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Wikipedia: Schweizer Politiker unter der Lupe

Kuppel des Schweizer Bundeshauses mit Flagge bei Sonnenuntergang
Wer bearbeitet die Artikel der Schweizer Politiker:innen? CC-BY 3.0 Absolutely new

Verglichen mit den Wikipedia-Artikeln zu deutschen Bundestagsabgeordneten, sind die Beiträge zu Politiker:innen aus der Schweiz oft sehr kurz. Selbst wer schon 18 Jahre im Nationalrat sitzt, ist in der Online-Enzyklopädie oft nur mit spärlichen Absätzen zum Werdegang beschrieben. Das Schweizer Recherche-Team Reflekt hat sich die 253 Einträge über aktuelle Schweizer National-, Stände- und Bundesrät:innen genauer angeschaut. Dafür haben wir gemeinsam mit dem Team eine Datenauswertung gemacht, wie wir sie im Herbst auch für die deutschen Bundestagsabgeordneten durchgeführt haben.

Das Ergebnis der Analyse für die Schweiz: Es haben zwar mehr als 1.500 User-Accounts an den Artikeln mitgewirkt, aber die „Personen hinter den 50 wichtigsten Usernamen haben mehr als 60 Prozent aller Informationen über die Schweizer Parlamentarier:innen beigetragen“, schreibt Reflekt. Dass nur wenige maßgeblich an einem Artikel beteiligt sind, ist allein noch kein Problem. Reflekt hat sich daher auch angeschaut, wie genau die Bearbeitungen der Artikel denn passiert sind, und fragte bei Auffälligkeiten nach.

Grundsätzlich sachlich, mit Ausnahmen

Etwa bei Zürcher Nationalrat und Parteipräsident der Grünen, Balthasar Glättli, der maßgeblich an seinem eigenen Artikel mitgewirkt hat. 17,3 Prozent des Beitrags stammen aus seiner Feder. Dass er tatsächlich hinter dem Nutzernamen Bglaettli steckt, legt er auf der Nutzerseite offen, und auch seine Bearbeitungen bewertet Reflekt als „grundsätzlich sachlich“.

Er habe jedoch 2015 versucht, Informationen zu seiner Ausbildung und seinem Beruf zu löschen. Ebenso seine Ehe mit einer anderen Politikerin. Diese Abschnitte wurden jedoch von einem anderen Nutzer wiederhergestellt. Darauf angesprochen sagte Glättli, dass er eigentlich seine Mitgliedschaften im Abschnitt „Politisches Engagement“ aktualisieren wollte, aber durch einen Fehler auch andere Informationen gelöscht worden seien. Das wurde laut Glättli schneller von einem Nutzer korrigiert als er selbst reagieren konnte. Er selbst bearbeite seinen Eintrag seit 2017 nicht mehr und weist auf ein „ungelöstes Spannungsfeld“ hin.

An anderer Stelle fanden die Rechercheure anonym bearbeitete Artikel, die übers Sachliche hinausgingen. So beim Ständerat Josef Dittli (FDP): In seinen Artikel kopierte ein unangemeldeter Nutzer offenbar Informationen von der Website der Schweizer FDP und lobte dessen Einsatz für den Kanton Uri. Zehn Jahre später stieß das einem anderen Nutzer auf und er löschte den Abschnitt mit dem Kommentar „Klang teilweise wie aus einem Bewerbungsportfolio“. Wer hinter den ursprünglichen Bearbeitungen steckte, bleibt offen.

Zwanzig Artikel betrachtete das Recherche-Team so genauer. Sie fanden Löschversuche, Bearbeitungen von Mitarbeitenden der Politiker:innen, beschönigte Formulierungen, mangelnde Transparenz und andere Anzeichen von Interessenskonflikten.

„Mit allen Vor- und Nachteilen“

Die Recherche von Reflekt zeigt, dass es auch bei den Schweizer Politiker:innen oft Unsicherheit gibt, was in der Online-Enzyklopädie erlaubt und erwünscht ist. Dabei gilt die Grundregel: Wer einen Interessenskonflikt hat – etwa weil er selbst die beschriebene Person ist oder für diese arbeitet – sollte das Editieren lieber lassen, muss aber seine Zugehörigkeit zumindest offenlegen. In den meisten von Reflekt untersuchten Fällen konnte am Ende die Neutralität gewahrt bleiben. Dafür braucht es aktive Wikipedianer:innen, die ein Auge auf die Beiträge haben. Kritische Leser:innen, die Informationen reflektieren. Und klar kommunizierte Regeln, die auch die Betroffenen kennen und befolgen.

„So ist die Wikipedia das, was sie vorgibt zu sein: Eine wahnsinnig umfangreiche und wertvolle Online-Enzyklopädie, von Laien und Experten:innen verfasst wird – mit allen damit verbundenen Vor- und Nachteilen“, schließt Reflekt.


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