2018. Er ist selbst zweimal von Google mit Geld gefördert worden. In seinem Meinungsstück kritisiert er den Konzern unter anderem für das Geschäftsmodell mit Nutzer:innendaten, für Steueroptimierung in Offshore-Oasen und für Drohnenprojekte mit dem US-Militär. Sein Fazit: „Wer von diesen Firmen Geld nimmt, wird gegenüber der Öffentlichkeit erst noch seine Unabhängigkeit unter Beweis stellen müssen.“
Nun schildern drei aktuell von YouTube geförderten Journalist:innen ihre Positionen zum Geldgeschenk – und sie legen im Interview mit netzpolitik.org dar, warum sie darin keinen Interessenkonflikt mit ihrem kritischen Journalismus sehen. Alle drei machen die Förderung inzwischen direkt auf ihren YouTube-Kanälen transparent; eine konkrete Vorgabe von YouTube gab es dafür nicht.
Marvin Neumann: „Nichts hindert mich, kritisch zu berichten“
Auf seinem YouTube-Kanal (71.900 Abonnent:innen) berichtet Marvin Neumann über aktuelle politische Themen. Das Motto aus seiner Kanalschreibung: „Objektiv, aber immer unterhaltsam und informativ!“
„Ich mache seit 2016 Videos und war im Jahr 2019 Teil beim Förderprogramm YouTube NextUp. Ich habe den Eindruck, YouTube legt seit Jahren Wert darauf, auch kleine Kanäle zu fördern und ihnen das Gefühl zu geben: Ihr seid uns wichtig, ihr seid vielleicht die Zukunft von YouTube. Ob das nun wirklich so ist, sei dahingestellt.
Ob YouTube mit dem Geld wohlgesonnene Journalist:innen gewinnen möchte, kann ich für mich ganz einfach beantworten mit: Nein. Nichts hindert mich daran, auch kritisch über YouTube zu berichten. Immer wieder landen kritische Videos über YouTube in den YouTube-Trends. Wenn YouTube uns ein Seminar über die Analytics gibt, bin ich der erste, der sich auch kritisch äußert. Ich bin durch das Creator Program sogar in der privilegierten Position, Kritik aus meiner Community direkt an YouTube herantragen zu können.
Wie sollte denn eine reine Unabhängigkeit für freischaffende Journalist:innen aussehen? Wäre das nur möglich, wen man sich allein aus Community-Spenden finanziert? Oder gar kein Geld für seine Arbeit nimmt? YouTube ist die größte Videoplattform der Welt. Manchmal kommt mir die Plattform vor wie ein große Mülldeponie aus falschen Informationen. Ich finde das gut, wenn auf YouTube Leute für gesicherte Informationen sorgen. Dazu will ich meinen Beitrag leisten und ich bin froh, dabei unterstützt zu werden.“
Stefanie Helbig: „Journalismus kostet“
Den Kanal Flashligh Fish (38 Abonnen:innen) hat Helbig nach Fischen benannt, die mit den Augen Licht in der Tiefsee erzeugen. Zuschauer:innen will sie an ihren Recherchen teilhaben lassen und „neues Gefrickel aus der Recherchewerkstatt“ teilen.
„Ich komme aus dem klassischen Fernsehen und habe gemerkt: YouTube unterscheidet sich stark davon. Ich profitiere sehr von den Workshops im Förderprogramm, bringe mir jetzt zum Beispiel bei, wie man schneidet. Dafür hatte ich beim Fernsehen immer Cutter:innen. Von dem Geld habe ich mir zum Beispiel einen Schnittrechner gekauft und eine Kamera.
Niemand von YouTube hat mir je gesagt: Mach dies oder das. Bei anderen Medienförderungen muss man mehr Vorgaben erfüllen, zum Beispiel Kameraleute aus einem bestimmten Bundesland engagieren. Bei YouTube gibt es keinerlei Vorgaben. Ich hatte in keiner einzigen Sekunde auch nur den Anschein des Gefühls, dass mir jemand in meine redaktionelle Unabhängigkeit reinredet.
Journalismus ist eine sehr prekäre Branche. Wir leben in einer Zeit des Umbruchs und der Suche nach neuen Geschäftsmodellen. Ich bin ja total offen für andere Finanzierungs- und Geschäftsmodelle als der Förderung durch die großen Plattformen. Aber Journalismus kostet halt. In irgendeiner Form müssen die Leute bezahlt werden. Vielleicht macht YouTube das Förderprogramm, um Desinformation etwas entgegenzusetzen, und sei es nur als Zeichen. Gut möglich, dass YouTube mit der Förderung das Geschäftsmodell der Sender und Verlage strategisch angreifen will. Aber dafür sind wir kleinen Freischaffenden wohl die falschen Ansprechpersonen. Medienmanager:innen haben da mehr Einblick und Einfluss.
Ich verstehe auch das Risiko einer strategischen Einflussnahme. YouTube ist eine US-amerikanische Plattform. Selbst der öffentliche-rechtliche Rundfunk macht sich von YouTube abhängig, weil das junge Angebot von ARD und ZDF, Funk, dort Kanäle hat. Wenn wir sagen, wir wollen das nicht, dann halte ich das für legitim. Vielleicht brauchen wir eine europäische Plattform als Alternative oder etwas ganz anderes. Es greift aber zu kurz, einzelne Journalist:innen für eine Förderung zu kritisieren. Das ist eine gesellschaftliche Frage.“
Mathias Hervix: „Rote Linien nicht gekreuzt“
Hervix (230 Abonnent:innen) „reichen die ganzen negativen Schlagzeilen“, wie er in seiner Kanalbeschreibung notiert. In seinen Videos möchte er „konstruktiv und lösungsorientiert auf die Welt schauen“.
„Bei allem, was ich mache, ist für mich eines super wertvoll: Netzwerken. Im Creator Program gibt es ein weltweites Netzwerk. Ich bin zum Beispiel mit Leuten aus UK im engen Kontakt und lerne viel davon, wie sie Videos produzieren. Ich glaube YouTube als Plattform merkt, dass es nicht mehr allein auf dem Creator-Markt ist. TikTok, Instagram, das Privatfernsehen, alle arbeiten mit Creatorn. Auf dem freien Markt spielt Geld natürlich eine Rolle.
Zu glauben, dass ich durch die Förderung zum Google-Jünger werde und nur noch Ja und Amen sage, das halte ich für Quatsch. Ich verstehe die Sorge, aber ich glaube nicht, dass ich freundlich über jemandem berichte, weil ich mal Geld von ihm bekommen habe. Dann müsste ich auch immer freundlich über den WDR, RTL und viele kleine Zeitungen sprechen, für dich schon gearbeitet habe. Wer mir auf Twitter folgt weiß, dass ich mich auch kritisch äußere. Ist man ein schlechterer Journalist, weil man mal von Google Geld bekommen hat?
Ich glaube manchmal mögen wir Journalist:innen es, uns gegenseitig zu kritisieren. Auch Privatfernsehen und Öffentlich-Rechtliche kritisieren sich gerne gegenseitig. Schon vor fünf Jahren habe ich gehört, ich sei kein richtiger Journalist, weil ich für RTL gearbeitet habe. Es gibt Menschen, die sagen, Promi-Berichterstattung ist kein Journalismus. Jede Person zieht für sich selbst rote Linien. Bei Google werden die bei mir nicht gekreuzt. Ich will mich da auch nicht als moralische Superinstanz für andere etablieren.“
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