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Kommentar: Niemand kann Jugendliche vor Pornos schützen

Eine Person erhält einen biometrischen Scan des Gesichts. Kopfzeilen der Pornoseiten xHamster und Pornhub sind sichtbar.
Pornos gucken? Bitte halten Sie schon mal ihr Gesicht und ihren Perso bereit. – Alle Rechte vorbehalten Person: Imago/ Panthermedia; Screenshots: xhamster.com, pornhub.com, Bearbeitung: netzpolitik.org

Gibt es eigentlich etwas Gefährlicheres für Minderjährige als Pornografie? Liest man die entsprechenden Gesetzestexte, etwa die Richtlinie der EU für audiovisuelle Medien, dann könnte man meinen, Pornos für 17-Jährige laufen auf einer Höhe mit Terrorpropaganda. Pornografie, das sind demnach „schädlichste Inhalte“, die den „strengsten Maßnahmen“ unterliegen sollen. Löffelstellung oder Enthauptungsvideos: scheint alles gleich schlimm.

Auch wer den deutschen Jugendmedienschutz-Staatsvertrag liest, muss davon ausgehen, dass Pornos auf schlimmste Weise die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gefährden – im Zweifel auch die von 17-Jährigen. Sie sind für Minderjährige in jeder Form „unzulässig“ und stehen dort in einem Paragrafen mit rassistischer Hetze, Verharmlosung des Nationalsozialismus, Kriegsverherrlichung oder Foltervideos. Die Gefahr, die von ihnen ausgeht, scheint offenbar so enorm, dass sie selbst die ganz harten Mittel zu ihrer Abwehr rechtfertigt.

So fordert die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM), dass Pornoseiten strengstens überprüfen sollen, ob wirklich nur Erwachsene ihre Pornos sehen. Und empfiehlt zur Durchsetzung Maßnahmen, die sich lesen als werde Deutschland von christlichen Fundamentalist:innen regiert – von der biometrischen Erfassung von Gesichtern bis zur Passkontrolle.

Alles für den Jugendschutz

Für jeden einzelnen Besuch auf einer Pornoseite erst mal den digitalen Ausweis zücken? Findet die KJM sehr gut. Warum nicht gleich Passkontrolle per Webcam plus biometrischer Scan und Abgleich mit dem eigenen Gesicht? Gerne doch. Altersnachweis via Schufa, für den man die eigene Adresse angibt und dann die Daten für den Porno-Login per Einschreiben nach Hause bekommt? Kein Witz. Bewertet die KJM positiv.

Die Liste der Maßnahmen, die die KJM im Interesse des Jugendschutzes für alle Menschen empfiehlt, die von Deutschland aus eine Pornoseite aufrufen wollen, steigert sich von Absatz zu Absatz. Just, wenn man denkt, noch schlimmer kann es nicht werden, legt das Dokument noch einen drauf. Wieso nicht gleich den Konsum von Pornos unter polizeiliche Aufsicht per Überwachungskamera stellen, damit auch wirklich keine Person unter 18 einen Blick darauf erhaschen kann? Offenbar ist der Schutz der Jugend vor Pornografie so hoch aufzuhängen, dass die Privatsphäre von Millionen von Erwachsenen sich da einfach mal hinten anstellen muss.

Und wenn die Anbieter nicht mitziehen? Dann will die Landesmedienanstalt NRW, die sich derzeit zur Vorkämpferin in der Sache aufschwingt, im Zweifel mit Netzsperren durchsetzen, dass die Webseiten von Deutschland aus nicht mehr aufgerufen werden können. Dieses Mittel setzen sonst autoritäre Staaten ein, um Seiten und Dienste zu sperren, die ihnen unbequem werden.

Netzsperren sind damit gleichzeitig sehr ernst und völlig albern. Ernst, weil autoritäre Staaten sich im Zweifel darauf berufen können, Deutschland mache das schließlich auch. Und albern, weil sie so leicht zu umgehen sind, dass jede:r horny Siebtklässler:in das technisch hinbekommt. 

Das droht Pornoseiten in Deutschland wirklich

Aber die Kinder

Nach wie vor scheint zu gelten: Willst du umstrittenste technische Maßnahmen zur Verletzung der Grundrechte aller im Internet durchsetzen, brauchst du am besten Kinder. Denn wer bitte würde Kinder nicht vor allem Möglichen schützen wollen? So klein, so unschuldig. Geht es um Kinder, scheint für Gesetzgeber und ihre Verwaltung fast jede Einschränkung legitim – vom Verbot der Verschlüsselung in Messengern, der Vorratsdatenspeicherung und dem Einsatz von Staatstrojanern bis zum Gesichtsscan vor dem Pornokonsum.

Die Landesmedienanstalten, die diesen Irrsinn fordern, können sich dabei darauf berufen, dass sie ja lediglich umsetzen, was gesetzlich vorgeschrieben ist. Es wäre also an denen, die die Gesetze machen, hier richtigzustellen, dass einiges doch zu weit geht. Vor allem, weil es zum Beispiel mit Kinderschutzprogrammen für die Geräte der Kleinen schon gute Lösungen gibt, die einfach nur ein wenig Einsatz von Eltern erfordern und dabei nicht die Grundrechte Millionen erwachsener Menschen beschneiden.

Jahrelangen Missbrauch ignoriert

Währenddessen sind Frauen, erwachsene wie minderjährige, auf Pornoseiten bereits seit geraumer Zeit einer ganz anderen sehr realen Bedrohung ausgesetzt. Bis vor Kurzem reichte ein E-Mail-Account, um ohne jede Überprüfung Videos auf den größten Pornoseiten der Welt hochladen zu dürfen. Ob die auf den Aufnahmen abgebildeten Personen dem zugestimmt hatten oder gegen ihre Willen gezeigt wurden, war den Anbietern egal. Selbst auf die Beschwerden von Betroffenen dieser Gewalt reagierten sie nur langsam. Frauen berichteten, wie sie tatenlos zusehen mussten, wie andere ihre intimsten Aufnahmen zusammen mit ihren Namen im Internet veröffentlichten, ohne dass Polizei oder Staatsanwaltschaft etwas dagegen unternahmen.

Die Liste des Missbrauchs und der Traumata, die Frauen durch Seiten wie Pornhub und xHamster erfahren haben, ist lang – von Vergewaltigungsvideos, die trotz Aufforderung nicht gelöscht wurden, bis zur Abzocke von Sexarbeiter:innen, gegen deren Copyright-Verstöße die Plattformen nichts unternahmen. Doch in der EU oder in Deutschland interessierte das lange Zeit niemanden, oder zumindest nicht die Regierenden.

Erst auf den Druck von Kreditkartenunternehmen wie Mastercard haben Seiten wie Pornhub und xHamster den anonymen Upload auf ihre Seiten inzwischen unterbunden. Von den Gesetzgebern? Hatten sie dagegen nichts zu befürchten. Diese blieben ganz entspannt, während Fachleute für digitale Gewalt und Betroffene jahrelang Alarm schlugen.

„Abnormale Sexpraktiken“

Jetzt aber geht es nicht um Frauen, sondern um den Jugendschutz und da greift man hart durch. Welche Moralvorstellungen und Vorstellungen von Sex eigentlich hinter diesem Vorgehen stecken, offenbart zum Beispiel Tobias Schmid, Direktor der Landesmedienanstalt NRW. Sein Haus hat sich das Thema Gefahrenabwehr durch Pornoseiten geschnappt und kürzlich vor Gericht einen Punktsieg gegen mehrere große Seiten erzielt. Der dpa sagte er daraufhin: „Wenn wir einerseits im Fernsehen jeden Trailer kontrollieren, Kinder im Netz aber ungefiltert mit abnormalen Sexualpraktiken konfrontieren, können wir es auch sein lassen.“

Doch wer definiert hier eigentlich, welche Sexpraktiken normal und abnormal sind? Ist das die Landesmedienanstalt NRW? Steht das womöglich auch im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag? Im Internet ist dann auch nachzulesen, welche Videos die Landesmedienanstalt NRW in den Verfahren gegen die Pornoportale eigentlich beanstandet hatte. Da sind ganz harte Fälle dabei, etwa „Frau sitzt durchweg auf dem Mann“. Abnormal?

Nach Jahren der Debatten über sexuelle Selbstbestimmung nennt man so etwas heute „Kink-Shaming“: Kindern und Jugendlichen bringt man so effektiv bei, für welche ihrer sexuellen Vorlieben sie sich besser schämen sollten. Freundliche Grüße aus den Fünfzigern.

Jugendschützer:innen wollen Ausweiskontrolle vor Pornoseiten

Zweifel am Sinn von Sperren

Gefüttert werden solche Moralansichten von einer öffentlichen Debatte, in der Sexualpädagog:innen äußern, Pornokonsum verändere die „sexuellen Skripte“ von Jugendlichen, vor Pornosucht warnen oder ernsthaft problematisieren, „Lust findet statt, wenn der Partner weg ist“. Ganz so, als sei Sex mit sich selbst etwas Anstößiges und nicht die erste Grundvoraussetzung dafür, den eigenen Körper und seine Bedürfnisse überhaupt kennenzulernen.

Andere Medienpädagoginnen zweifeln dagegen am Sinn von staatlich erzwungenen Zugangssperren zu Pornografie. Kinder hätten in der Regel kein Interesse an Pornos und würden solche Seiten ohnehin nicht gezielt suchen, sagt die Medienpädagogin Jessica Euler, Leiterin des Projekts „Eltern-Medien-Beratung“ in Brandenburg. Jugendliche dagegen kommen um die Sperren herum. Es sei unklar, wer hier eigentlich geschützt werden sollte.

Auch die Kulturwissenschaftlerin Madita Oeming, die zu Pornos forscht, sagt: „Die verpflichtende Altersverifikation sendet einfach das falsche Signal: Dass Sex gefährlich ist, und Zensur junge Menschen davor schützt.“ Was stattdessen tatsächlich helfen könnte: Aufklärung.

Jugendliche vor Pornografie bewahren zu wollen, ist in einer vernetzten Welt eh ein zum Scheitern verurteiltes Vorhaben. Stattdessen könnte man ihnen auch etwas darüber erzählen, wie guter Sex aussehen kann, wie Einvernehmlichkeit funktioniert und wie man sich ihrer versichert, warum alles erlaubt ist, solange es allen Beteiligten Lust und Spaß macht. Dafür braucht es keine Netzsperren, sondern eine Konversation. Man kann Jugendliche nicht vor einer Welt voller Pornos schützen, aber man kann ihnen beibringen, wie sie damit umgehen.

Heiliger Krieg gegen Pornografie

In einer E-Mail an netzpolitik.org schreibt eine Sprecherin der Landesmedienanstalt NRW vom „ungebremsten Profitstreben“ der Pornoseiten. Das erinnert an die Aussagen vom Oberhaupt der katholischen Kirche. Papst Franziskus hat schon mehrfach kritisiert, dass mit Pornografie Geld verdient werde, angeblich gegen das Wohl von Kindern.

In den USA sind es vor allem Organisationen der religiösen Rechten, die derzeit mit Sammelklagen und Kampagnen den Kampf gegen die größten Pornoseiten wie Pornhub und xHamster anführen. Sie haben eine Art heiligen Krieg gegen die gesamte Pornobranche erklärt und wollen jede Form von Pornografie abschaffen. Die Organisation Exodus Cry etwa vergleicht ihren Kampf gegen Pornos und Sexarbeit mit der Abschaffung der Sklaverei – und entmündigt damit all jene Menschen, die selbstbestimmt und mit guten Gründen in der Erotikbranche arbeiten.

Der deutsche Jugendschutz beruft sich dagegen darauf, einfach nur die gesetzlichen Vorgaben umzusetzen, das sei nun mal erklärte Pflicht. Doch die Moralvorstellungen, die das unweigerlich transportiert, sind von denen der heiligen Krieger:innen womöglich gar nicht weit entfernt.


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