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Ermittlungen wegen Satire-Plakat: Kleinkarierte Demonstration der Macht

Horst Seehofer mit Augenklappe
Mit diesem Plakat (Ausschnitt) kritisierten Künstler den Umgang des damaligen Innenministers mit Rechtsradikalen in der Polizei. – Alle Rechte vorbehalten Dies Irae

Horst Seehofer hat auf einem Plakat eine Augenklappe mit Polizeiwappen auf. Sie symbolisiert, dass der ehemalige Innenminister auf dem rechten Auge blind sei. Eine offensichtliche Satire-Aktion, die auf das Problem Rechtsradikalismus aufmerksam machen will und den damaligen Innenminister wegen seiner laschen Haltung zu Rassismus und Rechtsextremismus in der Polizei kritisiert. 

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen dieses Satire-Plakats, es geht um „verfassungsfeindliche Verunglimpfung von Verfassungsorganen“. Das Bundesjustizministerium sagt gegenüber netzpolitik.org, dass „nach überwiegender Meinung in Rechtsprechung und Literatur“ das Mitglied des Verfassungsorgans nur selbst eine Ermächtigung erteilen könne, „da es sich um ein persönliches, nicht übertragbares Recht handelt.“ Also Horst Seehofer selbst. Auch wenn er das auf mehrfache Nachfrage nicht bestätigen will.

Was muss man eigentlich für ein verletzliches erdoğansches Ego haben, wenn man auf dem politischen Olymp solche Kritik nicht annimmt, hinnimmt oder einfach ignoriert? Stattdessen wird hier der juristische Vorschlaghammer ausgepackt, um Plakat-Künstler einzuschüchtern und diese mit Freiheitsstrafe zu bedrohen. Es ist eine kleinkarierte und kleingeistige Demonstration der Macht. Der Geruch von Majestätsbeleidigung liegt in der Luft. Unwürdig und unpassend in einer Demokratie. 

Doch es wäre nicht das erste Mal, dass Seehofer Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit attackiert. Mit großen Getöse hatte er im Jahr 2020 eine Anzeige wegen einer Kolumne in der taz angekündigt, in der ein:e Autor:in polemisch über die Polizei hergezogen hatte.

Verletzliches erdoğansches Ego

Nun also wieder eine Attacke gegen die Meinungsfreiheit von höchster Stelle im Staat. Dabei musste erst vor kurzem ein beleidigter Hamburger Innensenator lernen, dass sich höchstens peinlich macht, wer wegen „Ich bin so 1 Pimmel“-Tweets und ähnlichen Nichtigkeiten irgendwelchen Menschen Staatsanwaltschaften und Polizei auf den Hals hetzt.

Seehofer-Satire-Plakat
Stein des Anstoßes: Ein Satireplakat, das Seehofer kritisiert. - Alle Rechte vorbehalten Dies Irae

Man muss sich allerdings auch fragen, was das für Staatsanwälte sind, die solche überzogenen und an den Haaren herbeigezogenen Ermittlungsverfahren nicht sofort einstellen. Denn wenn man eins und eins zusammenzählt, hätte dieses Ermittlungsverfahren nie monatelang laufen dürfen. 

Die Voraussetzungen für eine Straftat nach § 90b des Strafgesetzbuches sind nicht erfüllt: Man muss schon böswillig sein, um in dem Plakat eine Verunglimpfung statt einer politischen Satire zu sehen. Seehofer muss als damaliger Bundesminister, der selbst gerne austeilt, und Person des öffentlichen Lebens deutlich mehr aushalten als Opa Machulke oder Tante Gertrud, die niemand kennt.

Wenn das Verfahren nicht schon an der fehlenden Verunglimpfung scheitert, dann daran, dass man in dem Plakat nun wirklich keine „Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze“ sehen kann.

Legitime Kritik mit den Mitteln der Kunst

Hier kritisieren Künstler das für die Demokratie schwerwiegende Problem, dass es zu viele Rechtsradikale in der Polizei gibt. Und sie sagen, dass der Innenminister gegen diese nicht hart genug vorgegangen sei. Eine Position, die übrigens nicht abwegig oder extrem ist, sondern durch unzählige journalistische Recherchen ans Licht kam. Diese Kritik wurde in Medien, Wissenschaft und von der parlamentarischen Opposition immer wieder artikuliert. Mehr gibt dieses satirische Plakat nicht her.

Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem mit Ermächtigung der Regierung oder ihrer Mitglieder so gegen Satire vorgegangen wird. Wer darin verfassungsfeindliche Bestrebungen sieht, der hat die Verfassung selbst aus den Augen verloren. 

Das einzig sinnvolle, was mit diesem Verfahren jetzt passieren darf, ist die sofortige Einstellung. Das Grundgesetz steht für die Freiheit der Kunst und damit auch für die satirische Auseinandersetzung mit Vertreter:innen der Bundesregierung. 

Diese Ermittlungen sind ein Angriff auf die Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland. Das gilt übrigens auch für andere Verfahren, mit denen Aktionskünstler wie das Peng-Kollektiv, das Zentrum für politische Schönheit oder unbekanntere Adbuster und Kommunikationsguerilleros seit einiger Zeit überzogen werden. Sie alle sind fragwürdig, weil sie in ihrer Geballtheit das Potenzial haben, Künstler:innen in ihren Grundrechten einzuschränken und eine Schere im Kopf zu befördern. Und wer das will, verunglimpft vielleicht keine Verfassungsorgane, dafür aber unsere Verfassung selbst.


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