Minderjährige sollen keine Pornos gucken, das verlangt das Gesetz. Pornoseiten zeigen sie trotzdem, denn wer soll sie aufhalten. Mit dieser Realität sind Millionen Kinder erwachsen geworden. Jetzt setzen Jugendschützer:innen vieles in Bewegung, um diesen bislang kaum regulierten Teil des Internets zu regulieren.
Zuständig für den Jugendschutz im Netz sind die Landesmedienanstalten. Ihr gemeinsames Entscheidungsgremium ist die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM). Sie hat ausformuliert, wie Pornoseiten dem deutschen Jugendschutz gerecht werden können. Und damit die Pornoseiten das nicht länger ignorieren, machen die Jugendschützer:innen jetzt Stress.
Das Wichtigste über drohende Netzsperren für Pornoseiten berichten wir hier.
Wenig öffentlich diskutiert wurde bisher, was der Jugendschutz überhaupt verlangt. Einfach ausgedrückt sollen die Pornoseiten streng überprüfen, dass wirklich nur Volljährige die Pornos sehen. Dafür empfiehlt die KJM mehrere Verfahren, unter anderem eine Passkontrolle per Webcam plus biometrische Erfassung. Wenn sich das durchsetzt, wären Millionen Erwachsene betroffen, immerhin handelt es sich bei Pornoseiten um die meistbesuchten Websites der Welt.
Für einige der Kontrollmechanismen gibt es Kritik. Der netzpolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Maik Außendorf, sagt gegenüber netzpolitik.org, Jugendschutz müsse mit Privatsphäre und Datenschutz in Einklang gebracht werden. Sein Koalitions-Kollege Jens Zimmermann (SPD) lehnt biometrische Verfahren hierfür ab. Für die netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Anke Domscheit-Berg, sollten wenn überhaupt nur Lösungen in Frage kommen, die allein Volljährigkeit überprüfen und „niemals einen Rückschluss auf die Identität der Plattformbesucher:innen zulassen“.
Eiserne Deutung der Gesetze
Auf den ersten Blick klingt der deutsche Jugendschutz gar nicht mal so streng. Laut Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) sollen Pornoseiten nur Erwachsene reinlassen, und zwar als „geschlossene Benutzergruppe“. Wie genau das gehen soll, steht da zunächst nicht. Als Laie könnte man annehmen, dass vielleicht ein Popup-Fenster genügt. So machen es viele große Pornoseiten aktuell. Ein Klick soll bestätigen, dass man kein Kind mehr ist. Aber das ist nicht genug.
Konkret nachzulesen ist das in der amtlichen Begründung zum JMStV. Dort steht: Es braucht ein „verlässliches Altersverifikationssystem“. Und laut der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste seien Pornos „schädlichste“ Inhalte, für die „strengste“ Maßnahmen gelten sollten. Wie streng das wohl ist?
Sehr streng, wie ein zeigt. Demnach reicht es nicht aus, wenn Pornoseiten Personalausweisnummer, Adresse oder Bankverbindung verlangen. Nein, die Seiten müssen noch weiter gehen. Die Richter:innen schreiben, Erwachsenen sei das im Interesse des Jugendschutzes „zuzumuten“.
Wie man Pornokonsumierende rechtssicher kontrolliert, erklärt die KJM in einem neunseitigen Papier (PDF). Am wenigsten invasiv ist wohl noch eine Alterskontrolle mit Personalausweis. Zum Einsatz käme die neue eID-Funktion in der Ausweis-App des Bundes, mit der man sich online ausweisen kann. Dabei sollen keine sonstigen Ausweisdaten übertragen werden – nur die Info, dass man volljährig ist. Wer Pornos schauen mag, müsste laut KJM-Papier bei jedem einzelnen Seitenbesuch den Perso zücken.
Biometrische Erfassung: „Positiv“
Andere Verfahren greifen deutlich tiefer in die Privatsphäre ein. Geht es nach den Jugendschützer:innen, könnte der Pornokonsum der Zukunft auch so aussehen: Bevor es losgeht, öffnet man erst einmal die eigene Webcam und wird mit einem Callcenter verbunden. Eine fremde Person überprüft den Ausweis per Videochat. Alternativ scannt eine Software Ausweisdaten, Ausweisfoto und Gesicht. Ein biometrischer Abgleich stellt sicher, dass man auch wirklich den eigenen Ausweis vor die Kamera hält. Dann darf man die Webcam schließen und die Hose öffnen.
Wer glaubt, das würde keine Pornoseite jemals ihren Besucher:innen zumuten, täuscht sich. Genau solche Technologien sind bereits im Einsatz, und die KJM bewertet sie ausdrücklich als positiv. Die Positivliste der KJM umfasst rund 80 Systeme zur Alterskontrolle.
Eines davon nutzt die deutsche Pornoseite Fundorado. Neue Besucher:innen werden per Webcam mit den freundlichen Mitarbeiter:innen einer GmbH aus Hamburg verbunden. Sie erstellen Screenshots vom vorgezeigten Personalausweis. Einige Teile des Screenshots würden vor dem Speichern geschwärzt, nicht aber Foto, Geburtsdatum, sowie Vor- und Nachname, wie Fundorado auf seiner Website erklärt. Positiv, findet die KJM.
Man darf Fundorado auch auf anderen Wegen beweisen, dass man erwachsen ist, beispielsweise durch eine Überprüfung der Schufa. Das klappt sogar ohne Ausweis. Aber die eigene Wohnadresse muss man verraten. Die Porno-Zugangsdaten kommen dann per eigenhändigem Einschreiben. Schufa plus Pornonkonsum: Für die KJM ist das positiv.
Britischer Anbieter sammelt biometrische Daten gern
Mehrere Lösungen bietet der britische Anbieter Yoti. Yoti kann beispielsweise Ausweise scannen und gleicht sie biometrisch mit Webcam-Aufnahmen ab. Abgerechnet wird pro Kontrollvorgang. Ein „Face match“, also ein gescanntes Gesicht, kostet laut Website umgerechnet 29 Cent; den Ausweis auszulesen kostet 30 Cent. KJM: positiv.
Andere Unternehmen mit biometrischen Datenbanken stehen gerade international in der Kritik, allen voran Clearview AI, das eine Gesichtersuchmaschine für Polizeibehörden anbietet. Unter anderem Australien und Großbritannien haben Clearview AI jüngst aufgefordert, die Daten ihrer Bürger:innen zu löschen.
Zur gleichen Zeit könnte sie der britische Anbieter Yoti wieder einsammeln. Yoti kann biometrische Daten auch für sonstige Forschung und Projekte verwenden. Wer das nicht möchte, kann das ausdrücklich ablehnen, wie der Anbieter in seiner Datenschutzerklärung schreibt.
Yoti nutzen bereits zwei der meistbesuchten Pornoseiten der Welt – xHamster und Pornhub. Aktuell überprüfen sie damit aber lediglich Nutzer:innen, die eigene Aufnahmen hochladen möchten. Besuchen kann man xHamster und Pornhub weiterhin einfach so. Der Schritt zur Yoti-Kontrole für alle wäre damit aber wohl nicht mehr ganz so groß.
Ein simples Werkzeug für Eltern gäbe es längst
Vereinfachte Kontrollen beschreibt die KJM für Menschen, die bereits eindeutig identifiziert wurden. Für wiederholte Besuche bei derselben Pornoseite könne man sich zum Beispiel per Einmal-PIN oder SMS ausweisen.
Es gäbe noch ein anderes Werkzeug für den Jugendschutz, das funktionieren würde ohne Millionen Erwachsene mit Alterskontrollen zu gängeln. Das Werkzeug heißt JusProgDNS und kommt vom Verein JusProg. Eltern können es für die Geräte ihrer Schützlinge einrichten. Möchten die Kleinen dann eine Website für Erwachsene aufrufen, kommen sie nicht durch. Technisch funktioniert das ähnlich wie eine Netzsperre. In diesem Fall wären es aber nicht die Provider, die für alle Menschen eine Hürde hochziehen, sondern bloß Eltern für ihre Kinder.
Wie die Landesmedienanstalt NRW gegenüber netzpolitik.org erklärt, kommen solche technischen Lösungen aber aus rechtlichen Gründen nicht für Pornoseiten infrage. Grund dafür seien die gesetzlichen Bestimmungen aus dem JMStV. Die würden eine verlässliche Alterskontrolle vonseiten der Anbieter verlangen.
Ausweisdaten + Pornovorlieben = ?
Bei Alterskontrollen auf Pornoseiten müssen Nutzer:innen hoffen, dass alle beteiligten Unternehmen vorbildlich mit ihren Daten umgehen. Die Kombination aus sensiblen Ausweisdaten und intimen Porno-Vorlieben wäre im Fall eines Hacks oder Leaks katastrophal. Monumentale Datenlecks gibt es immer wieder – sei es bei Facebook, Twitch oder dem Seitensprung-Portal Ashley Madison.
In vielen Fällen werden die Unternehmen für Alterskontrolle und Pornoseiten nichts weiter miteinander zu tun haben. Eine Garantie ist das aber nicht. Bei Fundorado zum Beispiel gehören Pornoseite und Alterskontrolle eng zusammen, wie das Impressum transparent macht. Das Unternehmen für die Alterskontrolle sei eine Tochter des Unternehmens, das Fundorado betreibt. Sie haben demnach sogar dieselbe Postadresse.
Eine britische Firma für Alterskontrolle, 1Account, hat laut Firmendokumenten einen Eigentümer namens Oleg Netepenko. Laut Recherchen von NDR und SPIEGEL ist er einer der führenden Köpfe hinter xHamster.
Biometrie nur, wenn es „keine milderen Mittel“ gibt
Die von der KJM überprüften und empfohlenen Kontrollsysteme betreffen Daten und Privatsphäre vieler Menschen. Wir wollten wissen, inwiefern die Jugendschützer:innen das berücksichtigen. Ein Sprecher schrieb: „Die KJM bezieht datenschutzrechtliche Aspekte mangels Kompetenz nicht in die Prüfung mit ein.“
Um Jugendschutz und Datenschutz dennoch zusammenzubringen, haben wir eine Datenschutzbehörde um Einschätzung gebeten. Ein Sprecher des teilt mit, seine Behörde sei zwar nicht für Jugendschutz zuständig. Die aktuellen Entwicklungen würden jedoch auch Datenschutzaufsichtsbehörden mit Interesse beobachten.
Generell sei der Abgleich eines Fotos mit biometrischen Daten „in erheblichem Maße sensibel“. Bei einer bloßen Überprüfung des Alters dürften weitere Ausweisdaten nicht verwendet werden. Es gelte der Grundsatz der Datenminimierung. „Verifikationssysteme, die auf einen Abgleich biometrischer Merkmale abzielen, sollten hier stets ultima ratio sein und nur dann zum Einsatz kommen, wenn keine milderen Mittel zur Verfügung stehen“, schreibt der Sprecher.
Das wirft die Frage auf, welche Mittel denn noch gerechtfertigt sind, um Minderjährige vom Pornokonsum abzuhalten. Vergangenes Jahr hat netzpolitik.org darüber mit Medienpädagogin Jessica Euler vom Projekt „Eltern-Medien-Beratung“ in Brandenburg gesprochen. Euler zufolge interessieren sich Kinder in der Regel nicht für Pornos. Jugendliche wüssten die Ausweiskontrollen ohnehin zu umgehen.
Einen aktuellen Kommentar zum Konflikt zwischen Jugendschutz und Pornoseiten haben wir hier veröffentlicht.
„Entwicklung im Ansatz verhindern“
Eine Sprecherin der Landesmedienanstalten NRW erklärt: „Wir können im Netz keine rechtsfreien Räume zulassen“. Es gebe den gesetzlichen Auftrag, Kinder und Jugendliche zu schützen. „Hier besteht auch gar kein Spielraum und das ist gut so. Denn für die Ausgestaltung der entsprechenden Gesetze ist der Gesetzgeber und damit die Parlamente zuständig.“
Genau dort haben wir nachgefragt. Jens Zimmermann, netzpolitischer Sprecher der SPD, schreibt auf Anfrage von netzpolitik.org, er lehne biometrische Verfahren für den Jugendmedienschutz entschieden ab. Maik Außendorf, netzpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, sagt: „Ein effektiver Jugendmedienschutz im Einklang mit der Wahrung von Privatsphäre und Datenschutz muss das Ziel sein, an denen sich kommende Gesetzesinitiativen messen“. Er verweist auf die Ausweis-App des Bundes, mit der eine datensparsame Alterskontrolle möglich sei.
Die netzpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, Anke Domscheit-Berg, warnt vor den Folgen der Datensammelei durch Alterskontrollen. „Die biometrische Erfassung von Pornoseitenbesucher:innen würde zur Entstehung gigantischer Datenbanken mit personenbezogenen Daten in einem hoch sensiblen Kontext führen, was äußerst gefährlich ist“, schreibt sie netzpolitik.org. Immer wieder würden solche Daten geleakt und in der Folge auf Darknet-Märkten gehandelt.
Wer das Recht auf Privatsphäre immer weiter angreife, „wacht vielleicht irgendwann in einem digitalen Totalitarismus auf, wo Daten über intimste Verhaltensweisen zur Manipulation und Erpressung von Bürger:innen genutzt werden können.“
Eine solche Entwicklung müsse man bereits im Ansatz verhindern. Viel eher als technische Lösungen würden Domscheit-Berg zufolge Angebote für Prävention und Aufklärung den Jugendschutz stärken. Das sei aufwendig und damit teurer.
Anonymer Pornokonsum in Gefahr
Der SPD-Bundestagabgeordnete Zimmermann spricht sich für datenschutzkonform ausgestaltete Alterskontrollen aus, ohne Klarnamens- oder Identifizierungspflicht. Das passt zu einer Passage im Ampel-Koalitionsvertrag: „Anonyme und pseudonyme Online-Nutzung werden wir wahren.“
Genau das wird mit den Vorgaben der KJM schwierig. Anonymer Pornokonsum wäre zwar möglich, selbst wenn sich alle Pornoseiten dem deutschen Jugendschutz beugen würden. Dafür müssten sie sich aber ausschließlich für die datensparsamsten Empfehlungen der Jugendschützer:innen entscheiden, etwa die Alterskontrolle per Ausweis-App.
Auf aktuelle Presseanfragen zu dem Thema haben Pornhub und xHamster selbst nicht reagiert. Einerseits könnten sich invasive Kontrollen durchsetzen, solange sie erlaubt und empfohlen sind. Der Einsatz von Yoti durch xHamster und Pornhub ist ein Hinweis dafür.
Andererseits haben Pornoseiten wohl selbst wenig Interesse daran, die eigenen Besucher:innen durch strenge Kontrollen abzuschrecken. Im Austausch mit der Landesmedienanstalt NRW (PDF) sprach etwa YouPorn von einer enormen Nutzungsbarriere. Das klingt plausibel: In diesem Fall könnten sich Millionen Nutzer:innen jener Konkurrenz zuwenden, die es lieber auf eine Eskalation mit den deutschen Jugendschützer:innen ankommen lässt.
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